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Alt 30-03-2003, 11:55   #12
OMI
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Kriegs-Börse - Die Zeit der Strategen (EurAmS)
Sonntag 30. März 2003, 11:50 Uhr


An den internationalen Börsen gibt es nur ein Thema: den Krieg im Irak. Jede Meldung hat nervöse Reaktionen zur Folge. Dabei ist gerade jetzt ein kühlen Kopf wichtig. Denn die Situation an den Börsen bietet ernsthafte Chancen wie lange nicht. EURO stellt drei Strategien vor.
von Jens Castner und Joachim Spiering

Euro am Sonntag 13/03

Der Saddam-März-Future fällt. Zehn Dollar zahlt der irische Buchmacher Trade-Sports-Exchange für jeden Terminkontrakt auf den Sturz des irakischen Diktators. Das Geld wird fällig, wenn Saddam bis zu einem im Kontrakt festgelegten Zeitpunkt seinen Posten als Staatsführer verliert. Angeboten werden Futures mit Laufzeit bis Ende März, April, Mai und Juni. Noch vor wenigen Tagen lag der März-Future bei sieben Euro. Doch so schnell ist der Krieg nicht zu Ende, übermorgen dürfte der März-Kontrakt wertlos verfallen.

Der Saddam-Future ist reine Zockerei und eine makabre noch dazu. Nicht umsonst wird er von einem Wettbüro angeboten und nicht an der Börse. Doch der Kursverlauf von DAX (Xetra: ^GDAXI - Nachrichten) - und Saddam-Future weist nicht zufällig Parallelen auf. Kommen die amerikanischen und britischen Truppen gut voran, geht es auch an der Börse bergauf. Gerät die Offensive ins Stocken, geht es abwärts.

Wo sonst Zinsentscheidungen und Konjunkturdaten die Handelsräume in Atem halten, sind es nun der Häuserkampf in Basra, die Gegenoffensive von Saddams Gardetruppen und die Eröffnung einer zweiten Front im Norden durch die US-Streitkräfte. "Die Stimmung ist momentan absolut politisch getrieben", sagt Berndt Fernow, Aktienstratege bei der Landesbank Baden-Württemberg.

Auch an den Börsenplätzen selbst hinterlässt der Krieg Spuren. So hob die New York Stock Exchange vergangene Woche die Akkreditierung zweier arabischer Journalisten auf. Die Reporter hatten bis dato für den wichtigsten Nachrichtensender der arabischen Welt, Al Dschazira, täglich über das Geschehen an Wall Street berichtet.

Auch auf mögliche Terroranschläge haben sich die großen Börsen New York Stock Exchange und Nasdaq (NASDAQ: Nachrichten) bereits eingestellt. Beide haben an Ausweichplätzen zweite Computersysteme installiert, auf die im Notfall umgeschaltet wird. Keine Frage: Auch am Tag 11 des Irak-Kriegs hat die Auseinandersetzung die Märkte fest im Griff.

Das Interessante dabei: Obwohl immer mehr Zweifel aufkommen, ob der Krieg tatsächlich schnell zu gewinnen ist, zeigen sich die von EURO befragten professionellen Anleger verhältnismäßig optimistisch. "Ich rechne mit einem raschen Kriegsende innerhalb der nächsten sechs Wochen", sagt beispielsweise der Münchner Vermögensverwalter Gottfried Heller, langjähriger Kompagnon des Börsengurus Andre Kostolany. Hendrik Leber von der Frankfurter Vermögensverwaltung Acatis bläst in das gleiche Horn. "Ich traue den Amis zu, dass in ein bis zwei Monaten der Krieg vorbei ist."

Sogar die Charttechniker, in der Baisse meist in der Rolle der Miesmacher zu finden, sehen wieder Licht am Ende des Tunnels. Das mittelfristige Szenario für DAX und Dow Jones habe sich deutlich verbessert, sagt Uwe Wagner von der Deutschen Bank (Xetra: 514000.DE - Nachrichten - Forum) . Grund: Durch die Rally der ersten Kriegstage ist der steile, Anfang Dezember 2002 eingeläutete Abwärtstrend durchbrochen. Zwar ändert das nichts an der Tatsache, dass der langfristige, seit März 2000 gültige Abwärtstrend weiter intakt ist, aber die Dynamik der Bewegung nach unten hat nachgelassen. Damit steigen die Chancen, die Baisse zu überwinden. Wagner: "Das ist wie bei einem Fahrrad. Wenn es immer langsamer wird, fällt es irgendwann um - das gilt auch für reife Trends."

Geht der Krieg schnell vorbei, rechnen die Börsianer mit einem kräftigen Kursschub. Der Ölpreis dürfte sich dann, so die Experten der Deutschen Bank, zwischen 15 und 20 US-Dollar je Barrel einpendeln. Das wäre nach Worten Wagners "das gigantischste Konjunkturprogramm der Welt". Und - da die Hausse im gleichen Maß die Hausse nährt, wie die Baisse zu immer weiter fallenden Kursen führt - könnte auch eine schnelle Aufwärtsbewegung folgen.

Steffen Neumann, Analyst in der Strategie-Abteilung der Landesbank Rheinland-Pfalz, bescheinigt dem DAX bis Jahresende Aufwärtspotenzial in Richtung 3500 Punkte. Deutsch-Banker Wagner fügt hinzu: "Institutionelle Investoren wie Versicherungen sind zurzeit eher unterinvestiert. Als Benchmark-orientierte Anleger müssen sie bei steigenden Kursen jede Schwäche zum Nachkaufen nutzen - sonst läuft ihnen die Benchmark davon."

