Wenn alle die Dinge gleich sehen
von Dr. Bernd Niquet Gerade komme ich zurueck von der Internationalen Kapital- anleger-Tagung des ZfU in Zuerich - und mir schwirrt noch der Kopf. Zwei Tage ein konzentriertes Programm. Und immer wieder die selben Dinge. Nur jedes Mal aus einer anderen Sichtweise. Auch in diesem Jahr sind mir einige ganz besondere Dinge auf- gefallen. Erstens: Fast alle Referenten, von den notorischen Optimisten wie Kenneth Rogoff bis hin zu den ewigen Skepti- kern wie Marc Faber, teilen im Grunde genommen ein identi- sches Weltbild. Unterschiedlicher Meinung ist man nur in der Gewichtung der einzelnen Faktoren. Zweitens: Niemand hat auch nur einmal das Wort "Crash" in dem Mund genommen. Drittens: Alle vertreten eine falsche Geldtheorie. Und viertens: Der Trend weiter steigender Rohstoff- und Edelmetallpreise ist so deutlich, dass er an Deutlichkeit nicht mehr zu uebertreffen ist. Wenn an den Boersen jemals "geklingelt" worden ist, dann klingelt es jetzt. Dass die Rohstoff- und Edelmetallpreise (bei aller Volatilitaet) im Trend weiter steigen werden, ja steigen muessen, ist so eindeutig, dass fast kein Zweifel moeglich ist. Bleibt alleine die Frage, ob so etwas eigent- lich moeglich ist. China wird weiter wachsen, Indien wird weiter wachsen, alle Emerging Maerkte werden weiter wachsen. Das wird aufgrund der riesigen Anzahl der Menschen, um die es hierbei geht, die Rohstoffpreise ansteigen lassen. Betrachtet man die Welt als Ganzes, dann geht die Industrialisierung eigentlich erst jetzt richtig los. Was bisher in den bisherigen Industrie- staaten passiert ist, ist nur ein regionales und zumindest selektives Phaenomen. An einem weiteren und langfristigen Anstieg der Rohstoffpreise fuehrt damit kein Weg vorbei. Keiner! Die Loehne in China und Indien betragen nur etwa zwei (!) bis drei (!) Prozent des Lohnniveaus der Industrielaender. Es gibt daher keinen Mechanismus, die Verlagerung der Produktion zu stoppen. Selbst wenn China seine Waehrung um 100 Prozent aufwerten wuerde, waere das nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Von Lohnzurueckhaltung unsererseits ganz zu schweigen. Spiegelbildlich zu der hohen Produktion und dem vergleichsweise geringen Konsum in den aufstrebenden Laendern steht der hohe Konsum und die geringe Produktion in den USA. Daraus ergeben sich Ungleichgewichte, die nach Anpassung ver- langen. Der Konsens der Meinungen sieht diese Anpassung als langsamen Prozess, von riesigen Verwerfungen bis hin zu einem Crash spricht hingegen niemand mehr. Wirklich niemand. Das macht mich natuerlich etwas besorgt. Denn wenn niemand vom Crash spricht, dann ist es durchaus eine gefaehrliche Situation, die durch den ueberbordenden Optimismus an allen Assetmaerk- ten ebenfalls widergespiegelt wird. Die pessimistischste Meinungen, die ich gehoert habe, kam von Ralph Acampora und lautete, dass die Aktien im Jahr 2006 um etwa 20 Prozent kor- rigieren koennten, dann aber wieder eine treffende Chance fuer die naechsten Jahre boeten. Doch so etwas ist wohl kaum pessimistisch zu nennen. Hintergrund dieser Denkweise ist bei allen Marktteilnehmern die These von der "vagabundierenden Ueberschussliquiditaet", die ueberall hinstroeme, die Kurse treibe und von niemandem mehr recht eingefangen werden koenne. Wer meine Kolumnen re- gelmaessig liest, weiss, dass das Unsinn ist. Es gibt keine Ueberschussliquiditaet. Es gibt nur einen Ueberoptimismus. Hier koennte also eine zweite Achillesferse der Marktein- schaetzung zu finden sein. Was also tun? Ich plaediere dafuer, in die steigenden Aktien- kurse die Aktienbestaende etwas abzubauen und vom Gegenwert den einen Teil sofort in Rohstoffen (nicht aber Rohstoff- aktien) anzulegen und den zweiten Teil zu parken, um auf eine Korrektur der Commodities zu warten, um dann noch staerker dort zu investieren. Auf Sicht von fuenf bis zehn Jahren muesste sich das gut rechnen. Man darf zwischendrin aber nicht zittrig werden und sich durch heftige Preisschwankungen abschuetteln lassen. Es scheint mir an dieser Stelle durchaus angebracht, wieder das alte Kostolany-Beispiel auszugraben und es auf die heutige Zeit umzuwandeln: Rohstoffe kaufen (Endloszertifikate), in die Apotheke gehen, Schlafmittel nehmen, nach fuenf bis zehn Jahren schliesslich aufwachen und sich freuen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Es gibt keinen Realismus an den Börsen
12:09 30.01.06 Sind es Realisten oder Optimisten, die jetzt die Aktien kaufen? Und beim Gold? Sind es Goldoptimisten, die kaufen? Oder Systempessimisten? Es ist gar kein Pessimismus, der die Leute jetzt ins Gold treibt, schreiben mir viele Leser. Wer jetzt Gold kauft, ist vielmehr ein Realist. Ich komme dann stets mit der Gegenthese: Es gibt an den Märkten sowieso keinen Realismus. Es ist völlig unmöglich, an den Märkten Realist zu sein. Man kann immer nur Optimist oder Pessimist sein. Aber niemals Realist. Jeder Realismus kann sich stets nur auf die Gegenwart beziehen. Ein Realist kann man nur dann sein, wenn man glaubt, dass eine Aussage korrekt wiedergibt, was gegenwärtig der Fall ist. Da es an den Märkten jedoch ausschließlich um die Diskontierung der Zukunft geht, versagt das Realitätskriterium hier schon definitionsgemäß. Außerdem könnten Märkte niemals funktionieren, wenn es hier einen Realismus gäbe. Denn Marktpreise kommen stets nur dann zustande, wenn es zwei Marktseiten gibt. Doch wenn es prinzipiell möglich wäre, zu wissen, was gegenwärtig und zukünftig der Fall ist, wer sollte dann noch die Gegenposition dazu bekleiden. Dann müsste man behaupten, dass bei jedem Handel stets ein Kluger und ein Dummer aufeinandertreffen. Ich halte das für problematisch und sehe daher den Realismus an den Märkten als eine Unmöglichkeit an. Man kann immer nur optimistisch oder pessimistisch sein. Man kann zuversichtlich oder skeptisch eingestellt sein, aber niemals Realist sein. Natürlich ist das ein Schock für viele, wenn sie plötzlich erfahren, dass sie das, was sie immer zu sein glaubten, gar nicht sind. Aber ist es nicht ebenso ein Schock, dass das Prosa ist, was Sie hier lesen? Mit den besten Grüßen! Bernd Niquet berndniquet@t-online.de |
Was ist eigentlich Geld
