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Alt 01-12-2005, 12:30   #14
Benjamin
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Fortsetzung....

Ausbau-Boom in Österreich
Auch Österreich will seine Klimaschutzverpflichtungen mit neuen Biodiesel- und Bioethanolanlagen erfüllen. Im Ölhafen Lobau in Wien entsteht derzeit Österreichs größtes Biodieselwerk mit einer Volllastkapazität von knapp 100.000 Tonnen. Für den Großteil wurden Abnahmeverträge mit dem Mineralölunternehmen OMV geschlossen. Ein Projekt in ähnlicher Größenordnung ist in Ennshafen, 150 Kilometer westlich von Wien, in der Umsetzung.
Bislang lag der Anteil der Biotreibstoffe in der Alpenrepublik nur bei 0,1 Prozent des gesamten Kraftstoffverbrauchs. Das dürfte sich bald ändern: Seit Anfang Oktober gilt eine neue Kraftstoffverordnung. Demnach muss den in Österreich angebotenen Otto- und Dieselkraftstoffen ab 1. Oktober dieses Jahres ein Mindestanteil von 2,5 Prozent an biogenen Kraftstoffen beigemischt sein. In zwei Jahren steigt der Anteil auf 4,3 Prozent und in drei Jahren auf 5,75 Prozent. Fachleute haben für das 2,5-Prozent-Ziel einen Biodieselbedarf von etwa 200.000 Tonnen jährlich ermittelt, der in den nächsten drei Jahren auf knapp 500.000 Tonnen ansteigen dürfte. Mit den neuen Großanlagen verfügen die Österreicher über Produktionskapazitäten von insgesamt 320.000 Tonnen – mehr als die Hälfte der in drei Jahren benötigten Menge.
Einziges Manko: Österreich verfügt nicht über genügend Rohstoffe, so dass Raps oder Sonnenblumen in großem Umfang importiert werden müssen. Länder wie Ungarn, Tschechien, Bulgarien oder Rumänien könnten sowohl Rohstoff- als auch Kraftstoffengpässe ausgleichen. Gerade in Tschechien etabliert sich langsam eine Biodieselindustrie.
Werner Körbitz, Geschäftsführer des Österreichischen Biotreibstoff-Instituts, hält auch Rohstoffimporte aus Übersee für geeignete Instrumente, um die heimische Nachfrage decken zu können. Vom Konzept der kleinräumigen, in Kreisläufen stattfindenden, regionalen Rohstoffbereitstellung würden sich die Österreicher dann allerdings verabschieden.
Neben dem Biodiesel haben die Alpenbewohner auch Bioethanol entdeckt. Die Wiener Agrana AG, an der die deutsche Südzucker AG beteiligt ist, baut im niederösterreichischen Pischelsdorf auf dem Gelände der Donauchemie eine Produktion auf, aus der künftig pro Jahr 200.000 Kubikmeter Ethanol fließen sollen. Ab 1. Oktober 2007 gilt für Benzin ab einem Ethanolanteil von 4,4 Volumenprozent die Steuerbegünstigung.

Italien zweitgrößter Produzent
Ungleich rasanter verläuft die Entwicklung bei Österreichs Nachbar Italien. Das Mittelmeerland wird nach Einschätzung von Experten zu Europas zweitgrößtem Produzenten von Biodiesel aufsteigen – mit Kapazitäten von über eine Million Tonnen pro Jahr. Im vergangenen Jahr hat Italien erst 320.000 Tonnen produziert. Werden die vorausgesagten Kapazitätssteigerungen in den kommenden Monaten voll ausgelastet, könnten sich die hergestellten Mengen innerhalb eines Jahres verdreifachen.
Der Großteil des italienischen Biodiesels wird, laut italienischem Biodieselverband, als B7 vermarktet. Das heißt, dass jedem Liter fossilen Diesels sieben Prozent Biodiesel beigemischt wird. Biodiesel in Reinform spielt vereinzelt eine Rolle, wenn Betreiber von Fahrzeugflotten auf den preiswerteren Kraftstoff umsteigen. Immer häufiger ist in Italien auch zu hören, dass Blockheizkraftwerke mit Biodiesel Strom und Wärme produzieren.
Doch nicht nur auf dem europäischen Festland sind Biokraftstoffe angesagt, auch in Großbritannien. Für die Insel hat die Renewable Power Association in London zwei Ethanol- und zwölf
Biodieselanlagen gelistet. Die beiden Ethanolproduzenten bringen es zusammen auf einen maximalen Output von 155.000 Tonnen und die Hersteller von Biodiesel auf 575.000 Tonnen. „Biodiesel wird in der Regel als B5 mit fossilem Diesel gemischt und an zahlreichen Tankstellen verkauft“, berichtet Daniel Crowe von der Renewable Power Association.

