Thema: Milch
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Alt 21-09-2009, 20:11   #7
Benjamin
TBB Family
 
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Beiträge: 10.374
Tja, der Chartverlauf seit dem Low am 09.09.09 sieht wie ein Impuls aus. War das bereits DER Tiefpunkt gewesen???
Aber Achtung: Die Charts oben geben den Class III Milk Future der USA -Terminbörse CME wieder, also nicht die europäischen oder gar deutschen Milchpreise!!!



Übrigens hatte ich ein ganz persönliches Erlebnis hinsichtlich Milcherzeugung bei uns in Deutschland. Und zwar hatte ich mich am Wochenende mit einigen Milchbauern bei einem Info-Stand unterhalten (im Rahmen irgend einer Gewerbeschau eines Dorfes in der weiteren Gegend).

Da erfuhr ich folgendes: Offenbar verdienen nur vollautomatisierte Großbetriebe mit mehr als etwa 500 Kühen (die immer nur im Stall leben) bei den derzeitigen Preisen noch Geld.
Heute bekämen sie um die 0,20€/Liter, sie müßten aber ca. 0,35€/Liter bekommen, um Gewinne zu machen. Das ist ein Preisanstieg um 75%! Würde die Vollmilch von 0,48€/Liter im Laden ähnlich steigen, dann würde sie 0,84€/Liter kosten. Ebenfalls um 75% teurer würde natürlich auch der Quark, der Jogurt, der Käse, etc. Allerdings behaupteten sie mit einem Beispiel aus der Vergangenheit, dass die Milchprodukte nicht um 75% ansteigen würden, wenn die Milch beim Bauern 75% mehr kosten würde... (?)

Die Aussagen dieser "Klein"-Bauern liefen immer nach dem gleichen Muster: Es gibt keine Alternativen, weil....

- Auf den Feldern in der dortigen Höhe ginge angeblich nur Gras. Gemüse oder sonstige Früchte tragen diese Felder nicht, weil im Frühjahr / Herbst das Wetter zu kalt sei.
- Mehr Wertschöpfung z.B. durch eigene Käseproduktion (alternativ über Genossenschaft o.ä.) geht nicht, weil ...
- Umsteigen auf anderen Landwirtschaftszweig (weg von der Milchwirtschaft, z. B. Anbau von Energiepflanzen für Biogasanlagen, o. ä.) geht nicht, weil...
- Umstrukturierung/Effizienzsteigerung des eigenen Betriebes geht nicht, weil...
- Mehr Milchkonsum bei den Verbrauchern von Milchprodukten sei unrealistisch, weil....
- Weniger Milchproduktion sei unrealistisch, weil diese Großbetriebe (über 500 Kühe) sich an keine Absprachen halten würden und auf Teufel komm raus Milch produzieren, je mehr, dest besser ....
- Verkaufen des ganzen Hofes geht nicht, weil man derzeit für so einen Hof kaum Geld bekommt. Sogar die Bank will nicht, dass der Milchbauer aufgibt....
- Nicht verkaufen des ganzen Hofes geht aber auch nicht, weil man die monatlichen €-Verluste nicht ewig lange durchhalten kann...
- usw.

Fazit: Ein Gefühl der Ausweglosigkeit bei diesen Leuten. Aber auch völliger Ideenmangel (keine Kreativität) war festzustellen! Dieses ewige "das geht nicht, weil..." fand ich am Ende ziemlich ermüdend und meine Geduld strapazierend.

Diese Leute sind fast Millionäre (selbst die kleineren unter ihnen!!!), und da sollen wir Steuerzahler denen "so einfach" Geld geben, nur damit sie diese bequeme alte Nummer wie gehabt durchziehen können? Wo bitte schön sind die Anstrengungen der Bauern selbst, wo z. B. die Bemühungen, auf die Wochenmärkte mit eigenen Käseprodukten zu gehen? Wo die Anstrengungen, ein Teil des Landes für Gemüseproduktion zu verwenden, etc.???
Das alte plattdeutsche Sprichwort ist wahr: Wat de Bur nich kennt, dat fret hei nich! (Was der Bauer nicht kennt, dass ißt er nicht.)

Diese Leute, die ich da an dem Infostand der Milchbauern getroffen hatte, waren reiche Kleinbauern, obwohl sie jeweils weniger als 500 Kühe hatten. Diese Klagen fanden imo auf sehr hohem, komfortablen materiellen Niveau statt. Wenn man aus sozialen Gründen Mitleid mit Randgruppen der Gesellschaft haben sollte, dann fallen mir eine Menge anderer Randgruppen ein, die Hilfe vom Steuerzahler nötiger haben als ausgerechnet diese Milch-Kleinbauern.