von Dr. Bernd Niquet Ein Gespenst geht um in den Weltfinanzen - das Gespenst der uebermaessig ausgeweiteten Geldmengen. Und alle Maechte des alten Establishments haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbuendet. Die Financial Community teilt sich in dieser Hinsicht in zwei Gruppen auf: Die eine Haelfte hat eine falsche Geldtheorie. Und die andere Haelfte hat gar keine. Die entscheidende Frage lautet: Was ist eigentlich Geld? Die Ausfuehrungen der Wirtschaftswissenschaften zu diesem Thema sind beschaemend. Es existieren so viele Gelddefinition wie es unterschiedliche Theoriestroemungen gibt. Wenn die Aerzte die Krankheiten genauso definieren wuerden wie die Oekonomen das Geld, dann waeren wir alle schon laengst tot. Im Endeffekt erleben wir damit eine Anti-Objektivierung und Demokratisierung der Wissenschaft: Dem groessten gemeinsamen Nenner wird die Regentschaft auf Zeit verliehen. Was Geld ist und was nicht, ist nicht Resultat einer Sachentscheidung, sondern ein Kompromiss der verschiedenen Auffassungen. Das Geld regiert die Welt, doch keiner weiss eigentlich so genau, was darunter zu verstehen ist. In der Tyrannei kannte man den Unterdruecker noch sehr genau. In der Geldwirtschaft hingegen bleibt der Regent ein Phaenomen - und der Einzelne der sub- jektiven Spekulation ueberlassen. Was fuer ein Befund. Und dann passiert auch noch das Schlimmste vom Schlimmen. Ueber die Geldmenge M3, auf die sich zwischenzeitlich ein grosser Konsens als relevante Gelddefinition geeinigt hat, werden ab sofort von der US-Notenbank keine Zahlen mehr ver- oeffentlicht. Nun droht also der absolute Blindflug. Zeter und Mordio werden gerufen, und die Verschwoerungstheorien spriessen aus dem Boden: Jetzt gehe es unserem Geldwesen an den Kragen. Doch wie kann man eigentlich glauben, dass es dem Geld an den Kragen geht, wenn gar nicht klar ist, was Geld ist? Ein Phantom laesst sich doch nicht so einfach aufknuep- fen. Das Schwierige am Geld ist, dass es eine Doppelfunktion aus- uebt. Geld ist einerseits der Wertstandard, in dem alles, was selbst nicht Geld ist, bewertet wird. Und andererseits selbst ein Aktivum. Wenn ich fuenf Aepfel besitze, die jeder einen Euro wert sind, dann habe ich ein Vermoegen von fuenf Euro. Aber ich habe kein Geld. Hier beginnt das grosse Missver- staendnis des Geldes. Und es setzt sich fort, wenn man von Aepfeln zu weit liquideren Anlageformen kommt. Nehmen wir zuerst eine Staatsanleihe. Ist sie Geld? Nein, denn ich kann mit ihr nicht bezahlen. Sie ist zwar in Geld bewertet und zudem jeden Tag zu Geld zu machen, doch sie ist selbst kein Geld. Was ist mit einer Spareinlage? Ist sie Geld? Das ist schon schwerer, denn um sie fuer Zahlungen einzusetzen, muss ich sie nicht am Markt zu Geld machen, denn sie ist ja schon irgendwie Geld. Allerdings kein richtiges Geld und ein "Geld", das nicht heute, sondern erst spaeter verfuegbar ist. Spareinlagen sind also kaum als Geld zu bezeichnen. Und jetzt wird es ganz schwierig. Was ist mit den Sichteinla- gen bei einer Geschaeftsbank? Sind sie Geld? Denn sie sind taeglich verfuegbar und unbeschraenkt zu Zahlungen einsetz- bar. Wo ist jetzt noch der Unterschied zu Bargeld, also zu Geldscheinen oder Guthaben bei der Zentralbank? Das Fatale ist, dass in normalen Zeiten hier kein Unterschied zu merken ist. Im Gegenteil, Sichtguthaben erfuellen eigentlich viel besser die Geldfunktion als das Bargeld, weil sie viel besser zu transferieren und damit fuer Zahlungen zu benutzen sind. Und dennoch ist es unsinnig, Sichteinlagen als Geld zu be- zeichnen. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied: Geldscheine und Guthaben bei der Zentralbank sind Forderungen gegen die Zentralbank. Und Sichtguthaben bei Geschaeftsbanken sind stets Forderungen gegen eine Geschaeftsbank. Geht die Geschaeftsbank pleite, ist das Sichtguthaben futsch. (Und man muss auf den Einlagensicherungsfonds hoffen.) Das Bargeld und das Guthaben bei der Zentralbank bleiben davon hingegen unbe- ruehrt. Die Auswirkungen einer derartigen Interpretation unseres Geldwesens fuer das Verstaendnis der gegenwaertigen Lage der Weltfinanzen sind enorm. Aus Platzgruenden werde ich sie Ihnen jedoch erst am naechsten Wochenende an dieser Stelle naeher ausfuehren koennen. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Alles in Ordnung mit unserem Geld
von Dr. Bernd Niquet In der letzten Woche habe ich versucht, Ihnen eine passable Gelddefinition zu praesentieren. Sie lautet: Nur Bargeld ist Geld, also Geldscheine und Guthaben bei der Zentralbank. Denn nur sie sind Forderungen gegenueber derjenigen Stelle, die als einzige Bargeld emittieren kann. Sichtguthaben hingegen sind immer Forderungen gegenueber einer Privatbank. Sie er- fuellen zwar die Geldfunktion genauso gut wie Bargeld - manchmal vielleicht sogar besser -, doch sie sind stets dem Bonitaetsrisiko der Geschaeftsbank ausgesetzt. Sichtguthaben und alle weiteren geldnahen Aktiva wie Termin- guthaben und Spareinlagen koennen also stets nur in einem be- stimmten Verhaeltnis zum Bargeld entstehen oder von den Ge- schaeftsbanken "geschoepft" werden. Sie sind Forderungen fuer den Halter und Verbindlichkeiten fuer die Bank - und damit prinzipiell nichts anderes als die sonstigen Derivate. Hier existiert ein ganz aehnlicher "Turm" von Forderungen und Ver- bindlichkeiten, der auf einer streng limitierten Menge von Zentralbankgeld errichtet wurde. Das ist prinzipiell das Gleiche, wie es in der Finanzmaerkten bei Derivaten auf Ak- tien, Rohstoffe oder sonstige Kontrakte der Fall ist. Nun ist die Situation beim Geld jedoch einerseits einfach, andererseits verzwickter. Denn da das Geld (im Gegensatz zu den Aktien) der Wertstandard einer Geldwirtschaft ist (alle Waren werden in Geldpreisen ausgedrueckt und nicht in Aktien- preisen), ergibt sich fuer die Besitzer von Geldderivaten (also Sichtguthaben etc.) ein Vorteil und ein Nachteil: Der Vorteil ist, dass das Halten von Geldderivaten kein Kurs- aenderungsrisiko beinhaltet (der Preis von einem Euro Geld- derivat ist stets eins, also ein Euro). Der Nachteil ist allerdings, dass der Halter jedoch stets dem Systemrisiko ausgesetzt ist. Das bedeutet, wenn das Geldwesen als Ganzes zusammenbrechen wuerde, dann leidet der Besitzer von Geld- derivaten selbst dann darunter, wenn die Geschaeftsbank, ge- gen die er seine Forderungen hat, eigentlich die beste Boni- taet besitzt. Halter anderer Aktiva hingegen koennten davon unberuehrt bleiben. Aktien, Devisen und Rohstoffe haben bei einer Geldkrise sicherlich gute Chancen als Mittel zur Wert- erhaltung zu fungieren und daher in ihrem Kurs deutlich zuzu- legen. So - das war jetzt ganz schoen kompliziert. Und was laesst sich daraus folgern? Die wichtigsten Punkte sind fuer mich die folgenden: Die Zentralbankgeldmengen sind weltweit nicht sehr stark angestiegen. Was hingegen deutlich zugelegt hat, sind die hoeheren Aggregate wie M3. Das jedoch heisst: Der Geldumlauf hat sich keineswegs besorgniserregend gesteigert. Es wird nur ein immer groesserer "Turm" darueber gebaut. Muss uns das Sorgen machen? Einerseits denke ich nicht, denn die institutionellen Veraenderungen des Finanzwesens haben dazu gefuehrt, dass heute viel staerker mit Derivaten gear- beitet wird. Mann muss dazu nur einmal einkaufen gehen und beobachten, wie wenig Menschen ueberhaupt noch Geld benutzen. Aber auch der Anlagesektor bietet geldnahe Aktiva in Huelle und Fuelle, was bis vor einigen Jahren alles noch nicht der Fall war, so dass alle Statistiken, die Vergleiche zu den Siebziger und Achtziger Jahren anfuehren, deutlich hinken. Auf der anderen Seite ist jedoch auch nicht zu verleugnen, dass hier mittlerweile ein derart grosses Rad gedreht wird, dass einem schwindeln kann. Die Buecher der Banken und Fi- nanzinstitutionen blaehen sich immer staerker auf. Forderun- gen und Verbindlichkeiten explodieren wie die Pilze nach ei- nem warmen Regenguss. Ich muss nur an mein eigenes Depot den- ken, bei dem die ABN Amro ueber die ganzen Rohstoffzertifi- kate mittlerweile zum groessten Risiko geworden ist. Wenn hier irgendein Unfall passieren wuerde ... Doch das sind nur dumpfe Aengste ... Wer allerdings Bargeld direkt haelt, braucht sich tatsaech- lich keinerlei Sorgen zu machen. Man sollte beispielsweise nur daran denken, dass die Zentralbankgeldmenge in den USA zu mehr als hundert Prozent durch Gold gedeckt ist. Da sieht man einmal, wie sehr der Augenschein doch oft taeuschen kann. Dollarscheine sehen zwar aus wie Fetzen Papier, sind letzt- lich jedoch hart wie Gold. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
