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Alt 29-03-2015, 11:51   #9
Benjamin
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Scheitert der Euro, scheitert Europa! So sagt es Merkel seit 2010 immer wieder.

Die Kanzlerin hat sich entschieden: Sie will Griechenland im Euro halten. Solange es irgendwie geht. Sie könnte zwar prinzipiell auch anders - eine schwierig umsetzbare aber dafür nachhaltigere Alternative gibt es - aber Merkel will lieber die einfachere "Trendfortsetzung".


"Europa" ist ihr heilig. Immer wieder spricht sie davon, wie andere Weltregionen aufsteigen und wie klein die EU im Vergleich dazu ist. Sie will, dass Europa auch in kommenden Jahrzehnten noch eine Rolle spielt. Und darum will sie die EU zusammenhalten.

Für ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble gilt das im Übrigen genauso, auch wenn er im Moment einen anderen Eindruck macht.

Sie wird versuchen, einen Austritt des Landes aus der Eurozone zu verhindern. Denn damit wären Risiken verbunden, die zu kalkulieren und intelligent zu steuern eine hohe Herausforderung wäre. Manche sagen, ein Grexit wäre beherrschbar, andere sagen, nach einem Grexit würde gegen Spanien oder Italien spekuliert werden; falls mit Erfolg, dann könnte der Euro am Ende sein. Risiken im zeitlichen Nahbereich sind aber nicht Merkels Sache. Die will Risiken lieber mit (faulen) Kompromissen und viel Geld erst einmal in die Zukunft wegschieben.

Ein Graccident ist weiter möglich, denn die deutsche Regierung ist nicht allmächtig. Sie kann nicht erzwingen, dass sich Griechenland mit den Troika-Institutionen einig wird. Sie kann auch nicht handwerkliche Fehler der unerfahrenen Regierung in Athen verhindern.

Die Schuld an einem Grexit oder Grexident würde aber zumindest zum Teil Angela Merkel anhaften. Immerhin war sie es, die immer wieder darauf bestand, die Spielräume für Griechenland klein zu halten. Sollten die Geschichtsbücher der Zukunft die Währungsunion als eine vergangene Episode der europäischen Geschichte beschreiben, möchte Merkel nicht der Grund dafür sein. Sie wird darum bis zum Äußersten gehen, um Griechenland zu halten.

Was also ist die logische Konsequenz?


Es wird ein weiteres, neues "Hilfspaket" geben! Und später dann noch eins und noch eins. Das wird so lange gehen, bis die Wiederwahl derjenigen heimischen Parlamentarier akut gefährdet erscheint, die das beschließen müssen. Dann erst - und keine Sekunde vorher - wird das Trauerspiel enden. Die derzeit gerade mal 52% der hiesigen Wahlbevölkerung, die ein neues "Hilfspaket" ablehnen, kann man noch umstimmen - weil sie Merkel vertrauen. Da wird wieder eine neue Rührseligkeits-Nummer von Merkel mit Tsipras kommen, ein Merkel-Besuch in Athen, vor dem Hintergrund von Fernsehbildern von Merkel mit leidenden armen Kinder, denen sich Merkel dann fotogen zuwenden wird. Und Merkel, den Tsipras umarmend. Und bums, dann wurde der Ritterschlag erteilt, dann finden das die Leute hier richtig, dass da mal wieder zig Milliarden von deutschen Steuermitteln verschenkt werden, die Schenkung verharmlosend getarnt als "Bürgschaften".

In den Geschichtsbüchern der mittelfristigen Zukunft wird die Währungsunion als eine vergangene Episode der europäischen Geschichte beschrieben werden, und Merkel wird darin wohl ihre Wunschrolle bekommen: Merkel in der Rolle der Heldin! Als diejenige, die bis zum bitteren Ende die Fahne hoch gehalten hat. Sie hat nichts unversucht gelassen - sie hat z. B. faktisch die Ersparnisse ihrer eigenen Wähler geplündert, nur um die Illusion eines "Europas" aufrecht zu erhalten.

