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Alt 18-05-2004, 10:00   #1
Vogtlandsiggi
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Ein lesenswerter Artikel !!!

C.Hausser
Autor: Christian Hausser
11:49 | 28.04.04




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Die Ruhe vor dem Sturm ?

Erinnern Sie sich noch als der japanische Aktienindex Nikkei anfangs 1990 in der Nähe von 40.000 Punkten notierte? Zu jener Zeit begriffen nicht einmal die grossen "Bären", wie dramatisch sich die fundamentale Situation Japans in den nachfolgenden Jahren verschlechtern würde. Der Markt lernte diese Lektion auf schmerzhafte Art und Weise, denn heute notiert der gleiche Index knapp über 10.000 Punkten. Dies ist ein Verlust von etwa 75% im Verlaufe von 12 Jahren.
Dass Aktien langfristig immer steigen, ist damit entweder widerlegt oder zumindest bezüglich der Zeitachse deutlich relativiert gegenüber der weit verbreiteten optimistischen Meinung.
Mitte der 90er Jahre begannen zahlreiche Märkte der Schwellenländer eine große Baisse, und selbst in Lokalwährung, geschweige denn in US-Dollar oder Euro gerechnet, sind auch dort die Anleger trotz zwischenzeitlich kräftigen Erholungen noch immer deutlich unter Wasser. Seit einigen Jahren vertreten wir die Ansicht, dass auch die Märkte der USA und Europas vor mehrjährigen strukturellen Baissen nicht geschützt sind und einem ähnlichen Schicksal entgegensteuern können. Der Prozess ist bereits in vollem Gange, haben doch die Aktienindizes der großen Märkte - die Bärenmarktrallye des letzten Jahres miteinbezogen - bereits rund die Hälfte ihrer Spitzenwerte verloren. Die überwiegende Mehrheit der "Experten" vertritt nach wie vor die Meinung, dass weder die Weltwirtschaft größere Probleme, noch die Aktienmärkte in den kommenden Jahren weitere Verluste erleiden könnten. Dagegen wird bereits seit Beginn der Baisse vehement die Meinung propagiert, dass Aktien nun günstig bewertet seien und deshalb auf einige Jahre Sicht eine erfolgreiche Anlage sein würden. Aus diesen Gründen warnen viele "Experten" seit dem ersten Einbruch im Jahre 2000 vor dem Verkauf von Aktien, da man keinesfalls die Nerven verlieren sollte und der Markt völlig irrational nach unten übertrieben habe.

In den nachfolgenden Ausführungen geht es uns darum, sachlich die Probleme beim Namen zu nennen und eine nüchterne Analyse der Lage und die daraus möglichen Folgen darzustellen. Als professionelle Anleger, die von einem Teil ihrer Kunden primär für anhaltende Wertsteigerungen bezahlt werden, können wir uns den Luxus nicht leisten, über Jahre falsch zu liegen und zu behaupten, die Märkte seien irrational.

In unserer etwas abstrakten Analyse funktioniert die Volkswirtschaft der USA als Schwungrad für die Weltwirtschaft. Mit anderen Worten sind die übrigen Volkswirtschaften der Welt lediglich von der US Konjunktur angetriebene Satelliten.
Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass eine gesunde wirtschaftliche Expansion mit steigenden Unternehmenserträgen beginnt. Dies führt dann zu vermehrten Investitionen. Dort entsteht dann der vielfach zitierte Multiplikatoreffekt, der zusätzliche Arbeitsplätze, ein steigendes Einkommen und daraus einen höheren Verbrauch nachzieht.
Ein ernsthaftes Problem für die Industrieländer ist die Globalisierung. Im Laufe der letzten zehn Jahre hat sie sich mit aller Kraft ausgebreitet und damit neue und inzwischen sehr leistungsfähige Wettbewerber geschaffen. China ist heute praktisch in der Lage, fast alle Produkte des Westens mit gleicher Qualität, jedoch um mindestens ein Drittel günstiger, herzustellen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird China beispielsweise gegenüber Boeing und Airbus mit gleichwertigen Flugzeugen konkurrieren.

Die Folge davon ist ein stetiger Abwärtsdruck auf Produktpreise, Gewinnmargen und Unternehmenserträge in den Industrieländern. Damit wird die Quelle einer anhaltenden wirtschaftlichen Expansion strukturell geschwächt. Dieser Prozess und das resultierende Problem ist deflationärer Natur und wird noch viele Jahre dauern.