100 Jahre André Kostolany
Von Bernd Niquet Vor einer guten Woche wäre er hundert Jahre alt geworden, der „Altmeister“ der Börse, André Kostolany. Auch ich gehöre natürlich zu seinen Schülern – und auch mir ist es so gegangen wie vielen, dass ich schon in den frühen achtziger Jahren mit dem Buch in der Hand sehnsüchtig gestanden und auf ein Autogramm gewartet habe. Und natürlich, um vielleicht doch irgendwie eine ganz persönliche Einschätzung zu erhalten. Kosto, der erste und vielleicht einzige echte Popstar, den die Börse in den vergangenen Jahrzehnten herausgebracht hat. Ich habe damals im Zeitschriftenarchiv alle alten „Capital“-Nummern herausgesucht, die Kosto-Kolumnen kopiert und zu einem dicken Buch binden lassen. Und natürlich die Bücher gelesen. Viele Dinge sind bis heute unübertroffen – und werden es wohl auch auf ewig sein. Alleine die Geschichte des Vergleiches von Wirtschaft und Börse mit dem Spaziergang von Herrchen und Hund. Beide kommen auf jeden Fall zur gleichen Zeit zu Hause an. Doch was zwischenzeitlich passiert, ist weder kalkulierbar noch wichtig. Denn man braucht sowieso die vier großen „G“, um an der Börse Erfolg haben zu können: Gedanken, Geduld, Geld und Glück. Fehlt nur eines davon, dann sieht es schlecht aus. Kostolany hat das sogar auf eine Formel gebracht. Auch hier wieder unübertroffen. „An der Börse ist zwei Mal zwei stets fünf minus eins: 2*2=5-1.“ Ohne Berücksichtigung des Zeitfaktors ist also alles paradox. Die Gleichung geht erst dann auf, wenn genug Zeit verstreicht, um die Gedanken zur Geltung kommen zu lassen. Am meisten geschätzt habe ich stets Kostos Geisteshaltung. Den Kapitalismus zu verteidigen und ihn trotzdem kritisch zu sehen. Den Leuten etwas beibringen zu wollen, sich selbst aber nicht zu wichtig zu nehmen. Natürlich war er für die Tagesspekulanten nur ein alter Geschichtenerzähler. Doch wer bei Kostos Tod im Jahr 1999 ein Trader war, ist heute pleite. Und wieder hat der Altmeister Recht bekommen. Ja, Kostolany war ein begnadeter Geschichtenerzähler. Und genau darin lag seine Größe! Schließlich steht eine explizite Theorie dahinter. Sie lautet: „Der Finanzmarkt ist eigentlich ein Theater, an dem immer wieder das selbe Stück gespielt wird, allerdings jedes Mal unter einem anderen Namen.“ Besser kann man das nicht sagen. Doch genau an dieser Stelle beginnt die Schwierigkeit beim Verstehen von Kostolanys Weisheiten. Und nicht nur dieser; es ist vielmehr ein allgemeines Problem: Es gibt grundsätzlich zwei Arten des Verstehens – ein inneres und ein äußeres Verstehen. Unsere Wissenschaft reduziert sich auf das äußere Erkennen der Dinge. Hier werden Gesetzmäßigkeiten aufgestellt, welche zwischen den Dingen gesetzmäßige Beziehungen herstellen. Hierüber Bescheid zu wissen, ist wichtig. Es ist jedoch erst der erste Schritt. Der zweite Schritt ist es, dieses Wissen innerlich erlebbar zu machen. Und das geht nur durch eigene Erfahrungen. Das heißt: Kostolany kann man eigentlich erst dann wirklich verstehen, wenn man selbst erlebt hat, worüber er schreibt. Das ist natürlich paradox, weil seine Texte eigentlich schon beim ersten Lesen durchaus nicht einfach zu verstehen sind. Doch wie sollte eine Lektüre über etwas Paradoxes wie die Börse diese angemessen beschreiben und selbst nicht paradox sein. Das ist völlig unmöglich. Genau an dieser Stelle unterscheiden sich denn auch die Kenner von den Anfängern: Das Schwere leicht nehmen, das kann jeder Dummkopf. Doch um das Leichte schwer zu nehmen, dafür braucht man mindestens zwanzig Jahre Börsenerfahrung. Quelle: Instock.de |
Alles nur ein Spiel?
von Dr. Bernd Niquet Manchmal kommen mir Zweifel, wie lange das eigentlich noch gut gehen kann so. Meistens passiert das dann, wenn ich mein Depot durchgehe und die jeweils neuen Kurse eintrage. Irgend- etwas geht da immer beinahe senkrecht in die Hoehe. Derzeit kraenkelt der Dax etwas - zudem habe ich hier fast gaenzlich Kasse gemacht - da schnellen die Rohstoffaktien in die Hoehe als gaebe es kein Morgen mehr. Und unten auf der Strasse, da schuften der Baecker, der Handwerker und der Besitzer des Lebensmittelladens beinahe rund um die Uhr, um ihren Lebens- unterhalt zu bestreiten. Wer mit den Finanzen zu tun hat und sie einzusetzen weiss, der wird immer reicher. Und wer nur seine Arbeitskraft hat, wird immer aermer. Das ganze Leben ist nur ein grosses Spiel ums Geld und mit dem Geld. Wir gleiten anscheinend nicht nur mental, sondern auch wirtschaftlich und finanziell in die Spielphase zurueck. Kann so etwas gut gehen? Eine Antwort darauf ist nur schwer zu geben - und vor allem in den gaengi- gen Kategorien gar nicht zu erfassen. Der groesste Fehler der oekonomischen Theorie ist es aus mei- ner Sicht, dass sie stets am arbeitenden, konsumierenden und investierenden Haushalten und Unternehmen ansetzt. Dabei ent- steht ein idealistisches Zerrbild, denn in Wirklichkeit ist es wohl eher die Anhaeufung und Mehrung der Vermoegen, die unser Wirtschafts- und Finanzsystem antreibt. Ich habe dazu einmal geschrieben, dass frueher - vor den Weltkriegen sowie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg - die Versor- gung der Menschen mit Guetern das primaere wirtschaftliche Problem darstellte, das sich heutzutage jedoch radikal umge- kehrt hat: Frueher wurden wir von einem Guetervakuum gezogen, heute hingegen werden wir von einem riesigen Vermoegensberg nach vorne getrieben. Die herrschende Meinung verkennt in diesem Zusammenhang, dass es sich hierbei um ein ganz normales Systemphaenomen handelt und nicht um einen temporaeren Spezialfall, wie uns immer wieder vorgegaukelt wird. Dahinter steckt natuerlich erneut ein Theoriedefizit. Die gaengige Lehre verkuendet uns naem- lich, dass es nur die Zentralbanken sind, die durch ihre lockere Geldpolitik den Anlagebedarf schaffen, den wir gegen- waertig beobachten und der die Kurse treibt. Doch nichts koennte falscher sein. Es ist nicht das Geld, das die Kurse treibt, sondern es