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Alt 19-07-2005, 11:59   #1
Auf Wunsch gelöscht
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Unternehmenskultur: Kann man die lernen? Man muß nur dran glauben.

Scient Corp. zählt selbst unter den Boom-Companies zu den Senkrechtstartern. Im vergangenen Jahr wuchs die Zahl der Mitarbeiter um 700 Prozent, und in diesem Jahr wird es ähnlich sein. Das bedeutet: Zu jedem Zeitpunkt ist die Hälfte der Belegschaft weniger als drei Monate im Unternehmen. Damit die Firma überhaupt funktionieren kann, schleust sie jeden neuen Mitarbeiter durch einen Crash-Kurs: Spark. Hier sollen die Funken gebildet werden für eine Firma, die ein Feuer sein will.


Am Abend des dritten Tages, nach 30 Stunden Kennenlernspielen und Powerpoint-Präsentationen, Charts und Videos, Motivationsübungen und Frage-und-Antwort-Runden, ist das Ziel erreicht. Schweigend treten die 31 Novizen auf die Dachterrasse des Shaklee-Building. Blicken hinauf in den stahlblauen Abendhimmel über San Francisco. Hören 36 Stockwerke unter sich das urbane Grundrauschen aus Klimaanlagen und Feierabendverkehr, der über die Oakland Bridge ins Napa Valley brandet.
Es ist ein großer Moment. Die Welt liegt jetzt zu ihren Füßen. Katie, 30, hält die Augen geschlossen. Chris vom Boston Office legt seine Hand auf die Schulter von Gavin, einem hoch gewachsenen Ethnologen aus Austin. Sean, ein ehemaliger Arthur-Andersen-Berater mit kahl geschorenem Schädel, schwitzt still vor sich hin. Selbst Peter, der notorische Selbstdarsteller aus dem Londoner Büro, hält für ein paar Minuten den Atem an, bildet mit den anderen einen Kreis, schweigt.
Bis gestern waren sie noch IT-Manager, Consultants, PR- Assistenten, Ethnologen, Kundenberater, Programmierer, Buchhalter, Sekretärinnen oder Studenten in England, Kanada oder den USA, die meisten von ihnen zwischen 25 und 35 Jahren alt.

Ab heute sind sie nur noch eines: Mitglieder eines legendären Teams. Mitarbeiter von Scient. Legenden. We´re gonna build the most legendary company in the world! Joanna Sibley, ihre Karrieretrainerin, sagt es immer wieder. Der Einsatz jedes Einzelnen entscheidet darüber, ob dieses gigantische Unternehmen weiter so legendär wachsen wird, hat sie gerufen. You´re gonna build it!
„Diese Firma boomt. Für mich bedeutet das: Ich kann hier schnell vorwärts kommen“, freut sich Darren, 25, System-Supporter aus London. Für Katie, die bis vor kurzem in New York als PR-Assistentin arbeitete, fühlt sich der ganze Laden „irgendwie jazzy“ an, „jedenfalls ganz anders als jede andere Firma, für die ich bislang gearbeitet habe“. „Ich habe mich genau umgesehen, bevor ich zu Scient gegangen bin“, erzählt Chris, 41, ein bedächtiger Kundenberater aus Boston, „und ich bin überzeugt: Scient hat etwas, das andere nicht haben.“
„Spark“, Funke, nennt sich jener Kurs, mit dem Darren, Katie und die anderen binnen fünf Tagen auf Scient eingeschworen werden. Joanna Sibley ist dabei das Funkenmariechen, enthusiastisch, energiegeladen und gut gelaunt. Die 31-Jährige ist erst im Dezember vergangenen Jahres von The Gap zu Scient gewechselt, weil sie „Teil dieses unglaublich dynamischen und aufregenden Unternehmens“ sein wollte. Jetzt schleust sie Woche für Woche zwischen 30 und 100 Neulinge durch ihre Mischung aus Motivationsprogramm, Mitarbeiterschulung und Erweckungsgottesdienst. Jeder neue Mitarbeiter - egal, ob Rezeptionistin im New Yorker Office oder Vice President beim Singapur-Ableger - wird an seinem ersten Arbeitstag ins Scient-Hauptquartier nach San Francisco geflogen und eine Woche lang gesparked. „Unser Führungsteam investiert enorme Summen in dieses Programm“, erklärt Joanna, „aber der Aufwand ist unabdingbar, wenn wir unsere Kultur bewahren wollen. Und ein Unternehmen, das so schnell wächst wie wir, kann nur überleben, wenn es seine Kultur bewahrt.“