Das zweite Problem ist der Aufbau von massiven Ungleichgewichten in der amerikanischen Volkswirtschaft, dem Schwungrad der Weltwirtschaft. Seit vielen Jahren werden jeweils alle auftretenden wirtschaftlichen Probleme primär über eine großzügige Geldversorgung bzw. Senkung der Zinssätze bekämpft. Ganz besonders ausgeprägt stellen wir dies in den USA fest. Zwar wurden jeweils die akuten Probleme kurzfristig gelöst bzw. überdeckt, jedoch wurden damit bereits auch die nächsten aufgebaut. Das letzte Beispiel ist 1998 als die asiatische Region sowie Rußland in eine große Krise stürzten, die wiederum das globale Kreditsystem gefährdete. Die damals von den Notenbanken neu geschöpften liquiden Mittel - übrigens ohne einen gleichsam erhöhten Mehrwert in der Realwirtschaft - endeten schlussendlich in den Branchen Telekommunikation und Technologie und finanzierten jene Blasen.

Diese seit vielen Jahren betriebene einseitige und sehr kurzsichtige Wirtschaftspolitik wurde auch in den letzten Krisen eingesetzt, als die Technologie- und Telekomblase platzte, und jüngst aufgrund globalpolitischer Unruhen.
Die Folge dieser Politik ist ein immer größerer Turm von Krediten relativ zur Gesamtwirtschaft. Inzwischen weist "Corporate America" die schwächsten Bilanzen seit den 20er Jahren auf. Das Total aller Kredite der öffentlichen Hand, des Unternehmenssektors sowie der privaten Haushalte ist mit 35 Billionen USD (35.000.000.000.000.--) jetzt mehr als dreimal so groß wie das Bruttoinlandprodukt. Noch 1980 war es lediglich 1,5 mal das BIP. Mit einem Zinssatz, der noch deutlich über dem Wachstum des nominellen Bruttoinlandsproduktes steht, wird die Bedienung der ausstehenden Schulden zunehmend problematischer, was sich auch in den letzten Quartalen bereits in der höchsten Ausfallquote am Bondmarkt der USA seit den 30er Jahren zeigt.

Zu dieser Ausgangslage kommt für Europa noch hinzu, dass sich der alte Kontinent mit der Einführung des Euro noch eine selbstgewählte deflationäre Zwangsjacke im dümmsten Moment unserer Wirtschaftsgeschichte übergezogen hat. Aufgrund der Maastrichter Verträge dürfen die Mitgliedstaaten keine Defizite von mehr als drei Prozent des BIP aufweisen, sonst werden die entsprechenden Staaten mit drakonischen Geldstrafen belegt. Obschon alle Regierungen kreative Buchhaltungsführung betreiben - wie viele Unternehmen auch - fällt dadurch die Fiskalpolitik vorderhand als aktiv einsetzbares Instrument für Europa aus. Bezüglich ihrer Geldpolitik richtet sich die Europäische Zentralbank nach den Zahlen des Eurolandes aus. Da die Mitgliederländer aber völlig unterschiedlich sind - und insbesondere die Bundesrepublik mit der Finanzierung der Ostländer namhaft geschwächt bleibt - ist der Zinssatz für die einen viel zu hoch (Deutschland, Frankreich, Italien) und für die anderen viel zu tief. Während Irland und Portugal boomen wachsen die Volkswirtschaften der Kernländer nominal noch lediglich 1,5 Prozent oder weniger. Mit dem aktuellen Geldmarktsatz bleibt damit die Geldpolitik für Kerneuropa sehr deflationär. Als Folge der bisher gemachten Äußerungen müssen die Erwartungen bezüglich der Unternehmensgewinne völlig neu beurteilt werden. Seit dem zweiten Weltkrieg wuchsen diese in Europa wie auch in den USA mit sieben Prozent p.a.. Ebenso zeigt sich, dass die Gewinne im Gleichschritt mit dem Wachstum des nominellen Bruttoinlandproduktes wachsen. In einer praktisch inflationsfreien Welt kann in den kommenden Jahren von maximal ein bis zwei Prozent Wachstum ausgegangen werden. Zur Zeit schätzen die Experten noch, dass die Unternehmensgewinne in den USA mit 10,5% und in Europa mit 6,5% p.a. in den kommenden fünf Jahren wachsen.