ist das Vermoegen. Je hoeher das Vermoegen der Leute, umso hoeher die Kurse. Und umso hoeher die Kurse, umso hoeher die Vermoe- gen. Man sieht sofort, dass wir es hier mit einer sich selbst verstaerkenden Bewegung zu tun haben. Das System schaukelt sich immer weiter nach oben - und zwar weitgehend ohne das Zutun der Notenbanken. Das wird allerdings nicht verstanden, weil fast alle Menschen das Bild im Kopf haben, dass es das Geld ist, was die Kurse antreibt. Sie glauben, das Geld be- faende sich auf der Suche nach Anlage. Dass dem allerdings nicht so ist, zeigt bereits das einfache Gedankenspiel, dass jedem Kauf immer ein Verkauf oder eine Neuemission gegenueber steht. Und das heisst: Das Geld sucht zwar eine Anlage, aber es kann aus prinzipiellen Gruenden keine finden, weil Geld immer Geld bleibt und ein Asset immer ein Asset. Transforma- tionen sind dabei prinzipiell ausgeschlossen. Aus Geld kann nie eine Aktie werden und aus einer Aktie niemals Geld, Steigt jedoch das Vermoegen, steigen also beispielsweise die Aktien, dann zieht das Diversifizierungstendenzen nach sich, was dazu fuehrt, dass anschliessend auch alle anderen Aktiva ansteigen. Das Geld ist dabei nicht mehr als das "Medium of Exchange", also das Mittel, in dem diese Transaktionen abge- wickelt werden muessen. Seine Menge ist relativ egal, da sei- ne Umlaufsgeschwindigkeit voellig flexibel ist. Wie ist diesem Zirkel nun zu entkommen? Auf jeden Fall nicht durch eine Reduktion der Geldmenge, weil dadurch das Vermoe- gen nicht verkleinert wird. Sondern nur durch eine grosse Vermoegensentwertung. In Gleichgewichten gesprochen: Das Ver- moegen muesste so weit entwertet werden, bis sich die Arbeit wieder lohnt. Doch welche Kraft koennte eine derartige Anpas- sung erreichen? Eigentlich geht es nur, wenn der Konsens der dauernden Ver- moegensmehrung von innen her durchbrochen wird. Wenn aus dem "Reichwerden" ploetzlich eine "Rette-sich-wer-kann-Strategie" wird. Und hier spielen die Notenbanken natuerlich sehr wohl eine Rolle. Im Jahr 2000 ist so ein ploetzlicher Bruch des Konsenses passiert, und es grenzt an ein Wunder, dass nicht ein oder zwei Generationen vergangen sind, bis man wieder Vertrauen gefasst hat. Vielleicht kommt der richtige Knack- punkt ja erst in den naechsten Jahren. Ostern jedoch werden sicherlich noch keine Eier zerplatzen. In diesem Sinne ein frohes Fest! ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Berlusconi-oder: Woher der nächste Diktator ?
von Dr. Bernd Niquet
Ueber das Osterfest habe ich einen bemerkenswerten Aufsatz von Jan Henrik Stahlberg gelesen, der gerade seinen neuen Film "Bye, bye, Berlusconi" herausgebracht hat. (Quelle: Die Welt, 15.4.2006). Was waere, so fragt Stahlberg, wenn Berlus- coni nur ein Vorreiter einer generellen Entwicklung waere? Natuerlich ist ein Mann wie Berlusconi, vergleicht man Deutschland und Italien, wohl nur in Italien und nicht bei uns moeglich. Doch das Prinzip besitzt auch bei uns Gueltig- keit. Worum geht es beim "Prinzip Berlusconi"? Die etablierte Poli- tik hat ihre Handlungsfaehigkeit und vor allem ihre Glaub- wuerdigkeit verloren. Niemand vertraut mehr darauf, dass die Politik unsere Probleme loesen und das Auseinanderdriften unserer Gesellschaften verhindern kann. Die Menschen haben den Eindruck, alles bleibe im Dickicht des Parteidenkens ste- cken. Nichts geht mehr. Und dann, so Stahlberg, kommt ploetzlich einer daher, der sagt: Schluss damit! Jemand, der selbst kein Politiker ist, sondern jemand, der sich von ganz unten nach ganz oben hoch- gearbeitet hat, es also bewiesen hat, dass so etwas geht. Jemand, der sich nicht beschneiden laesst und sich nicht ein- flechtet in den politischen Proporz, sondern der genauso die Schnauze voll hat wie der Buerger selbst. Und selbst wenn er irgendwo Dreck am Stecken hat: Ist er nicht dennoch viel glaubwuerdiger als die Sesselfurzer, Be- denkentraeger und Selbstbereicherer in der Politik? Und was, wenn er sogar keinen Dreck am Stecken hat? Wenn er vollkommen untadelig ist? Hier nun beginnt das Gedankenexperiment. Und ploetzlich sind wir in Deutschland. Stahlberg weist darauf hin, dass un- laengst der Fernsehmoderator Guenther Jauch in einer "Volks- umfrage" zum "liebsten Bundeskanzler" gekuert worden ist - und schreibt: "Und was waere, wenn dieser Kandidat, der also ganz anders waere als Berlusconi, aber eben neu und unver- braucht, wenn er versprechen wuerde mit diesem ganzen politi- schen Filz aufzuraeumen? Wenn er vorgeben wuerde, endlich auch dem kleinen Mann die Fesseln zu lockern? ... Was waere, wenn da ein unglaublich erfolgreicher Mann sagen wuerde, er ginge in die Politik, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen? Und was waere, wenn dieser Mann dann auch noch den Medien genehm waere?" Ich denke, man kann gegenwaertig wohl kaum relevantere Fragen stellen. Wer jetzt allerdings versucht, noch weiter zu den- ken, begibt sich auf eine extreme Gratwanderung. Ein zerfal- lendes System laesst sich sicherlich nicht von innen, sondern nur von aussen reformieren. Das Nervendste unserer aktuellen Gegenwart ist das andauernde Hick-Hack, der ewige Streit zwi- schen ewig gleichen Protagonisten, der entweder nie aufhoert oder aber in einem faulen Kompromiss fuer alle Seiten endet. Doch wie saehe dagegen eine darueber stehende Vernunft aus? Und vor allem: Was passiert mit denjenigen, die eben nicht der Meinung sind, dass das, was die Mehrheit fuer vernuenftig haelt, vernuenftig ist? Je weiter man vordringt, desto groesser werden also die Fra- gen. Das Stellen der richtigen Fragen bringt keine Antworten, sondern nur noch weitere Fragen. Doch die Menschen wollen Antworten. Wahrscheinlich ist dieser Themenkreis daher fuer unsere Zukunft wichtiger als die Demografie, die Rente, die Krankenkassen, der Iran und vielleicht sogar als die Roh- stoffpreise. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Die Finanzierung unseres Lebens
