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Alt 14-01-2007, 20:35   #1
Auf Wunsch gelöscht
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Exclamation Israel als „kollektiver Jude“

Wenn wir sehen, wie israelische Panzer durch palästinensische Dörfer fahren und sich die verzweifelten Menschen mit Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf Warschau und im Blick auf den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto auch fragen dürfen, war das dann nicht auch Terror?“ Mit diesen Worten sorgte im Januar 2003 Udo Steinbach, Direktor des Deutschen Orient-Institutes, einem vom Auswärtigen Amt alimentierten Thinktank, für reichlich Aufsehen. Denn mit seinen Äußerungen rückte er die Israelis nicht nur in die Nähe der Nazis, sondern banalisierte darüber hinaus den Terror der Palästinenser, die bekanntlich nicht nur Steine werfen.

Der Politikwissenschaftler Yves Pallade greift den Fall Steinbach deshalb auf, weil er seiner Meinung nach exemplarisch für das stehe, was in der Forschung mittlerweile unter dem Begriff „sekundärer Antisemitismus“ Einzug in die Debatte gehalten hat. „Letztlich dient der Nahe Osten Steinbach als Projektionsfläche zur Entlastung der eigenen deutschen Vergangenheit durch die Verharmlosung der Naziverbrechen und die Schuldprojektion auf die Opfer und ihre Nachkommen“, umreißt Pallade dieses Phänomen und attestiert den gesellschaftlichen Eliten in Deutschland zugleich ein eklatantes Versagen, auf derartige Tendenzen angemessen zu reagieren.

Während Steinbach Applaus vom rechtsextremen Störtebecker-Netz erhielt und auch die radikal-islamistische Onlineplattform Muslim-Markt immer voll des Lobes für ihn ist, zuckte das Kuratorium des Orient-Institutes auf Rücktrittsforderungen nur mit den Schultern.

Natürlich ist Steinbach kein Einzelfall. Norbert Blüm schlägt in dieselbe Bresche. Der langjährige Arbeitsminister und selbst ernannte Nahostexperte schwadronierte gerne schon mal vom „hemmungslosen Vernichtungskrieg“, den Israel führe. Für den Journalisten Tobias Kaufmann stellen jedoch nicht nur diese verbalen Bezüge Blüms zum „Dritten Reich“ ein Problem dar, sondern ganz besonders die Nachlässigkeit, mit der die deutsche Presse solche Äußerungen einfach übernimmt. So druckte der „Stern“ ungeprüft ein Interview Blüms ab, in dem er den Besuch Ariel Scharons auf dem Tempelberg kritisierte und von 30 Palästinensern sprach, die bei einer „friedlichen Gegendemonstration“ noch am selben Tag von Israelis getötet worden seien. Pech für Blüm nur, dass diese Protestkundgebung einen Tag nach dem Scharon-Besuch stattfand und alles andere als friedlich war, und bei dem es – schlimm genug – sieben Tote gegeben hatte.

Es ist die mangelnde Sorgfältigkeit bei der Nahostberichterstattung, die Kaufmann kritisiert, und die ein mehr als schiefes Bild von den Ereignissen im Nahen Osten vermittelt. Ein Musterbeispiel, laut Kaufmann, war die Geschichte vom „Massaker von Jenin“, die im Frühjahr 2002 Schlagzeilen machte. Bei Kämpfen in der palästinensischen Stadt seien mindestens 500 tote Zivilisten zu beklagen, hieß es in vielen Berichten. Als dann die Vereinten Nationen Wochen später ihren Untersuchungsbericht vorlegten, reduzierte sich die Zahl schnell auf 52, mehr als die Hälfte davon bewaffnete Kämpfer. Dies war den Medien aber nur eine kurze Meldung wert.

Und so darf es kaum verwundern, dass heute laut diverser Umfragen das IsraelBild in der öffentlichen Meinung katastrophal ausfällt. Wenn über 60 Prozent der Befragten den jüdischen Staat als Gefahr für den Weltfrieden betrachten und ihn damit auf eine Stufe mit Nordkorea stellen, oder mehr als 50 Prozent die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der Behandlung der Juden durch die Nazis im „Dritten Reich“ vergleichen, dann ist dies auch das Resultat einer Berichterstattung, die mehr als nur tendenziös ist.

Einen Eindruck davon, wie diese aussehen kann, vermittelt der Kommunikationswissenschaftler Rolf Behrens in seiner Analyse der Israelberichterstattung im „Spiegel“. Das Nachrichtenmagazin stellt „den Staat Israel stereotyp als brutalen, expansiven und gar rassistischen Staat voller Missstände dar, dessen Gesellschaft innerlich zerrissen sei und sich im Niedergang befinde“. Der ehemalige Ministerpräsident Scharon wird als „Schlächter“ etikettiert und die israelische Armee als eine Kinder mordende Soldateska.

Alle Autoren stellen in ihren Beiträgen eines fest: Der neue Antisemitismus kommt nicht ohne den Nahostkonflikt aus. Während der „alte“ Antisemitismus, wie beispielsweise die Bewertung von Juden als eine minderwertige Rasse, nach Auschwitz in Europa gesellschaftlich weitestgehend geächtet ist und sich allenfalls in kleinen neonazistischen Zirkeln finden lässt, so funktioniert der „neue“ Antisemitismus auf einer ganz anderen Ebene. Israel nimmt darin die Rolle eines „kollektiven Juden“ ein, wie es der Politikwissenschaftler Lars Rensmann auf den Punkt bringt, dessen Existenzrecht von der extremen Rechten, aber auch der sich „antizionistisch“ oder „antiimperialistisch“ definierenden extremen Linken sowie islamistischen Gruppen negiert wird.

Bemerkenswerterweise wird dabei das gesamte Sortiment traditioneller negativer Stereotype zum Leben erweckt. Angefangen von der zaristischen Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ bis hin zum Märchen vom Juden als Brunnenvergifter, tauchen adaptiert an die aktuellen Ereignisse vor allem im radikalen Islam alle Antisemitismen wieder auf und stoßen ebenfalls unter islamischen Migranten in Europa auf breite Zustimmung.

Der Sozialwissenschaftler Bassam Tibi weist in seinem Beitrag auf die Mechanismen hin, die diesen Ideologietransfer möglich machen und nennt die Verschwörungstheorien rund um die Ereignisse des 11. September, die Israel und den Mossad als Verantwortliche für die Anschläge auf das World Trade Center zum Kern haben, als symptomatisch dafür. „Neuer-alter Judenhass“ liefert hervorragende Analysen zu einem Phänomen, das in seinen Ausdrucksformen nicht nur für Juden eine Bedrohung darstellt, sondern letztendlich die westlichen Werte in ihrer Gesamtheit attackiert. Genau darauf macht das Buch aufmerksam und verdient deshalb große Beachtung.

– Klaus Faber, Julius Schoeps und Sacha

Stawski (Hg.): Neu-alter Judenhass. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2006. 424 Seiten, 24,90 Euro

Hier bei Amazon erhältlich(gebundene Ausgabe)
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Alt 14-01-2007, 21:20   #2
simplify
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Re: Israel als „kollektiver Jude“

Zitat:
Original geschrieben von Marc7even
Alle Autoren stellen in ihren Beiträgen eines fest: Der neue Antisemitismus kommt nicht ohne den Nahostkonflikt aus.
zumindest in deutschland konnte führer natürlich ein mann wie michel friedmann den nahostkonflikt voll ausgleichen.
vielleicht war ja sein früheres auftreten seinder drogensucht zuzuschreiben?
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