Scient hat keine Geschichte, nichts zum Anfassen. Also muss man Scient spüren

Scient wächst nicht, Scient explodiert. Die Firma ist nicht einmal drei Jahre alt und schon eine der weltweit führenden eBusiness-Beratungsfirmen. „Auf dem Markt für eBusiness-Systemberatung übersteigt die Nachfrage das seriöse Angebot bei weitem“, erklärt Randy van Feldt vom Scient-Führungsteam. „Kundenakquisition ist für uns wie Trinken aus einem Feuerwehrschlauch.“ Insgesamt 65 Kunden, darunter Player wie Johnson & Johnson, AT & T, Chase Manhattan, aber auch Newcomer lassen sich von der Boom-Company ihr eBusinness aufrüsten.
Für jeden dieser Kunden wird ein Team aus Kundenberatern, Marketingspezialisten, Systemarchitekten, PR-Fachleuten und Grafikdesignern beschäftigt. Deshalb hat sich Scients Mitarbeiterstab in den letzten 18 Monaten von 120 auf 1499 mehr als verzehnfacht. Doch zu viele hastig angeworbene Mitarbeiter bergen das Risiko von Qualitätsverlusten. Schlechtere Qualität bedeutet weniger attraktive Kunden, geringere Erträge, abnehmende Marktkapitalisierung, lädiertes Markenimage und geringere Chancen im Kampf um umkämpfte Spezialisten. Ein tödliche Abwärtsspirale.
Scient operiert seit der Gründung am Rande dieser Crash-Zone. Im Shaklee-Building kann man dem Monsterbaby beim Aus-den-Nähten-Platzen zusehen. Die Firma ist hier erst vor 14 Monaten eingezogen - zuerst in zwei, dann in sieben, mittlerweile in neun Stockwerke. In allen neun Stockwerken gibt es mit Ausnahme der fleckigen Auslegeware des Vormieters nichts, was älter als ein paar Monate ist. Und nichts, was man nicht innerhalb von 24 Stunden demontieren könnte.

Man kann Scient nicht anfassen. Das ist die eigentliche Gefahr. Denn keiner der umworbenen IT-Spezialisten, die Scient jede Woche dutzendweise anheuert, würde je bei einem unfassbaren, konturlosen Unternehmen einsteigen wollen. „Die traditionellen kompetitiven Vorteile gegenüber Wettbewerbern zählen heute nicht mehr“, erklärt Andrew Blum, Managing Director bei The Trium Group, einer Beratungsfirma, die sich auf „Internal Branding“ spezialisiert hat. Der Erfolg eines Unternehmens, meint Blum, hänge vielmehr zunehmend von immateriellen Werten wie „Marke“ und „Kultur“ ab. Smarte Unternehmen investieren in beides und entwickeln sowohl für Kunden wie auch für Mitarbeiter wertvolle, weil deutlich sichtbare Unterscheidungsmerkmale.
Wie aber kann ein Unternehmen, das gerade aus dem Nichts entstanden ist, eine Unternehmenskultur darstellen? Die Lösung lautet: über Legenden. Mythen. Eine Kultur aus der Retorte. „Legenden“ ist neben „Spirit“ und „Challenge“ eines der Hauptwörter in der Scient-Sprache. „It takes courage to do legendary work“, liest jeder Mitarbeiter morgens auf einem grün-weißen Poster, sobald er aus dem Fahrstuhl tritt.

„Vor euch liegt eine legendäre Zeit, die ihr nie vergessen werdet“, gibt Joanna den Spark-Schülern mit auf den Weg. „Wir sind dabei, das legendärste Unternehmen der Welt zu bauen“, beschwört der Vorstandsvorsitzende Bob Howe in einem der zahlreichen Präsentationsvideos.
„Wir bei Scient haben einen Spruch: ,We´re on fire‘. Warum? Weil wir das heißeste Unternehmen der Welt sind“ (Chris Lochhead, Marketing-Manager). Das ist der Mythos. Scientism hat viel mit solchen Mythen zu tun. Das Kalkül ist einfach: Je mehr Mitarbeiter überzeugt sind, bei einem hervorragenden Unternehmen zu arbeiten, umso bessere Arbeit werden sie leisten, umso hervorragender wird dieses Unternehmen tatsächlich dastehen. In der Psychologie nennt man so etwas Suggestion. Am Ende einer erfolgreichen Suggestion steht eine Selffulfilling Prophecy: Scient is the most legendary company in the world.
Wie aber verleiht man einer virtuellen Legende Nachhaltigkeit, wie füllt man sie mit Leben? Auch daran haben die Scient-Gründungsväter gedacht. „Uns war klar, dass man eine Unternehmenskultur nur auf Basis allgemein gültiger Werte entwickeln kann“, erinnert Randy van Feldt, Scient-Employee No. 3. „Also haben wir gleich zu Anfang Werte definiert, bei denen jeder sagen konnte: „Genau. Das ist die Firma, für die ich arbeiten möchte.“ „Community“, fanden die Pioniere, gehöre auf jeden Fall dazu, ebenso „Innovation“, „Excellence“ und „Growth“. Außerdem „Urgency“ und natürlich „Spirit“. „Fun“ stand auch zur Diskussion, wurde aber verworfen, weil jeder etwas anderes darunter versteht. Was unter den anderen Werten verstanden wird? Bei Spark ist jeder Kurstag einem der Scient-Werte gewidmet. Am „Growth“-Tag entwickelt Randy van Feldt elektrisierende Perspektiven. „Im Jahr 2003 wird sich der weltweite eBusiness auf 2,3 Billionen Dollar belaufen“, prophezeit er und bemerkt: „Wie man sieht, arbeiten wir auf dem richtigen Feld.“ Am „Innovation“-Tag lässt Charles Warren vom „Scient Innovation Acceleration Laboratory“ alle Sparkler aufstehen, in die Knie gehen, sich nach vorn lehnen wie Surfer auf ihren Brettern. „Seht ihr? Das ist die Haltung, die ihr einnehmen sollt: vorwärts! Innoviert!“ So leicht geht das.