von Dr. Bernd Niquet Fuer mich ist es ein grauenvoller Befund: Heutzutage kann man nicht einmal mehr irgendwo auf die Toilette gehen, ohne dabei von einem Grossunternehmen gesponsert zu sein. Nichts geht heute mehr ohne den Zuspruch von oben. Musikbands werden von Konzernen wiedervereint und finanziert, der Sport hat sich vollends den Unternehmen unterworfen, Film und Fernsehen wer- den von der Werbung ebenso dominiert wie die Stadtbilder. Ohne das alles geht nichts mehr. Graffiti wird angeprangert, Werbeplakate hingegen nicht. Und jetzt macht man nicht einmal mehr vor dem Klo Halt. Koennen wir so etwas eigentlich wol- len? Nicht nur unsere Gesellschaft driftet immer staerker ausein- ander, den einen geht es immer besser, die anderen hingegen werden immer aermer. Auch unsere gesamte Oeffentlichkeit spaltet sich entzwei. Auf der einen Seite werden die Dinge staendig gigantischer, die Filme aufwaendiger, die Sportler immer teurer, die oeffentliche Aufmerksamkeit groesser und das Publikum zahlreicher - und auf der anderen Seite gibt es stetig wachsende Nischen, in denen jeder alles machen und sagen kann, in denen die Aufmerksamkeit jedoch aeusserst be- grenzt ist. Wir haben es also mit zwei sich eigentlich widersprechenden, aber dennoch parallel laufenden Tendenzen zu tun: Hier eine weitgreifende Gleichschaltung, dort eine unglaubliche Hetero- genisierung. Auf der einen Seite wird uns eine immer giganti- schere Einheitsglocke uebergestuelpt, andererseits waren die Freiheiten und Chancen, etwas Eigenes zu machen, noch niemals so gross wie heute. Was ist nun der entscheidende Unterschied zwischen beiden Entwicklungen? Bezogen auf den einzelnen Menschen ist die eine aussengesteuert, die andere hingegen von innen gesteu- ert. Der sich allem bemaechtigende oeffentliche Einheitsbrei wird uns vorgesetzt, ob wir wollen oder nicht. Die Nischen hingegen koennen und muessen wir uns selbst schaffen und ent- decken. Um diesen Sachverhalt einmal zu verbildlichen, koenn- te man sagen: Auf unserem Lebensweg fliegt uns taeglich zu- nehmend lauter Mist um die Ohren. Es wird immer schwerer, sich durch diesen Hoellensturm aus Irrelevantem, Billigem, Imitiertem und Willkuerlichem durchzukaempfen und darueber nicht zu vergessen, was man an wirklich Wertvollem in sich traegt. Beinahe alles, was uns in der Welt der grossen und breiten Oeffentlichkeit um die Koepfe schwirrt, hat mit wirklichem Wert nichts zu tun. Es sind Konsumprodukte, darauf getrimmt, besonders gut und problemlos verbraucht zu werden. Ob wir sie in den Mund nehmen, in die Nase pusten, in die Ohren schwin- gen, in unser Wertpapierportfolio aufnehmen oder in den Hin- tern stecken ist letztlich egal. Alle derartigen Produkte sind nichts anders als eben Produkte. Bezeichnenderweise kommt das Wort "Produkt" vom lateinischen "producere = vor- fuehren"; das Produkt ist also das Vorgefuehrte, die Vorfueh- rung. Es ist zeitgemaess, sonst wuerde es sich nicht verkau- fen, und es ist deshalb stets dem Verfall ausgesetzt. Und manchmal muss man sich in der Tat fragen, wer denn hier nun vorgefuehrt wird, das Produkt oder der Konsument und der In- vestor. Heute laufen die Aktien, gestern die Bonds und morgen die Zertifikate. Alles in Gang gesetzt von einer riesigen Werbe- maschine. Bezahlt wird mit Papiergeld, doch die Aktien, Bonds und Zertifikate gibt es nicht einmal auf Papier. Wer mit- macht, der wird reich. Doch kann er seinen Reichtum ueber die Zeit sichern? Zweifel sind sicherlich angebracht und gehoeren zum System. Doch nicht nur die Zweifel, auch die temporaeren Entwertungen gehoeren zum System. Der Ballon bleibt nur im Gleichgewicht, wenn er ab zu einmal Luft ablaesst. Vielleicht sollte man dem allen doch etwas Zeitloses, Echtes und Bestaendiges entgegen setzen. Auch wenn damit die Sinkge- schwindigkeit sukzessive zunimmt. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Nichts als neue Buerokratie
von Dr. Bernd Niquet Jetzt hat die Koalition also das Elterngeld beschlossen. Wer Kinder bekommt und dafuer im ersten Jahr zur Kinderbetreuung zu Hause bleibt, erhaelt Geld vom Staat. Von der Intention her sicher eine richtige Massnahme. Ob sie viel bringt, steht freilich auf einem anderen Stern. Doch das Entscheidende ist: Wir alle versinken durch das Elterngeld noch tiefer im Stru- del der Buerokratie. Es ist so hoffnungslos, dass man eigent- lich nur noch weinen kann. Ich erinnere mich noch an die Feststellung der Entgelthoehe fuer den Kindergartenplatz unserer Tochter. Beitragseinstu- fung nach dem Kita- und Tagespflegekostenbeteiligungsgesetz heisst das, und es bedeutet die Einreichung von Gehaltsab- rechnungen und wenn nicht vorhanden des Einkommensteuerbe- scheids, dann das Anlegen einer Akte, das Verwalten einer Akte, das Legen auf Wiedervorlage ... und die Frage, wie das nur alles beim Elterngeld werden soll? Da brauchen wir sicherlich eine voellig neue Behoerde. Also her mit der Elterngeldbehoerde! Was wird man da wohl alles einreichen muessen fuer den Bezug des Elterngeldes? Die Ge- burtsurkunde des Kindes, Anmeldung beim Einwohnermeldeamt, Bescheinigungen des Arbeitgebers, schriftliche Festlegung des temporaeren Ausstiegs aus dem Job, Gehaltsabrechnungen, die letzten drei Einkommensteuerbescheide, eidesstattliche Versi- cherung, dass man tatsaechlich zur Kinderpflege den Job ruhen laesst, Bankverbindung und sicherlich noch jede Menge anderer Unterlagen dazu. Berge von Frageboegen werden zu beantworten und von der Behoerde computermaessig zu erfassen, zu kontrol- lieren, nachzupruefen und auf die Fristigkeiten zu ueberwa- chen sein. Sind wir eigentlich alle vollkommen verrueckt geworden? Warum gewaehrt man Eltern nicht einen steuerlichen Freibetrag oder eine Steuersubvention. Oder setzt die Steuersaetze fuer Eltern herab. Hier wird doch wieder nur der naechste Wasser- kopf geschaffen, mit neuen Buerokraten und vielleicht sogar einem neuen Gesetz und einer neue Behoerde. Bald koennte es also kommen, das Elterngeldgewaehrungsgesetz. Und dann das erste Korrekturgesetz des Jahres 2007 zum Elterngeldgewaeh- rungsgesetzes des Jahres 2006. Und immer so fort. Waehrend wir uns immer tiefer im selbstfabrizierten Dschungel verstricken, verbringen viele anderen Nationen ihre Zeit mit produktiver Arbeit. Das scheint mir ein viel wichtigerer Punkt unserer Konkurrenzprobleme zu sein als dieses andauern- de enervierende Gerede ueber die vermeintlich so hohen Loehne in unserem Land. Ich selbst denke immer mit einigem Grauen an den Mai. Denn da heisst es die Einkommensteuererklaerung zu fabrizieren. Tau- sende von Zahlen, Hunderte von Belegen, und wenn ich gut und schnell bin, schaffe ich es an einem Wochenende. Hinzu kommt natuerlich die Umsatzsteuererklaerung - und hier die besonde- re Schwierigkeit, die vierteljaehrlichen Voranmeldungen nun in einer Gesamterklaerung zusammenzufassen und das Ganze dann auch noch mit der Einkommensteuererklaerung abzugleichen. In diesen Tagen im Mai denke ich dann nicht nur, sondern bin mir voellig sicher, dass wir alle kollektiv den Kopf verloren haben. Das Gleichnis mit dem Seefahrer Stoertebeker draengt sich auf, der mit abgeschlagenem Kopf und nur noch einem Ziel durch die Gegend wankt, wenigstens noch einige der Seinigen zu retten. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Das Bildnis unserer Gesellschaft
