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Alt 10-11-2004, 18:14   #75
Starlight
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Anleger achten auf die Notenbanksitzung… im Dezember

Die amerikanische Wirtschaftspolitik wird in Washington gemacht und in New York gehandelt. Meist ist man an der Börse froh, wenn sich alles wichtige auf dem Parkett und in den benachbarten Brokerhäusern abspielt, etwa alle vier Wochen jedoch schaut man gebannt in die Hauptstadt, wo auch an diesem Mittwoch die Fed tagen wird.

Allein, wenige Stunden vor der Entscheidung der Notenbank über den Zinssatz hält sich die Spannung an der Wall Street auf durchaus erträglichem Niveau. Der Offenmarktausschuss, da sind sich die Experten einig, dürfte die Rate zum vierten mal in Folge anheben – man rechnet mit einem Aufschlag von 25 Basispunkte auf 2 Prozent.

Damit wäre der Realzins – das ist die inflationsbereinigte Rate – erstmals seit drei Jahren wieder fast bei Null. Noch ein weiterer Zinsschritt wird dann fehlen, bis Fremdkapital wieder Geld kostet.

Dass sich die Wall Street ihrer Sache sehr sicher ist liegt an einer leicht veränderten Kommunikationspolitik der Notenbank. In den vergangenen Wochen und Monaten haben die Währungshüter um Alan Greenspan ihre Aussagen zur Konjunktur nicht deutlich verändert, sondern durch ähnlich lautende Bemerkungen eine ruhige und wenig überraschende Zinspolitik nahegelegt.

Die Raterei auf dem Parkett ist damit weitgehend vom Tisch. Vorbei sind die Zeiten, in der das Börsenfernsehen Alan Greenspan auf dem Fußweg zur Fed jeweils live filmte und Beobachter über den „Taschen-Indikator“ stritten. An der Dicke der Aktenmappe in des Chairman Händen wollte man Rückschlüsse auf die jeweils bevorstehende Entscheidung ziehen.

Heute hält man sich mit solchen Spielchen nicht auf. Auf dem Parkett gilt der Zinsschritt als abgemacht, man diskutiert unterdessen heftigst über das zu erwartende Ergebnis der Dezember-Sitzung. Hier gehen die Meinungen der Analysten weit auseinander, und entsprechend sorgfältig wird man den Kommentar der Fed zur heutigen Entscheidung verfolgen.

Bei Lehman Brothers geht man davon aus, dass die Notenbank angesichts des stagnierenden Wachstums der US-Konjunktur weitere Zinsschritte für ganze sechs Monate aussetzen werde, um dann erst im Sommer 2005 wieder anzuziehen. Anders als Fed-Chef Greenspan bilanziert man zwar keine Schwachstelle in der Konjunkturentwicklung, wohl aber eine Unterbrechung der jüngsten Wachstumstrends.

Bei Goldman Sachs schließt man sich der These an, dass im November, aber nicht im Dezember ein Zinsschritt anstehe. Eine längerfristige Analyse geben die Experten aber noch nicht aus.

Ein Blick in die Geschichtsbücher legt übrigens ebenfalls einen Aussetzer im Dezember nahe. Abgesehen von seinem ersten Jahr im Amt hat Alan Greenspan noch nie im Dezember die Zinsen angehoben. In Fed-Kreisen munkelt man, der Chairman wolle kein „Weihnachtsschreck“ sein.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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