Ein kleiner Tropfen im Treibstoffmeer
Die Auflistung und ein Blick auf Europas Landkarte (siehe beigelegtes Poster) zeigt: In den alten EU-Mitgliedsstaaten ist die Produktion von Biokraftstoffen zwar stärker etabliert, aber auch in den neuen Mitgliedsländern werden Kapazitäten aufgebaut. Investoren setzen hier – neben einem bislang kleinen heimischen Markt – vor allem auf den Export in die westlichen Länder.
Doch welche Rolle spielen die grünen Treibstoffe insgesamt? In der EU ist bislang überwiegend Biodiesel sowie – vor allem in Spanien, Frankreich und Schweden – Bioethanol in Form von ETBE erhältlich. Nach Berechnungen des VDB müssten EU-weit 4,25 Millionen Tonnen Biokraftstoffe abgesetzt werden, um einen Zwei-Prozent-Quote zu schaffen. Real werden im laufenden Jahr aber voraussichtlich nur 3,7 Millionen produziert. Die meisten Mitgliedstaaten müssen ihre Biodiesel- oder Bioethanolproduktion also noch deutlich erhöhen, um die festgesetzten EU-Ziele zu erreichen.
Aktuell liegt der Dieselverbrauch in Europa bei 200 Millionen Tonnen und der Benzinverbrauch bei rund 610 Millionen Tonnen. Nach einer Studie der britischen Marktforscher Wood Mackenzie wird die Dieselnachfrage weiter ansteigen und in zehn Jahren bei etwa 280 Millionen Tonnen liegen; der Benzinverbrauch wird dafür zurückgehen. Die Marktforscher rechnen in zehn Jahren mit einem Dieseldefizit von rund 50 Millionen Tonnen in Europa. Angesichts dieser Zahlen wird deutlich, dass die heute verfügbaren Biokraftstoffe nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. In Zukunft wird – neben dem massiven Ausbau der ‚green power’ – kein Weg daran vorbeiführen, Kraftstoffe effektiver einzusetzen und schlicht weniger zu verbrauchen.

Steuerbefreiung muss über 2009 hinausgehen
Das Ziel der EU, bis 2010 einen Biokraftstoffanteil von 5,75 Prozent zu erreichen, ist also nur die erste Etappe auf dem Weg jenseits des Öls. Um diese Zwischenmarke zu schaffen, müssen in den 25 EU-Staaten 13,45 Millionen Tonnen Biokraftstoffe produziert werden. Mengen, die sich nur erreichen lassen, wenn Biodiesel und Bioethanol gleich intensiv vom Markt nachgefragt werden. Die nötigen Produktionsanlagen rechnen sich erst, wenn Biokraftstoffe auch nach 2009 von der Mineralölsteuer befreit sind. Potenzielle Investoren warten deshalb gespannt auf den seit längerem angekündigten Biomass Action Plan der EU-Kommission (siehe Seite 14).
Ob der aktuelle Biokraftstoffboom die nächsten fünf Jahre anhalten wird, ist für Karin Retzlaff, stellvertretende Geschäftsführerin des VDB, schwer zu beantworten: „Aussagen darüber zu machen ist wie Kaffeesatzleserei.“ Fest stehe, dass in Deutschland genügend Rapsanbaufläche vorhanden sei, mit der nachhaltig die notwendigen Biodieselmengen aus Rapsmethylester (RME) zur Erfüllung des 5,75-Prozent-Ziels produziert werden können.
Auch Flächenländer wie Frankreich, Spanien, Italien oder Großbritannien mit einer relativ hohen Bevölkerungszahl dürften, nach Retzlaffs Einschätzung, in der Lage sein, mit eigenen Rohstoffen die EU-Ziele zu erreichen. Soll der Biokraftstoffanteil über die 5,75-Prozent-Marke steigen, müssten andere Kraftstoffe, wie zum Beispiel Zellulose-Ethanol, Biomass-to-Liquid (BtL) oder Biogas, den Weg in den Markt finden.
Diese Botschaft ist bei den Agrarministern der deutschen Bundesländer angekommen. Während ihrer Konferenz Anfang Oktober in Bielefeld haben sie beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, sich bei der EU-Kommission nachdrücklich für eine verbindliche Festlegung von Mindestanteilen von Biokraftstoffen in allen Mitgliedsstaaten einzusetzen.
Dabei soll auch die Möglichkeit eines Beimischungsgebotes geprüft werden. Die Beibehaltung der Mineralölsteuerbefreiung sei für die Sicherung der bestehenden Produktionskapazitäten in Deutschland und für den erforderlichen weiteren Ausbau des Biokraftstoffsektors entscheidend, konstatieren die Minister. Stärken wollen sie zudem Forschung und Entwicklung im Bereich der Biomass-to-Liquid-Kraftstoffe (BtL).
Bis die ersten großtechnischen BtL-Anlagen gebaut werden, fließt aber noch viel Wasser den Rhein hinunter. Vor 2010 ist nicht mit kommerziell betriebenen Produktionsstätten zu rechnen. Zurzeit baut Choren Industries als einziges Unternehmen weltweit im sächsischen Freiberg eine 15.000-Tonnen-Anlage, mit der im halbindustriellen Maßstab die Umsetzung geprobt werden soll (neue energie 9/2005).
Ob BtL-Kraftstoffe eine Zukunft haben, hängt von den Rohstoffkosten ab. Land- und Forstwirte werden nur Pflanzenmasse bereitstellen, wenn sie damit Geld verdienen. Bis es soweit ist, müssen Biodiesel und Bioethanol ihren maximalen Beitrag leisten, um Europa mit neuem Treibstoff zu versorgen. Dass der Ersatzkanister voll läuft, dürfte kein Problem sein, wenn Europa bald politische Signale für die Zeit nach 2009 aussendet und der Bau neuer Produktionsanlagen so weiter vonstatten geht wie in den vergangenen Monaten.
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