von Dr. Bernd Niquet Eigentlich mag ich es ja nicht, Entwicklungen von Nationen und Gesellschaften mit den Entwicklungen einzelner Menschen zu vergleichen - doch hier draengt sich der Vergleich in ei- ner Art und Weise auf, dass ich ihn nicht mehr umgehen kann. Wie ist es eigentlich, wie laeuft das Leben eines Menschen ab? Meine Beobachtungen sehen folgendermassen aus: In der Jugend ist man frei und risikolustig. Alles ist moeglich und nichts ist wirklich gefaehrlich. Alles ist erlaubt - und wer viel verbietet und erschraenkt, ist nur ein alter Spiesser. Regeln sind nur fuer das ganz Grobe und fuer die wenigsten Dinge erforderlich, ansonsten schraenken sie einen nur ein und ver- hindern den Spass und die Kreativitaet. Dann wird man aelter, steigt in die Berufswelt ein, lehnt sich erst gegen das ganze neue Regelwerk auf, arrangiert sich dann aber frueher oder spaeter und mehr oder weniger damit. Und dann spielt man mit - und wird selbst aktiv. Auf der be- ruflichen wie auf der persoenlichen Ebene. Frueher war es egal, ob man auch bei kaltem Wetter nur ein T-Shirt anhat oder sich auf einen kalten Stein setzt. Mit zunehmendem Alter ist das jedoch alles nicht mehr so leicht, weswegen man Regeln und Gesetze fuer sich selbst erfindet: Wer zu duenne Sachen anhat, bekommt eine Erkaeltung! Setz dich nicht mehr auf kalte Unterlagen, sonst passiert etwas mit der Blase oder der Prostata! Essen muss man jetzt ebenfalls regelmaessig. Vorher war es egal, wann und was man zwischen die Kiemen bekam. Beim Alko- hol ebenfalls. Doch heute gibt es festgelegte Zeiten, festge- legte Orte, festgelegte Mengen und festgelegte Inhalte und Zutaten. Man fuehlt sich so wohler, man liebt die selbst ge- setzten Regelmaessigkeiten - und zwar gleich aus zwei Gruen- den: Einerseits geht es einem dadurch besser und andererseits ist man damit zudem leistungsfaehiger. Bald jedoch kommt ein weiterer Schritt: Bestimmte Dinge kann man nicht mehr tun, andere muss man jetzt tun fuer die Ge- sundheit. Dann muss man zum Arzt und zur Kur - und alle diese Unternehmungen rauben einem so viel Zeit, dass man zu den wichtigen Dingen gar nicht mehr kommt. Man muss ja auch nichts wirklich Wichtiges mehr tun, denn im Grossen und Gan- zen ist man abgesichert und ob und was man jetzt tut, sind doch beinahe nur noch Marginalien. Es geht um nichts mehr wirklich. Es geht nicht mehr um Kopf und Kragen wie in der Jugend, um grosses Glueck und himmelschreiendes Elend, son- dern nur noch um matte Schattierungen von Pastelltoenen. Eigentlich wuerde man ja noch einmal einen grossen Angriff wagen, doch andererseits geht es einem doch viel zu gut da- fuer. Warum also dir Aufregung. Langsam verstrickt man sich immer mehr - und zwar sowohl in aeussere wie selbstgesetzte Verordnungen, was man tun darf oder muss und was auf jeden Fall zu unterlassen ist. Und das Ende der Tage verbringt man dann damit, dass das Schreiben einer einzigen Postkarte zur tagesfuellenden Beschaeftigung wird. Es ist ja auch sehr muehsam und kompliziert, schliesslich muss man die Karte kau- fen, sich auf der Post fuer die Briefmarke anstellen, die Adresse heraussuchen, sich einen Text einfallen lassen und dann auch noch zum Briefkasten gehen. Irgendwann stirbt man - und neue, juengere Menschen ueberneh- men das Zepter. Diese Tatsache ist das Einzige, denke ich, was verhindert, dass das eben geschilderte Beispiel eine hun- dertprozentige Uebereinstimmung mit der Entwicklung unseres Landes aufweist. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Es lebe die grosse Koalition
von Dr. Bernd Niquet Das Leben ist ja sonst nicht so lustig, da sollte man schon ab und zu mit lustigen Menschen sprechen, sagt der lustige Mensch, mit dem ich in diesem Moment spreche. Denn alle Vor- stellungen, die wir uns machen, sind doch immer falsche Vor- stellungen, es sind immer Vorstellungen von Vorstellungen und niemand kann sich so recht vorstellen, dass man sich schon falsch vorstellt, wovon man hinterher erst recht eine falsche Vorstellung hat. Das Tatsaechliche ist also tatsaechlich im- mer anders, oft sogar das Gegenteil von dem, was man sich tatsaechlich die ganze Zeit ueber vorgestellt hat. Unsere Regierung muss jetzt also die Steuern erhoehen, sagt der lustige Mensch, mit dem ich in diesem Moment spreche, und zwar deswegen, um den Menschen, die dadurch weniger Geld in der Tasche haben, wieder mehr Geld in die Taschen zu geben. Das kann man nun verstehen oder nicht, wobei es voellig egal ist, was man sich vorstellt oder was man sich nicht vor- stellt, denn die Tatsachen sprechen doch tatsaechlich immer fuer sich selbst. Wir haben die groesste Steuererhoehung seit 1949. Jetzt nimmt man den Reichen das Geld weg, um es den Armen zu geben, weil man es vorher und jetzt auch noch einmal den Armen genommen hat und nimmt, um es den Reichen zu geben - und ausserdem hat die Mehrheit der Bevoelkerung ja klar fuer die grosse Koali- tion gestimmt. Man muesse sich da nur die Wahlergebnisse an- schauen, sagt der lustige Mensch, dann sehe man, dass das richtig ist und dass es natuerlich voelliger Unsinn sei, dass letztlich niemand fuer die grosse Koalition gewesen waere, da doch das Wahlergebnis eben tatsaechlich etwas ganz anders aussage, und zwar voellig egal, ob man sich das jetzt nun so vorstelle oder nicht. Und wenn man nicht mehr nehmen koenne, dann muesse man eben an anderer Stelle weniger geben, um eben an der richtigen Stelle das Richtige geben zu koennen. Wenn man jetzt das Kin- derkriegen foerdern wolle, dann waere das beschlossene El- terngeld natuerlich die richtige Massnahme, meint er. Schliesslich koennen die Kinder selbst mit dem Geld nichts anfangen, weswegen es auch durchaus folgerichtig ist, wenn man zur Finanzierung des Elterngeldes das Kindergeld kuerzen wuerde. Wenn das schliesslich nicht reichen wuerde, meint er, und die grosse Koalition ist da ganz mit ihm einig, dann muesse man den Eltern eben an anderer Stelle Geld wegnehmen, um ihnen dann zielgerichtet das Elterngeld gewaehren zu koennen. Na- tuerlich sei es vorstellbar, meint er weiter, dass das El- terngeld, dass der Staat fuer das Elternsein gewaehrt, letzt- lich zweckentfremdet werden koennte und zur Begleichung der Steuerschuld benutzt werden koennte, welche die Steuererhoe- hung zur Finanzierung des Elterngeldes im Budget der Eltern geschlagen habe. Doch daraus einen geschlossenen Kreislauf abzuleiten, bei dem das Elterngeld komplett wieder zum Staat zurueckfliessen wuerde und sich so letztlich selbst finanzie- ren wuerde, waere natuerlich in Anbetracht der Kinder, die ja nun zusaetzlich mit der Kuerzung des Kindergeldes zurechtkom- men muessten und der nachfolgenden Generationen, von denen man nun nicht mehr genau wisse, ob sie durch diese Massnahmen nun zahlreicher oder weniger werden wuerde, eine gaenzlich falsche Vorstellung, ueber die man wirklich nur lachen koen- ne. Weiterhin lachen solle man ueber die Mehrwertsteuer, die Ver- sicherungssteuer, den Sparerfreibetrag, die Pendlerpauschale, das Arbeitszimmer, den Spritaufschlag und die geldwerten Leistungen, weil einem ja sonst sowieso nichts anderes uebrig bleiben wuerde. Schliesslich muessen die Subventionen fuer die Unternehmen, die man eigentlich streichen wollte, aber nicht streichen konnte, weil sich niemand mehr im Dickicht zurechtgefunden hatte, nicht einmal der groesste Koalitio- naer, ja irgendwie finanziert werden. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Wie entsteht eigentlich Vermoegen?