Dieser Ruf nach der Politik - also nach unserem Steuergeld und nach dem Geld von uns Verbrauchern von Milchprodukten - das ist doch recht bequem! Ich bemerkte jedenfalls in den Gesprächen nur ein Anspruchsdenken auf die altbekannte Art der Milchwirtschaft: Die anderen sollen sich anstrengen - und bezahlen - damit sie ein "weiter so" praktizieren können. Sorry, Leute, diese Zeit ist vorbei, wenn vollautomatisierte Betriebe mit 500 oder 1000 oder noch mehr Kühen immer nur im Stall, gemolken und gefüttert von Robotern, die Milch zu 0,20€/Liter immer noch mit Gewinn raushauen können!

Ein sehr eloquenter Bauer hatte so einen "Kleinbetrieb" mit viel weniger als 500 Kühen. In den hatte er mit teilweise Hilfe der Banken rund 900000€ gesteckt. Er sagte, dass er heute im Monat ca. 4000€ (angeblich) verliert, macht demnach 48000€/Jahr Verlust. Klar, das merkt er rechnerisch, aber das merkt er noch nicht an seinen konkreten Lebensumständen. Wenn die Zinsen lange genug niedrig (und die Hausbank mangels Alternative geduldig) bleiben, dann kann so ein Bauer das einige Jahre lang durchhalten, ohne dass irgend jemand etwas bemerken würde: Der dicke Mercedes stünde auch in dieser Zeit noch vor dem Haus.

Diese Leute pokern doch relativ locker auf Zeit: Wenn der Dreh nach oben bald genug kommt, dann müssen sie überhaupt nichts machen, solange ihr Betrieb wenigstens einigermaßen kapitalisiert ist.

Es ist dieser Widerstand gegen eine absehbar erforderliche Veränderung der Milchbauer-Existenz, die mich hier nervt: Die sollen nicht nur fordern sondern kreativ werden und sich anstrengen! Wenn ich letzteres beobachten würde, dann wäre ich viel eher solidarisch mit ihnen und würde Unterstützungsmaßnahmen mitmachen. Aber so bin ich von dem Infostand weggegangen mit dem Gefühl, dass diese Leute den Knall noch nicht gehört haben....

Denn die Politik - die EU - wird ihnen nicht zu Hilfe kommen, das ist eine naive Illusion. Falls das Spiel der Milchbauern auf Zeit dennoch aufgehen sollte, dann aus zwei ganz anderen Gründen: Weil die Zinsen und der Ölpreis steigen!

Denn diese industriellen Giga-Betriebe dürften doch eine recht dünne Eigenkapitaldecke haben (anders als die Bauern auf ihren ererbten Höfen) und eine irre Menge an Energie direkt bzw. indirekt über ihre Logistikketten benötigen. Wenn Zinsen auf Schulden + Ölpreis in den kommenden Jahren absehbar erheblich teurer werden, dann dürfte der Preisvorteil, den heute die Giga-Betriebe noch haben, schnell aufgezehrt werden und schließlich zu einem schweren Nachteil werden. Der Kleinbauer braucht eben lange nicht so viel Kraftfutter (teuer aus Soja in Übersee hergestellt?), wenn er die Kühe auf die direkt umliegenden Weiden treiben kann, für den Winter selbst Heu einlagern kann und die genossenschaftliche Molkerei nicht weit weg ist, die Milchprodukte für die Region herstellt. Dann würde auch der Milchpreis wieder anziehen, und die Milchbauerwelt wäre schnell wieder im Lot.

Ich hatte meine "Lösung" über steigende Zinsen und Ölpreis übrigens einem dieser Bauern erzählt - aber das war dann doch wohl jenseits dessen, was er sich vorstellen konnte ....

Die Politik sollte imo als Daseinsvorsorge dieser Milchbauern nur so viel aufpassen, dass hinreichend viele Kleinbauern die Zeit überleben, die vergehen dürfte, bis Öl und Zinsen kräftig anziehen werden. Aber evtl. ist das ja gar nicht mehr so weit hin - und die Politik braucht gar nichts zu tun ....

Es gibt schließlich ein Sprichwort: "Wenn Bauern klagen, hör' nicht hin - das machen sie immer!"

Posting kopiert auch nach WO: http://www.wallstreet-online.de/disk...as-ist-da-dran

Geändert von Benjamin (22-09-2009 um 12:12 Uhr)
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