In der Tat waren bei der ersten Rally, als die Börsianer noch vor Kriegsbeginn auf einen schnellen Sieg wetteten, die großen institutionellen Investoren wie etwa Pensionsfonds in der Regel gar nicht unter den Käufern zu finden. Händler berichten, dass es vor allem Hedge-Fonds waren, die mit Deckungseinkäufen den DAX innerhalb von sieben Handelstagen um 23 Prozent nach oben trieben.

Diese Fonds setzen oft auf fallende Kurse, indem sie sich von anderen Institutionellen Aktien leihen und verkaufen. Sie spekulieren darauf, die Papiere zu einem späteren Zeitpunkt günstiger wieder einzukaufen und sie dann zurückzugeben. Echte Käufe, also strategische Investitionen von Fonds, Pensionskassen oder Kleinanlegern, blieben an diesen sieben Tagen weitgehend aus.

Sollen private Anleger zum jetzigen Zeitpunkt also Aktien kaufen? Hendrik Lebers Antwort ist eindeutig: "Wenn ich davon ausgehe, dass der Krieg in zwei Monaten vorbei ist, dann muss ich jetzt kaufen." Sein Kollege Gottfried Heller rät: "Wer noch nicht investiert ist, sollte an schwachen Tagen zukaufen." Auch Thomas Körfgen, Leiter des Aktienfonds-Managements bei SEB (Paris: 12170.PA - Nachrichten) -Invest, sieht die Kurse trotz der Gefahr eines neuerlichen Rückschlags bereits jetzt als günstig an: "Es ist sehr schwierig, den tiefsten Einstiegskurs zu erwischen - und mit einem Anlagehorizont von mehreren Jahren auch nicht entscheidend."

Was die Experten so optimistisch stimmt, ist die fundamental niedrige Bewertung vieler deutscher Aktien gegenüber US-Werten. Deswegen biete der Markt nicht nur für kurzfristig orientierte Trader gute Chancen, sondern vor allem auch für Langfristinvestoren mit einem größeren Anlagehorizont. "Sie können sich momentan ein Blue-Chip-Depot zu Schnäppchenpreisen zusammenstellen", sagt Heller. Ähnlich sieht das auch Berndt Fernow: "Zwar sagen viele Investoren, dass wir die alten Tiefs bei 2200 Punkten noch einmal wiedersehen", erklärt der Aktienstratege, "momentan werden die Rückschläge aber eher zum Einstieg genutzt."

Argumente für einen Einstieg an schwachen Tagen gibt es viele. Nachdem der DAX unter den weltweit größten Indizes während der dreijährigen Baisse am stärksten verloren hat, ist die Marktkapitalisierung aller deutschen Firmen inzwischen auf Stecknadelkopf-Größe zusammengeschrumpft. Aktuell macht sie nur zwei Prozent der weltweiten Börsenkapitalisierung aus. Zum Vergleich: Selbst die Schweizer Unternehmen haben mit einem Anteil von 3,5 Prozent eine höhere Marktkapitalisierung. Der Börsenwert der zwei großen US-Konzerne General Electric und Microsoft (NASDAQ: MSFT - Nachrichten) reicht inzwischen aus, um den gesamten DAX zu kaufen.

Kein Wunder also, dass es die institutionellen Anlegern inzwischen kräftig in den Fingern juckt. Zumal es weitere Kriterien gibt, die für einen Aktienkauf sprechen. Viele fundamental starke Unternehmen wie DaimlerChrysler (Xetra: 710000.DE - Nachrichten - Forum) notieren deutlich unter ihrem Buchwert. Ein weiteres Argument für den sofortigen Aufbau erster Positionen ist auch die anstehende Dividenden-Saison im April und Mai. "Da können Anleger bei vielen Werten schon mal die erste Ausschüttung mitnehmen", rät Thomas Körfgen, Leiter des Aktienfonds-Managements bei SEB-Invest.

Für private Anleger gibt es unterschiedliche Strategien. Investoren mit einem längeren Anlagehorizont sollten sich auf fundamental starke Unternehmen konzentrieren, die mit einer gesunden Bilanz, nachhaltigen Gewinnen und einer starken Marktstellung glänzen. "Die Einstiegskurse für Langfristinvestoren sind momentan gut", sagt beispielsweise Bernd Meyer, Aktienstratege bei der Deutschen Bank.

Wer es etwas risikoreicher mag, setzt vor allem auf jene Titel, die im Vorfeld des Krieges besonders stark verloren haben. Werte wie TUI oder auch MLP (Xetra: 656990.DE - Nachrichten - Forum) stehen zwar fundamental nicht so gut da, reagieren bei Marktschwankungen aber heftiger als die Fundamentalwerte. Interessant als Alternative zu Aktieninvestments sind zudem Zertifikate.

Dennoch sollte Anlegern klar sein: Die Märkte sind hypernervös. Und sie werden es in den kommenden Wochen bleiben. Je chaotischer die Zustände im Irak werden und je mehr die Alliierten sich in einen langen Krieg verwickeln, desto stärker werden die Aktienmärkte abermals unter Druck geraten. Und je länger der Krieg dauert, desto mehr kostet er auch. Lange Zeit hielt sich die US-Regierung mit konkreten Zahlen zurück. Seit vergangener Woche ist es raus: Mindestens 75 Milliarden Dollar soll der Feldzug gegen Saddam kosten. Würde es bei dieser Größenordnung bleiben, käme die Bush-Regierung glimpflich davon. Inflationsbereinigt würde der Waffengang dann nicht teurer kommen als der erste Golfkrieg, der 61 Milliarden Dollar an US-Steuergeldern verschlungen hat.
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OMI
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