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Alt 24-09-2002, 20:48   #1
Starlight
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Dr. Hans-Dieter Schulz -- Die Aktien-Blase ist noch nicht zu Ende

Dr. Hans-Dieter Schulz


Die Aktien-Blase ist noch nicht zu Ende

Am Anfang eines Trends an Kapitalmärkten stehen jeweils sehr professionelle Investoren. Kurz vor dem Ende eines Trends werden mehr und mehr Anleger auf ihn aufmerksam – wenn es beinahe zu spät ist, von ihm zu profitieren.. Privatanleger springen dann in Massen in den Markt. Kurze Zeit später läuft der Trend aus. Viele Anleger bleiben auf Verlusten sitzen, da sie ihre Entscheidung nicht schnell genug revidieren.

Daher besteht eine erfolgreiche Strategie darin, immer wenn extreme Massenbewegungen auftauchen, die Gegenposition zu beziehen. Die Mittelzuflüsse zu Investmentfonds geben Aufschluß über genau jene Gruppe der Privatanleger, die erst dann in Trends investieren, wenn sie bereits etabliert sind. Sie werden somit regelmäßig zum falschen Zeitpunkt am Markt in die eine oder andere Richtung aktiv. Der Chart zeigt deutlich, wie die lokalen Hochpunkte der Mittelzuflüsse jeweils ein Hoch bei den Aktienkursen markieren. Besonders beachtenswert ist die Rekordnachfrage nach Aktienfonds und der zeitgleich auftretende Hochpunkt der Aktieneuphorie im März 2000..


Auffällig ist im Kursverlauf der dynamische Anstieg ab 1995: Wie in einer Preisblase stieg das Kursniveau des S&P 500 Index innerhalb von nur fünf Jahren um 200% von 500 auf über 1500 Punkte. Inzwischen sind die Kurse auf ihren langfristigen Aufwärtstrend zurückgekommen. Im Juli 2002 wurde dieser sogar unterschritten. Der mittelfristige Abwärtstrend, der mit der Eintrübung der Konjunkturaussichten in 2000 begann, bleibt weiterhin intakt. Da eine substanzielle Belebung der Konjunktur noch nicht absehbar ist, könnte nun eine Fortsetzung der Kurskorrektur bis auf das Niveau, von dem die Blase startete – also auf 500 Punkte – anstehen.

Auf beunruhigend niedrigem Niveau befindet sich derzeit der Anteil der liquiden Mittel amerikanischer Investmentfonds. Er liegt mit 4,6% nur knapp oberhalb des historischen Tiefs von 4,0% von Anfang März 2000. Damit ist er nur zweieinhalb mal größer als der Netto-Mittelabfluss aus Aktienfonds vom Juli in Höhe von 50 Mrd.$. Das heißt, falls sich amerikanische Privat-Investoren in den kommenden Wochen dazu entschließen sollten, per Saldo mehr als 100 Mrd.$ an Fondsanteilen zurückzugeben, wären Fondsmanager gezwungen, Aktienbestände weiter abzubauen. Damit würde der ohnehin starke Kursdruck noch erhöht werden.

Was es für den Markt heißt, wenn Investoren zu Aktienverkäufen gezwungen sind, sehen wir gegenwärtig in Deutschland. Als der Dax vergangene Woche die 3300 Punkte unterschritt, schickte das Bundesaufsichtsamt für das Finanzwesen an etliche Versicherungen blaue Briefe mit der Anweisung, innerhalb kurzer Frist ihre Aktienbestände zu reduzieren. Das Resultat dieser Notverkäufe war ein weiteres Absinken des Aktienmarktes um 10% innerhalb weniger Tage.

Doch zurück zu den US-Fondsmanagern. Sie könnten die hier skizzierte Gefahr erkennen und bereits jetzt vorbeugende taktische Verkäufe tätigen, getreu der Regel: „If panic, panic first!“ Die Zuflüsse zu US-Fonds sind nach 14 Jahren positiver Zuflüsse per Saldo bei Null angekommen. Diese signifikante Veränderung im Verhaltensmuster von Privat-Anlegern wird spätestens im Herbst Änderungen bei der strategischen Ausrichtung vieler Fonds anstoßen. Da Anlagerisiken immer mehr in den Fokus geraten sind, werden damit strategische Verkäufe bevorstehen.

Ein weiteres Übel kommt auf die amerikanische Wirtschaft und damit auch auf die Aktienkurse von fundamentaler Seite zu. Die Nachfragekrise, die auf den Investitionsboom der späten Neunziger Jahre folgte, hat im nicht-finanziellen Sektor zu einem Einbruch der Gewinne um über 60% seit ihrem Hoch im Jahr 2000 geführt. Dieser stärkste Gewinnrückgang seit 1931 ist in der Presse bisher noch so gut wie gar nicht angesprochen worden. Erstaunlich ist das nicht, hat doch die amerikanische Berichterstattungskultur seit Jahren einen Schleier über die wahren Zahlen geworfen. Im Fokus der Öffentlichkeit stehen die Veränderungen der Gewinnschätzungen von heute im Vergleich zu den Gewinnschätzungen von vor drei Monaten. Dieses Vergleichen von Erwartungen hat jedoch nichts mit der Realität der Wirtschaft zu tun..