von Dr. Bernd Niquet In den vergangenen zwei Wochen hat es an den Maerkten heftig eingeschlagen. Interessant daran ist, dass damit genau spie- gelverkehrt die Ereignisse des Vorjahrs konterkariert wurden: 2005 ist alles gestiegen, Aktien, Bonds, Renten und Devisen. Es war egal, was man gekauft hatte, es ist alles gestiegen. Im jetzigen Mini-Crash ist hingegen alles gefallen: Aktien, Bonds, Renten und Devisen. Es war egal, was man gekauft hat- te, es ist alles gefallen. Viele Leute mag erstaunt haben, dass es die Rohstoffe und insbesondere die Edelmetalle dabei am meisten erwischt hat. Hatte man nicht gerade Gold und Silber als Versicherung gegen den Crash angeschafft? Und nun musste man erleben, dass gera- de diese Versicherungen im Mini-Crash am staerksten unter die Raeder kamen. Ich denke, wir muessen das alle als eine Lek- tion betrachten: Sollte es wirklich einmal hart auf hart kom- men, also ein wirklicher Crash oder Schlimmeres anstehen, wie ja viele Leute heute so vehement befuerchten, dass sie dieses Ereignis schon beinahe herbei sehnen, dann gibt es nur eine Vermoegensanlage, die nicht an Wert verliert - und das ist das Geld! Bargeld! Cash! Was anschliessend, nach dem Crash dann passiert, steht in den Sternen. Doch wer sich fuer den Ausbruch des Schlimmsten wappnen will, fuer den gibt es nur eines: Genug Bargeld hal- ten! "Nach dem Gelde draengt, am Gelde haengt doch alles", muss man folglich auch Goethe heute korrekt in die Gegenwart uebersetzen. In den vergangenen zwei Wochen ist viel Vermoegen vernichtet worden. Doch was ist das eigentlich fuer Vermoegen? Wie ist es entstanden? Oder noch allgemeiner: Wie entsteht eigentlich Vermoegen? Im Grunde genommen gibt es zwei verschiedene Wege der Entste- hung von Vermoegen: Einerseits, indem in einer Gesellschaft mehr erwirtschaftet wird als anschliessend verbraucht wird. Es wird eine bestimmte Menge an Guetern (und Dienstleistun- gen) hergestellt und ein identisch hohes Einkommen erwirt- schaft, doch es werden nicht alle Einkommen in dieser Periode fuer den Konsum verausgabt, sondern gespart und investiert. Dies ist der muehsamere der beiden Wege, da jedem Vermoegens- zuwachs ein Verzicht an Konsum entspricht. Man rackert sich ab, kann jedoch die Fruechte der Arbeit nicht verspeisen, also nicht direkt geniessen, weil man diese Fruechte trocknet und fuer die Zukunft aufbewahrt. Natuerlich gibt es auch ge- nussvolle Ersparnisse und Investitionen, wenn man sich bei- spielsweise ein Haus baut. Doch konsumieren kann man diesen Betrag dann nicht. Der zweite Weg der Vermoegensentstehung ist derjenige der Bewertungsaenderungen. Fuer diese Vermoegensaenderungen muss nur bedingt gearbeitet werden (Mehrleistungen in Aktienge- sellschaften zur Gewinnsteigerung, die anschliessend die Ak- tienkurs erhoehen) und kein Verzicht bei der Verwendung von Einkommen zu Konsumzwecken geleistet werden. Doch es muss ein anderer Verzicht geleistet werden, was aus den Vermoegens- aenderungen ein wahrlich teuflisches Spiel macht. Denn jedes Investment in Aktien, Bonds, Rohstoffe oder Devisen ist nur moeglich, wenn man gleichzeitig auf die Liquiditaet des Ver- moegens verzichtet. Realisierungen von Vermoegenszuwaechsen sind daher fuer die einen nur dann moeglich, wenn die anderen gleichzeitig auf ihre Liquiditaet verzichten. Die Boersen und Finanzmaerkte sind nichts anderes ein Ringel- spiel. Wie gewonnen, so zerrinnen die Vermoegenszuwaechse hier immer wieder. Man sollte also nicht zu viel Vermoegen, das durch Konsumverzicht entstanden ist, den Spielereien der- jenigen aussetzen, die auf nichts weiter als temporaere Li- quiditaet verzichten. ++++++ Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor. |
Sigmund Freud und der Aktienmarkt
von Dr. Bernd Niquet Aus gegebenem Anlass zu Sigmund Freuds 150. Geburtsjahr moechte ich heute einmal auf eine regelrecht gespenstische Parallele zwischen unserer zeitgenoessischen Betrachtung des Werkes von Sigmund Freud und unserem aktuellen Verstaendnis des Aktienmarktes hinweisen. Interessant ist dies besonders in Hinsicht auf unseren Fortschrittsglauben, auf unseren Glauben, mit unseren Theorien und Erklaerungen uns immer wei- ter der "Wirklichkeit" anzunaehern, also immer klueger zu werden, denn an diesem Glauben kann und darf man durchaus Zweifeln. Lassen Sie mich zur Vereinfachung einerseits von "frueheren Zeiten" andererseits vom "Heute" reden. Machen Sie sich ein- mal den Spass und nehmen Sie einen Boersenbericht aus einer Zeitung des Jahres 1926 zur Hand und vergleichen Sie ihn mit demjenigen des Jahres 2006. Was sind die Unterschiede? Im Jahre 1926 taucht in jedem Boersenbericht auf, dass sich an der Boerse immer zwei Parteien gegenueber stehen, die Haus- siers und die Baissiers. Dadurch wird verstaendlich, dass die Boerse stets ein Gleichgewicht bildet zwischen den Erwartun- gen beider Parteien. Heute hingegen lesen Sie stets ueber "die Anleger". "Die Anleger kaufen wieder Aktien" oder "Die Anleger kehren dem Markt den Ruecken". Gegen die Marktberich- te von frueher muten die heutigen steinzeitlich an. Oder le- sen Sie das aelteste Buch ueber die Boerse, "Die Verwirrung der Verwirrungen" aus dem Jahr 1688, das von André Kostolany 1994 neu herausgegeben worden ist. Es bestaetigt diesen Be- fund sehr deutlich. Frueher haette zudem niemand gewagt, die Boerse oeffentlich prognostizieren zu wollen, wie das heute tagtaeglich pas- siert. Hier wurden die Argumente beider Seiten dargestellt und das Urteil dem jeweiligen Leser ueberlassen. Man war sich einfach der Schwierigkeiten besser bewusst. Heute hingegen wird mit den ausgefeiltesten mathematischen Modellen noncha- lant die Kursentwicklung prognostiziert, womit allerdings kaum ein Erkenntnisgewinn, sondern nur das Erezeugen einer Illusion verbunden ist. Das bringt uns zu Sigmund Freud. Freuds bahnbrechende Er- kenntnisse waren unter anderem, dass der Mensch in weiten Teilen von Unbewusstem und Verdraengtem gesteuert wird, dass diese Verdraengungen aus der fruehesten Kindheit resultieren und im Rahmen einer psychoanalytischen Behandlung aufgedeckt und beseitigt werden koennen. Heute hingegen ist man der Mei- nung, dass das alles gar nicht mehr notwendig ist, weil es zu lange dauert, zu teuer ist und der Erfolg nicht durch eine naturwissenschaftliche Theorie garantiert ist. Heute misst man Hirnstroeme und untersucht Nervenzellen. Da- mit wird der Mensch nahtlos in die naturwissenschaftliche Theorie eingemeindet. Alles, was nicht in naturwissenschaft- lichen Gesetzmaessigkeiten fassbar wird, ist ploetzlich un- wissenschaftlich oder bestenfalls halbwissenschaftlich. Der Mensch wird nicht mehr als ein Wesen verstanden, dass