Hier werden wir mit laufenden Enttäuschungen rechnen müssen. Schließlich wird für weniger Wachstum auch weniger bezahlt, d.h. dass die Bewertung von Dividendenpapieren in den kommenden Jahren im Trend ebenso deutlich fallen wird.
Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass von drei der vier Säulen im Bereich der Geldanlage in den nächsten Jahren abgeraten werden sollte. Die bereits absolut unattraktiven, risikolosen Zinssätze am Geld- und Kapitalmarkt tendieren in Europa zu einer weiteren Senkung. Die Renditen der "Corporate Bonds" werden aufgrund der weltweit schlechten Ertragslage ebenfalls massiv unter Druck kommen - dazu kommt ein hohes Ausfallrisiko analog der Big Player Enron, Worldcom, Global Crossing. Schließlich eignen sich die volatilen Indizes sogar des eher konservativen DAX bzw. Dow Jones aktuell nur für das Spielgeld spekulativer Anleger.

Die Anleger, institutionelle wie auch private, werden ihr Verhalten früher oder später ebenfalls auf eine "absolute Wertentwiclung" ausrichten müssen. Relative Performance ist eine Strategie, die sich ausschließlich für strukturelle Bullenmärkte eignet - und für den Rest dieses Jahrzehnts ist dies kaum mehr zu erwarten.
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Grüße von SIGGI
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Alt 18-05-2004, 12:42   #2
Tester32
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Ich sehe die Entwicklung bis zum Ende des Jahrzents auch nicht rosig, aber ob es genauso eintrifft, wie im Artikel? Hier ein paar meiner eigenen Gedanken:

1. Inflation/Deflation.

Die steigende Produktion in China/Indien führt auch zu einiem höheren Konsum der Chinesen/Inder. Wenn die Rohstoffe aber auf mehr Produkte verteilt werden müssen, dann kommt es zu deren Verknappung und Verteuerung. Als Folge Inflation, wie wir sie momentan z.B. an den deutschen Tankstellen sehen. Die vom Author des Artikels oben beschriebenen Gründe für deflationäre Tendenzen bleiben aber auch und sind u.a. ein Grund, warum man nach der Meinung meines Bekannten (Immobilienmagnat) zur Zeit keine Immobilien in Deutschland kaufen sollte, bis auf absolute Ausnahmefälle zu absoluten Schnäppchenpreisen.

Klar, drucken die EZB/Fed viel Geld. Aber man darf dabei nicht vergessen, daß diesee teilweise exportiert wird und den Wirtschaftskreislauf in Drittländern ohne eigene ausreichend stabile und konvertierbare Währungen beschleunigt. Es kommt praktisch in den externen Geldumlauf und muß nicht zwangsläufig eine Inflation verursachen. Kann aber.

Welche Tendenz wird denn nun stärker sein, die Inflationäre oder die zweifellos vorhandene Deflationäre? Wer weiß das schon! Auch ich nicht. Ich weiß nur, daß die Zinserhöhungshysterie der letzten Wochen übertrieben war und das es zu früh ist, Bonds abzuschreiben. Und wenn die deflationären Tendenzen in ihrer wirkung stark bleiben, dann ist es auch zu früh, die EM-Bonds und Schrottanleihen aus dem eigenen Portfolio zu streichen, denn bei mäßigen Zinsen werden sich viele Schuldner noch lange refinanzieren können.

2. Aktienmarkt.

Ich habe gestern einen Brief von Tweedy Browne erhalten. Dort wurde auf eine Analyse hingewiesen, die besagt, daß die aktuelle Übertreibung an den US-Börsen momentan deutlich höher sein könnte, als in 2000. Damals sollen nur die großen Indizies stark überbewertet gewesen sein. Heute seien sie zwar gefallen, aber dafür habe das durchschnittliche KGV des gesamten Marktes von ca. 13 auf ca. 18 angezogen. Damit ergebe sich nach unterschiedlichen Maßstäben gegenüber dem historischen Durchschnitt bei verschiedenen Parametern (KGV, Kurs/Buchwert etc.) eine Überbewertung von 15% bis 40%, trotz der seit 2000 um ca. 20% gestiegener Gewinne.

Ich kann die Zahlen nicht überprüfen. Aber auch nicht widerlegen. Und wenn die US-Börse runtergehen wird, dann werden die anderen wahrscheinlich auch mitgezogen, wenn sie sich nicht abkoppeln. Für Stock Picker könnten sich damit interessante Einstigespunkte wie manche DAX-Werte im letzten Jahr ergeben. Ob man aber jetzt breit in Aktien investiert sein muß oder liber mehr Käsch hält? Soll jeder selbst entscheiden. Ich bin mit ca. 27% drin.

Grüße
Tester32
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