Die großen Pleiten von K-Mart, Enron und Worldcom haben die Presse und die politischen Eliten stärker auf das Thema Gewinnverschleierung aufmerksam gemacht. Diese Fälle dürften jedoch erst die Spitze des Eisbergs darstellen. Die Wahrheit kommt immer ans Licht, in diesem Falle in unkontrollierten Schüben, deren Timing von Europa aus nur schwer vorherzusehen ist. Dies drückt gleichsam schubartig auf die Kurse.
Ein heftigeres Szenario ist auch denkbar. Die neue Gesetzgebung lässt es für Finanzmanager und Unternehmenslenker nicht mehr lohnenswert erscheinen, ihre Bilanzen zu frisieren. Möglicherweise kommt noch in diesem Jahr die volle Wahrheit über die desolate Gewinnlage der gesamten US-Wirtschaft auf den Tisch. Dann bestünde das Risiko enormen Verkaufsdrucks bis hin zu einem Krach.

Solange nicht die US-Zentralbank selbst Aktien kauft, wie die Bank of Japan dies gerade ganz offiziell tut, werden die Systemkräfte von alleine dafür sorgen, dass die Aktienbewertungen auf ein vernünftiges Niveau zurück kommen. Aus besagten Gründen ist es immer noch eine rentable Strategie über Hedge-Fonds oder direkte Leerverkäufe das Platzen der amerikanischen Aktienblase zu begleiten – das richtige Timing vorausgesetzt.

Unsere Frühindikatoren zur Konjunkturentwicklung zeigen negative Signale. Unternehmenskredite und Auftragseingänge gehen immer noch mit zweistelligen Prozentraten zurück. Und die Kapazitätsauslastung, die schon das erste „Dip“ der aktuellen Rezession zeitgenau anzeigte, ist erstmals seit mehreren Monaten wieder zurück gegangen und weist den Weg ins zweite „Dip“. Daß dieses ausgeprägter als das erste ausfallen dürfte und sogar das Risiko eines Rezessionsjahrzehnts besteht, darüber wird derzeit in amerikanischen Zentralbankkreisen diskutiert. Man hat auch schon ein Gegenmittel gefunden: künstliche Wirtschaftsankurbelung durch geldmengenfinanzierte Staatsausgabenprogramme.

Betroffen von der amerikanischen Wirtschaftsschwäche sind alle exportorientierten Wirtschaftsräume, also Japan und Europa, die derzeit im Gleichschritt ins Konjunkturtal marschieren. Sie wären gut beraten, sich langfristig in Richtung solcher Handelspartner zu orientieren, die noch erhebliches Nachfragepotenzial haben. Dazu zählen Südasien, China und die Länder des ehemaligen Ostblocks.

Daraus folgt für den Anleger, sich aus US-Aktien weiterhin langfristig zurück zuziehen. Ausnahme bilden Branche, die von Regierungsprogrammen profitieren wie den Rüstungsunternehmen. Bei europäischen Aktien sind die hoch bewerteten zu meiden. Dazu zählen insbesondere auch Schweizer Aktien, die sich irgendwann trotz der geschätzten Schweizer Qualität dem Abwärtssog nicht mehr entziehen können. Auch die noch gut dastehende Chemiebranche könnte in Mitleidenschaft gezogen werden. Versicherungen und Banken bleiben durch die Pleitewelle und die Börsenbaisse weiterhin belastet. Erfolgsversprechend sind Aktien von Unternehmen, die mit den genannten Wirtschaftsräumen Südasien, China und dem Ex-Ostblock zu tun haben. Unsere Empfehlung für Rohstoff- und insbesondere Goldaktien, die wir schon im März 2001 ausgesprochen haben, bleibt bestehen. Man kann hier von Kursschwankungen unbeeindruckt auf wahrscheinlich mehrere Jahre investiert bleiben.

Kurzfristig werden die Weltbörsen durch die Frage einer Invasion der USA im Irak in Spannung gehalten. Sollte der Krieg ausbrechen, könnte dies auf die Börsen befreiend wirken. Ein mehr-wöchiger bis mehr-monatiger Anstieg könnte beginnen, sobald die ersten Bomben fallen. Der Oktober bietet sich als Zeitfenster hierfür an. Er liegt zwischen den brasilianischen und den amerikanischen Wahlen. Bis es soweit ist, finden US-Treasuries bei den Anlegern mehr und mehr Zulauf. Deren Rendite liegt derzeit bei unter 4 Prozent, so tief wie seit 1963 nicht mehr. Wenn die US-Wirtschaft – wie von uns angenommen – weiterhin mit konjunkturellen und anderen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, sind Anleihen die richtige Alternative zum Aktienmarkt für die nächsten ein bis zwei Jahre. Staatsanleihen von Staaten erster Bonität und von gering verschuldeten Unternehmen mit AAA-Rating sind erste Wahl.

Dr. Hans Dieter Schulz/Felix Pieplow

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