durch die Innerlichkeit seiner Erlebnisse und Erfahrungen determi- niert ist, sondern wird dem rein aeusserlichen Messen, Zaeh- len und Wiegen preisgegeben. Die Analogie zur oekonomischen Theorie und zur heutigen Analyse und Prognose der Boerse koennte nicht deutlicher zu Tage treten. Was dabei schliesslich konkret heraus kommt, ist in der Psy- chologie teilweise noch haarstraeubender als an den Maerkten. So haben Psychologen beispielsweise Messungen durchgefuehrt, dass bereits eine halbe Sekunde bevor ein Mensch den Ent- schluss fasst, seinen Arm zu heben, Nervenzellen aktiv wer- den, die den Arm steuern. Daraus wird geschlossen, dass es nicht der Wille sein kann, der uns Menschen steuert, sondern wir voellig unserer Hirnchemie und unserer Hirnstroeme unter- worfen sind, die es noch zu untersuchen gilt. Der autonome und eigenstaendig entscheidende Mensch verschwindet damit aus der Psychologie ebenso wie aus der Theorie der Maerkte. Und der Triumph der Naturwissenschaft ist vollkommen, die Natur- wissenschaft hat den Menschen abgeschafft. Doch dann ploetzlich krachen die Maerkte zusammen und Men- schen laufen Amok. Und die Naturwissenschaft mit ihren mathe- matischen Modellen, Hirnchemie und Hirnstroemen bleibt ratlos zurueck. |
Irrtümer der Anlegerpsychologie
09:58 03.06.06 Die Anleger sind dumm und frech, hat der alte Berliner Bankier Carl Fürstenberg vor weit über hundert Jahren gesagt, dumm, weil sie Aktien kaufen, und frech, weil sie dann auch noch eine Dividende haben wollen. Heute hat sich diese Wahrheit deutlich verändert. Heute fällt der zweite Punkt weitgehend weg, weil kaum mehr jemand eine Dividende verlangt, dafür beobachten wir gewaltige Multiplikationsprozesse in Hinsicht auf den ersten Punkt. Zu Fürstenbergs Zeiten besaß man noch die Demut, einen Markt als einen Markt zu betrachten, als ein unüberschaubares Ganzes, dass sich der vollständigen Beschreibung und damit auch jeder detaillierten Prognose naturgemäß entzieht. Heute hingegen sind überall unerfüllbare Erwartungen eingezogen, selbst dort, wo man es kaum vermutet. Kaum ein Anleger wird sich der Behauptung entziehen, dass ein Grossteil der Börsenentwicklung Psychologie ist. Doch das ist natürlich völlig falsch und zeigt nur wieder einmal, wie oft doch die Menschen ungeprüft Dinge nachplappern und wie wenig selbst nachgedacht wird. Denn die Psychologie ist die Wissenschaft von der menschlichen Psyche, die wiederum als die Gesamtheit der bewussten und unbewussten seelischen Vorgänge und geistigen Funktionen des Menschen definiert ist. Die Börsenentwicklung kann also in großen Teilen durch die Psyche bestimmt werden, kann aber niemals Psychologie sein, weil das eine Berechenbarkeit unterstellt, die jedoch mit dem Marktverhalten unvereinbar ist. Zu meiner großen Verblüffung gibt es jedoch tatsächlich Menschen, die an eine derartige Berechenbarkeit glauben. In der neuen Ausgabe des „Smart Investor“ schreibt beispielsweise Diplom-Psychologin und Master Certified Coach Monika Müller: „Heute steht fest: Ja, es ist möglich, den Markt mit Hilfe der Psychologie besser zu erfassen.“ Abschließend werden ein paar Idealtypen, die schon seit dem Untergang der Historischen Schule zu Fürstenbergs Zeiten, Gott hab´ sie selig, das Zeitliche gesegnet haben, konstruiert, Monika Müller spricht von Ankereffekt, Framing, Primacy- und Regency-Effekt, Endowment-Effekt, Dispositionseffekt und Prospect-Theorie, und das wird dann „Psychologie“ genannt und geschrieben „Finanzpolitische Erkenntnisse geben dem Anleger wertvolle Hinweise für erfolgreichere Entscheidungen“ und „Freuen Sie sich auf unsere Tipps und Tricks in den nächsten Ausgaben“ und ich denke dann nur „Prost Mahlzeit“ und kann kaum noch an mich halten und denke kopfschüttelnd daran, wie man tatsächlich in Wirklichkeit so einfach denken kann, dass alles so einfach wäre und warum niemand auf die Idee kommt, dass das doch nicht so einfach sein kann und warum trotzdem so viele Leute einfach ihr Geld für so viel Einfachheit hergeben, doch dann habe ich es glücklicherweise auch alles schnell wieder beiseite gelegt und vergessen, weil es doch einfach viel zu dümmlich ist, um sich darüber noch weitergehende Gedanken zu machen. Mit den besten Grüßen Bernd Niquet berndniquet@t-online.de |
Jetzt wieder Buy-and-Hold
11:07 11.06.06 „Falls Sie genau wissen wollen, was aktuell passiert ist“, schrieb Jochen Steffens neulich im „Investor´s Daily“: „Das war eine bearishe Bullenfalle gefolgt von eine bullishen Bärenfalle. Ich erlaube mir nun, drei Gedankenstriche folgen zu lassen - - -.“ Ich erlaube mir, noch ein weiteres Zitat anzufügen. Es stammt vom Chefstrategen der Credit Suisse Deutschland und ist wirklich etwas zum Auf-der-Zunge-zergehen-Lassen: „Perspektivisch dürfte der seit Anfang 2003 andauernde Bullenmarkt für längere Zeit auslaufen.“ Ist das nicht wunderbar?! „Perspektivisch dürfte“, das heißt, es könnte auf längere Sicht, es könnte aber auch nicht und könnte doch, selbst kurzfristig, muss aber keineswegs, „der Bullenmarkt für längere Zeit auslaufen“, also der Bullenmarkt langfristig zu Ende sein, die Kurse aber nicht sinken, vielleicht doch, oder eben weiter steigend, aber eben doch auslaufend, das Kursniveau nicht abstürzend und auch nicht ausufernd, weder nach oben noch nach unten, sondern eben auslaufend. Die Formulierung „auslaufend“ sollte man sich merken, denn sie ist mitnichten ein Auslaufmodell. Früher sagte man noch, was man dachte. Heute hingegen sagt man „perspektivisch auslaufend“. Ich kann es gut nachvollziehen, wie Jochen Steffens Traderkollegen zu schwitzen haben: „„Ich hör’ nun aber endgültig auf mit der Börse, ich habe keinen Bock mehr!“, so ein Kollege heute. Die Kommentare eines anderen in zeitlicher Reihenfolge: „Wir sichern uns jetzt ab, das reicht. Nein, wir sichern uns nicht ab. So, jetzt haben wir uns doch abgesichert – Schei...., hätten wir doch nicht!“....“ Ich halte es hier lieber mit dem „perspektivisch auslaufend“. Denn hier ist man immer auf der sicheren Seite. Wie hat der alte Kosto gesagt: Wenn man nicht weiß, dann verkauft man die Hälfte. Dann hat man immerhin zur Hälfte alles richtig gemacht. Und die anderen Hälfte hält man stoisch durch. Dann lebt man ganz ruhig, muss nicht dauernd hingucken und reibt sich nicht auf. So habe ich es auch 2000 bis 2003 gemacht – und ganz gut überlebt. Mal sehen, wie es dieses Mal wird. Schlimmer geht ja kaum. Das bringt mich zu meinem neuen Buch, das Ende der Woche erscheint und über das ich zu gegebener Zeit noch etwas mehr dazu ausführen werde. Mit den besten Grüßen Bernd Niquet berndniquet@t-online.de |
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