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Alt 08-09-2004, 07:23   #7
Starlight
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Michael Mross: "Was die Börse braucht, ist frisches Geld"



Michael Mross, in den vergangenen Jahren in Sachen Börse als Weltreisender unterwegs, ist zumindest vor den Kameras von N24 und CNBC wieder seßhaft geworden. Wir sprachen mit dem Experten in Berlin.

Instock:
Im April haben Sie einen Dax-Stand von mehr als 4.000 Punkten und das Sinken der Ölpreise unter die damals aktuellen 40 Euro je Barrel vorausgesagt. Sie waren sich auch sicher, daß der US-Notenbank-Chef Alan Greenspan nicht an der Zinsschraube drehen wird. Was ist passiert, daß alles anders gekommen ist?
Mross:
Was nicht ist, kann ja noch werden. Der Ölpreis hat eine einmalige spekulative Blase produziert, die sicherlich gerade in diesen Tagen wieder platzt. Das hat die Aktienmärkte extrem negativ beunruhigt. Aber wir sehen einen Rückgang der Ölpreise und sollten dadurch eventuell eine Entspannung an den Aktienmärkten bekommen.

Instock:
Sind Sie noch optimistisch, daß der Dax bis zum Jahresende die 4.000er-Marke deutlich überschreitet?
Mross:
Man sollte den Optimismus nie aufgeben. Auf der anderen Seite sieht die Situation im Moment etwas schwierig aus: Die Daten sind gut, doch die Stimmung ist schlecht. Kommen wir zu den Fundamentaldaten: Es ist so, daß die Unternehmen positive – meistens besser als erwarte – Ergebnisse vorlegen. Doch trotzdem fallen die Aktienkurse der betreffenden Unternehmen. Sell on good news – das ist ein sehr schlechtes Omen. Über den Ölpreis sprachen wir schon und wir haben niedrige Zinsen, die ebenfalls die Situation an den Börsen stimulieren sollte. Dies insbesondere in Euro-Land. Aber die Börsianer kaufen nicht. Das heißt, die Stimmung ist furchtbar eingetrübt, sie ist eigentlich extrem negativ. Die Umsätze an den Börsen sind gering. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal so geringe Umsätze gesehen haben. In den USA haben wir ein ähnliches Bild. Im Sommer waren dort die Umsätze auf Jahrestief. Das zeigt, daß das Interesse für die Börse zumindest zur Zeit erloschen ist. Was die Börse braucht, ist frisches Geld. Doch kaum jemand ist bereit, derzeit zu investieren. Hinzu kommt, dass der September traditionell der schlechteste Börsenmonat ist. Der Dax verlor in den letzten 40 Jahren im September durchschnittlich 2,6%.

Instock:
Warum?
Mross:
Über die Motivation, warum Menschen keine Aktien kaufen, kann ich nichts sagen. Das sind Phasen, die es auch in der Vergangenheit gab. Es hat aber sicherlich auch mit der Einstellung zur privaten Zukunftserwartung zu tun. Wir haben zum Beispiel Einzelhandelsumsätze in Deutschland gesehen, die ständig zurückgehen. Wenn die Leute aber nicht einmal mehr ins Kaufhaus gehen, weil sie Angst vor der Zukunft haben, warum sollten sie dann Aktien kaufen?

Instock:
Das träfe für Deutschland zu. International, auch in Euro-Land, sieht es ja besser aus. Da gibt es kein Hartz IV, keine Gesundheitsreform und keine Regierung á la Schröder und doch sieht es an den Börsen auch nicht rosig aus.
Mross:
Wir haben tendenziell in der ganzen Welt – ich bereise sie immer wieder neu – ein ähnliches Phänomen. Auch in Amerika, wo ja angeblich das größte Wachstum seit 20 Jahren im ersten Quartal gelaufen ist, ist die Situation eher angespannt. Dort sind die Menschen an einem Punkt angelangt, wo sie nach wie vor kein Geld haben und vollkommen überschuldet sind. Wir haben verschiedene Gründe, warum die Menschen nicht an die Börse gehen. Der Hauptgrund ist, daß sie alle kein Geld mehr haben und offensichtlich auch in den vergangenen Jahren enttäuscht worden sind von der Entwicklung an den Börsen. Aktuell denken sie einfach nicht daran, Geld in Aktien zu investieren. Das ist ein Hauptgrund, warum die Börse nicht steigt, obwohl die Fundamentaldaten eigentlich gut sind. Es ist die klassische Konstellation, die Kostolany einmal formuliert hat: Er meinte, die Börse kann nur steigen, wenn mehr Idioten als Papiere da sind. Im Moment sind mehr Papiere als Idioten da.