Erfahrung schafft Zusammenhalt, die Basis des großen, wertvollen Ganzen

Zwischendurch erfahren sie alles Wichtige über das Ausfüllen ihrer Stundenzettel, über das firmeneigene, „The Zone“ genannte Intranet und - gesetzlich vorgeschrieben - über die Gefahren und Konsequenzen sexueller Belästigung.
Am vorletzten Tag schwört Joanna die Novizen auf eine zielgerichtete Karriereplanung ein. „Nächste Woche werdet ihr auf einen Zug aufspringen, der mit einer Million Meilen pro Stunde rast. Also: Plant eure Karriere! Seid so aktiv, wie ihr könnt!“ Positive Beiträge belohnt sie, indem sie wie einst Hänschen Rosenthal in die Höhe hüpft, dem Kandidaten einen Spielzeug-Feuerwehrwagen zuwirft und brüllt: „You are on fire!“ So weit zum Thema „Urgency“.
Aber wie vermittelt man „Spirit“? Indem man wie der Vorstandsvorsitzende Bob Howe, eine Pepsi-Dose in der Hand, in die „Spark“-Klasse schlendert und allen „die faszinierendste Zeit ihres Lebens“ wünscht? Und wie initialisiert man eine „Community“ - außer dadurch, dass man jeden Abend eine andere Teilnehmer-Gruppe den Tagungsraum aufräumen lässt? Indem man jeden Sparkler mittags von einem „altgedienten“ Mitarbeiter, seinem persönlichen „Scient-Buddy“, zum Lunch ausführen lässt?
Andrew Blum sieht einigen Wert in solchen gemeinsamen Erfahrungen. „Scott McNealy von Sun Microsystems spricht von solchen Kursen als der Kunst, alles Holz in einem Pfeil unterzubringen. Ich denke, das ist eine großartige Metapher. In diesen Tagen macht jeder dieselbe Erfahrung, dadurch entstehen Zusammenhalt und eine gemeinsame Kultur. Je intensiver diese Erfahrung ist - und Intensität wird entweder durch Schmerz oder durch Spaß erzeugt - umso wirkungsvoller wird der Zusammenhalt sein.“
Wenn Joanna ihre 31 Sparkler an die mächtige, sich rasant fortbewegende Scient-Maschine schmieden will, muss sie jedem Schräubchen suggerieren, es sei eine Schiffsschraube. Exakt jener Teil der Maschinerie, auf den es hier ankommt. „Es ist ganz einfach: Jeder will Teil eines großen Ganzen sein“, sagt die Kursleiterin. „Und dieses Gefühl gibt Scient seinen Mitarbeitern.“

An diesem Abend, an dem sich die Sparkler auf dem Dach des Shaklee-Building versammeln, entsteht tatsächlich kurz so etwas wie Magie. Das flüchtige Gefühl, an etwas Großem teilzuhaben. „Was werdet ihr von diesem Tag mit in euren Job nehmen?“, flüstert Joanna in die Stille hinein. „Viel Enthusiasmus“, sagt Sean heiser. Steve: „Dies ist meine erste Firma, die sich wirklich Gedanken um ihre Kultur macht.“ Chris: „Wir sollten versuchen zu leben, was wir hier gelernt haben.“ Dann rücken sie noch enger zusammen, ballen ihre Fäuste, holen tief Luft und brüllen aus 31 Kehlen: „Go Scient!!!“ Ab Montag wird sich zeigen, wie weit der Funke trägt.
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Alt 19-07-2005, 12:25   #2
OMI
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Ich mag sonst keine langen Texte - aber der hat gefesselt!
Was ich persönlich davon halte? Das weiß ich jedoch nicht ....
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Schöne Grüße
OMI
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Alt 19-07-2005, 14:02   #3
Auf Wunsch gelöscht
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Wenn man sich die Zeit nimmt, dann findet man oft interessante Sachen.
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Alt 19-07-2005, 14:17   #4
Graf Zahl
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alleine der Name Scient... geht irgendwie in Richtung Scientologie oder Gehirnwäsche oder was weiss ich.

Zu viel Motivationskram kann auch schiefgehen, vor allem wenn mal was nicht klappt wie es klappen soll. Wenn die Zahlen nicht mehr stimmen, ist diese legendäre Firma auch nicht besser als die Wettbewerber.

Aber eine interessante Story
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Alt 19-07-2005, 14:40   #5
OMI
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Zitat:
alleine der Name Scient
Ja, das war auch einer meiner ersten Gedanken ...
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Schöne Grüße
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