Mit noch mehr zeitlichem Abstand wird in den Geschichtsbüchern der ferneren Zukunft erläutert werden, dass Merkel (und die übrigen "staatstragenden" Top-Politiker im Club) damit die Möglichkeit einer halbwegs gesteuerten Rückabwicklung der EU zurück auf die einzelnen Nationalstaaten verhindert hat. Diese Rückabwicklung wird - Merkel sei dank - dann in einem chaotischen und plötzlichen Crash der öffentlichen Strukturen daherkommen, der sich zu einer Systemkrise auswachsen dürfte. Das Merkel damit auf einer höheren Zeitebene die Rolle einer Totengräberin für Europa einnimmt, das versteht sie offenbar nicht - oder es ist ihr "auf Sicht" einfach zu schwierig!

Bewundernswert hingegen wäre ein kluges Management des unvermeidlichen Zerfallsprozess das alten Systems und eine Systemwandlung hin zu einer zukunftsträchtigen Ausprägung. Die Anzahl der Staaten in der EU reduzieren, damit ein wirtschaftlich homogeneres Gebilde entsteht. Parallelwährungen zulassen. Diese EU-Apparat reduzieren und demokratischer machen. Mehr Dezentralität wagen, und Dezentralität aktiv fördern! Die Komplexität aktiv reduzieren, weil wir mit dem hochkomplexen derzeitigen System mit dem Rücken an der Wand stehen - lange geht das nicht mehr weiter! Damit verbundene Strukturänderungen und Marktrisiken beherzt aber gesteuert angehen, mit großer Transparenz begleiten - und das auch durchhalten. Das alles wäre in der Tat schwierig - aber nicht unmöglich! Bewundernswert wäre also eine solch kluge Vermeidung einer plötzlichen Systemauflösung. Denn diese wäre begleitet von eben nicht mehr steuerbaren katastrophalen und tiefgreifenden Auflösungserscheinungen ("Crash").

Aber das bringt Merkel nicht hin. Möglicherweise würden wir Wähler so etwas auch gar nicht hinnehmen? Sie will jedenfalls die einfache Nummer haben mit den "Fahnen hochhalten bis in den Untergang". Sie akzeptiert damit auf längere Sicht grob fahrlässig die spätere "Crash-Variante". Sie verstößt meiner Meinung nach damit gegen ihren Amtseid (dass sie den Nutzen des deutschen Volkes mehren und Schaden von ihm wenden werde), - vermutlich rationalisiert sie sich das zurecht mit dem Argument, dass der Crash ja noch nicht zwingend belegt und gerichtsfest nachweisbar ist. Vermutlich wird sie sogar noch Preise für diesen Irrsinn erhalten.

Ihre tatsächliche Rolle als "Totengräberin für Europa" (im Kollektiv mit anderen derzeitigen Staatslenkern) wird wohl erst Jahrzehnte später Allgemeingut werden, nach ihrem Tod.



ABER: Auf einer noch höheren Zeitebene wird man ihr wohl gar keinen Vorwurf machen können?
Macht Merkel nur heute das, was vorher die Römer schon versuchten - und scheiterten?

http://www.neuepresse.de/var/storage...rtikelQuer.jpg
Fotoquelle: 15.05.2009, Kanzlerin Merkel wird von Römern umlagert. http://www.neuepresse.de/Nachrichten...or-2000-Jahren

Das römische Reich zerfiel damals ja auch trotz verzweifelter Versuche zur Stabilisierung dieses Imperiums, siehe http://www.ftor.de/tbb/showthread.ph...plex+Societies, woraus auch diese Präsentationsfolien stammen:


Quelle: The Collapse of Complex Societies, Dr. Joseph Tainter http://www.youtube.com/watch?v=ddmQhIiVM48&feature

Geändert von Benjamin (10-01-2017 um 10:53 Uhr)
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