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Alt 01-11-2004, 20:45   #66
Starlight
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US-Wahl 2004: Ein letzter Blick auf Wirtschaft und Football

Einen Tag vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind sich die Umfragen einig: Auf einen frühen Sieger kann man sich nicht einigen. Sämtliche Institute sehen Bush und Kerry Kopf an Kopf mit jeweils 49 Prozent. Es bleibt also spannend bis zum letzten Moment – aber hoffentlich nicht über den Wahlabend hinaus.

Denn noch etwas scheint sicher: So gespalten das Land gegenüber dem Präsidenten und seinem Herausforderer ist, so sehr wünscht man sich einen klaren Sieger in den Stunden nach Schließung der Wahllokale. Ein ähnliches Theater wie im Jahr 2000, als die Kandidaten Bush und Kerry wochenlang Gerichte beschäftigten, würde das Vertrauen des Volkes in die politische Führung, in das Wahlsystem und nicht zuletzt das Vertrauen des Auslands in die Vereinigten Staaten zerstören.

Der Dow-Jones-Index dürfte schon am Mittwoch um 2 Prozent einbrechen, wenn der Handel ohne ein sicheres Wahlergebnis eröffnen würde. Ein Bush-Sieg soll dem Dow kurzfristig 1 Prozent bringen, ein Kerry-Sieg soll mit einem Minus von 1 Prozent zubuche schlagen.

Diese Schwankungen sind minimal und hängen mit einem Zwiespalt zusammen: Die Wall Street baut – wenn auch mit immer kleinerer Mehrheit – auf einen Sieg für den Amtsinhaber, denn dessen Steuerkonzept passt der mehrheitlich vermögenden Finanzwelt besser. Andererseits schneidet Bush trotz einiger starker Monate in der zweiten Halbzeit schwach ab, wenn Experten die wichtigsten konjunkturellen Eckdaten durchgehen.

Eine herausragende Zahl in allen Betrachtungen ist die Bilanz im US-Haushalt. Da fand Bush zum Amtsantritt in der Nachfolge von Bill Clinton den höchsten Überschuss aller Zeiten. Vier Jahre später stehen die USA vor dem höchsten Schuldenberg aller Zeiten. Jede historische Interpretation erübrigt sich: So schlecht hat noch kein US-Präsident gehaushaltet.

Das Bruttoinlandsprodukt ist unter der Regierung Bush um durchschnittlich 2,7 Prozent pro Quartal gestiegen, was sich gegenüber einem Plus von 3,4 Prozent im Zehn-Jahres-Durchschnitt sehr schwach ausnimmt.

Schwächer als der historische Durchschnitt ist auch Bushs Arbeitsmarktbilanz. Der Republikaner hat in vier Jahren durchschnittlich 14 000 Jobs pro Monat verloren. In den vergangenen zehn Jahren hat die US-Konjunktur hingegen monatlich 194 000 Stellen geschaffen. Dass die Arbeitslosenquote unter Bush mit 5,51 Prozent etwas besser ausfällt als die historischen 5,59 Prozent, rettet die Bilanz nicht: Erstens ist der Unterschied minimal, und zweitens ist die Statistik unzuverlässig. Langzeitarbeitslose eingerechnet würde die US-Wirtschaft zurzeit auf eine Quote von 7,4 Prozent kommen.

Weniger Jobs, und diese bei schwächerem Realeinkommen, haben dafür gesorgt, dass den Amerikanern zurzeit weniger Geld zur freien Verfügung steht als im Durchschnitt der letzten zehn Jahr. Das wirkt sich auf die Verbraucherausgaben auf, dadurch auf die Unternehmen und letztlich auf den Aktienhandel an der Börse. Dort bilanziert man für die Bush-Jahre ein Minus von 4,9 Prozent, die gegenüber einem historischen Vergleichswert von plus 16,9 Prozent verblassen.

Nur ein konjunktureller Kern-Indikator spricht für Bush: Die Inflationsrate der letzten vier Jahre ist etwas niedriger als für die letzten zehn Jahre.

Aus wirtschaftlicher Sicht spricht folglich nicht viel für eine zweite Amtszeit von George W. Bush, der allerdings ein Freund der Unternehmen ist und dem konjunkturellen Verfall Amerikas mit regulatorischen Maßnahmen entgegenarbeiten will.

Im Wahlkampf stellt sich die Situation wie gewohnt verzerrt dar: Während Kerry darauf beharrt, die Steuersenkungen von George W. Bush zumindest für die Top-Verdiener zurückzunehmen und den Mittelstand zu stärken, protzt der Präsident mit wenig aufschlussreichen Wachstumsdaten für wenige zurückliegende Monate. Beide haben für Montag noch zahlreiche Wahlkampf-Veranstaltungen in den Swing-Staaten eingeplant, bei denen sie letzte Stimmen sammeln wollen.

Unterdessen gibt es einen Wahl-Indikator, der am Montag Schlagzeilen macht – aber wohl wenig aufschlussreich ist. Die Washington Redskins, das Football-Team der Hauptstadt sagt seit 1936 den Wahlsieger korrekt voraus. Verliert das Team sein letztes Heimspiel vor der Wahl, dann verliert auch die amtierende Partei. Genau das ist am Sonntag geschehen, die Redskins mussten sich den Green Bay Packers mit 14:28 geschlagen geben.

Etwas aussagekräftiger ist eine Statistik, die am Montagmittag veröffentlicht wurde. Danach glauben 65 Prozent der Amerikaner nicht, dass ihr Land unabhängig vom Wahlausgang in den nächsten vier Jahren einen guten Präsidenten haben wird.

© Wall Street Correspondents Inc.
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