Instock:
Das heißt im Umkehrschluß aber nicht, daß die Leute alle klüger geworden sind?
Mross:
Ich glaube nicht, daß der durchschnittliche Intelligenzquotient der Weltbevölkerung zugenommen hat. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben mit sehr, sehr vielen Dingen zu kämpfen. Gerade hier in Deutschland werden notwendige Reformen nicht richtig oder nur halbherzig angepackt. Die mangelnde Bereitschaft zur Erneuerung dürfte den Aktienmärkten große Probleme auch in der Zukunft bereiten. Wir stellen fest, daß beispielsweise in der Fondsbranche in den USA Mittelrückflüsse zu verzeichnen sind. Das heiß nichts anderes, als daß die Leute ihr Geld zum Teil aus der Börse abziehen. Das ist eine Tendenz, die den kommunizierenden Röhren der Börsen nicht gut tun. Die Börsen sind letztendlich wie kommunizierende Röhren. Man erhöht irgendwo den Wasserdruck und in allen Röhren steigt es dann ein bißchen. Im Moment ist es genau umgekehrt. Der Wasserdruck wird abgelassen und deshalb haben wir nachgebende Aktienmärkte.

Instock:
Das ist sicherlich schlecht für alle, die mit und an der Börse ihr Geld verdienen. Wie schlecht ist eine solche Situation eigentlich für die Volkswirtschaften?
Mross:
Wir dürfen nicht vergessen, dass Börsen auch immer ein Indikator für zukünftig erwartete wirtschaftliche Tendenzen sind. Aus dieser Perspektive sieht es eher negativ aus – für nächstes Jahr. Es mehren Anzeichen, dass sich die Konjunktur wieder eintrübt. Indikator hier der Rentenmarkt. Er strebt wieder alten Höchstständen zu.
Im Dax werden viele Werte unter Buchwert gehandelt werden. Man muß sich nur eine Lufthansa, eine Allianz, eine Münchener Rück, eine TUI ansehen. Das sind Perlen im Dax, die unterhalb ihres Buchwertes gehandelt werden. Teilweise sind die Marktkapitalisierungen auf extrem niedrige Werte zusammengeschrumpft. Beispielsweise kostet TUI nur noch 2,5 Milliarden Euro. Wer das nötige Kleingeld hat, kann hier ein ganzes Reiseunternehmen kaufen, das allein von den Immobilien, von den Guthaben, von den Gegenständen her mindestens 16 Euro je Aktie Wert wäre. Die ähnliche Situation haben wir bei VW und bei der Lufthansa. Es gibt Börsenphasen, in denen solche Untertreibungen stattfinden. Ich kann nicht ausschließen, daß diese Untertreibung tatsächlich noch länger bestehen bleibt. Festzuhalten bleibt allerdings, daß die Leute keine Lust haben, an die Börse zu gehen und Aktien zu kaufen. Das sehen wir im Übrigen auch an den kleineren Werten, wie etwa Mobilcom oder Freenet. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum diese Aktien so zertrümmert wurden. Es handelt sich bei beiden um zwei fundamental hervorragend dastehende Unternehmen und trotzdem geht die Luft raus. Es ist eben im Moment kein Geld da. Die Leute verabschieden sich von der Börse. Das ist das Problem, was wir weltweit haben.

Instock:
Sie stehen bei N24 wieder vor der Kamera. Wovon redet man in einer solchen Situation als Börsenfachmann überhaupt?
Mross:
Ich bin ja nicht nur bei N24, sondern auch bei CNBC. Hier berichten wir für Europa, Afrika, den Nahen und Mittleren Osten über die Deutsche Börse. Der Gesprächstoff geht uns nicht aus. Beklagt werden allgemein die schwachen Umsätze an den Börsen. Andererseits generiert jeder Tag neue Themen, über die man sprechen kann. Beispielsweise über die Tatsache, daß gute Ergebnisse den Aktienkursen nicht auf die Sprünge helfen. Wir hatten gerade die Bayer-Zahlen. Die waren hervorragend. Was passiert? Die Aktie verliert am Tag der Bekanntgabe 2 Prozent. Das ist ein sehr negatives psychologisches Zeichen für den Markt, für die Aktien.

Instock:
Wagen Sie eine Prognose, wie lange diese depressive Phase an den Börsen anhält?
Mross:
Wir brauchen wieder eine gewisse Euphorie und zwar eine Euphorie, die auf der Straße beginnt. Das heißt, die Menschen müssen wieder guter Stimmung sein, sie müssen wieder in die Kaufhäuser gehen und sie dürfen vor allem keine Zukunftsangst mehr haben. Wenn ich Angst um meinen Arbeitsplatz habe, wenn ich nicht weiß, wie es beruflich weitergeht, dann werde ich wahrscheinlich alles tun, nur nicht an der Börse Aktien kaufen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, daß wieder eine positive Stimmung aufkommt. Die sehe ich im Moment nicht. Ich sehe, daß die Börse eigentlich nur von professionellen Händlern hin- und hergetrieben wird. Ich kann jetzt keine Prognose abgeben, wann sich diese Situation ändern wird. Aber ich denke, sie wird sich irgendwann ändern. Spätestens dann, wenn es wirklich nachhaltig mit der Konjunktur nach oben geht. Aber auch hier gibt es erste Zweifel, ob die Euphorie, die wir im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung hatten, nicht doch etwas zu hoffnungsvoll war. Es mehren sich jedenfalls die Zeichen, daß der Konjunkturmotor in Amerika, aber auch in Europa, doch nicht so rund läuft, wie wir das bisher immer gedacht haben.

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