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Alt 24-09-2004, 09:43   #2
simplify
letzter welterklärer
 
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Teil 2

Frage: Wie haben die darauf reagiert?

Antwort: Die Konzerne gaben sofort Gegenstudien in Auftrag und versuchten, uns lächerlich zu machen. Doch heute stelle ich ein sachtes Umdenken fest. Zu meinem Erstaunen publizierte Exxon Mobile kürzlich eine meiner Grafiken, die zeigt, dass die Entdeckungen von Ölvorkommen 1964 ihren Gipfel erreicht haben und seither mehr oder kontinuierlich zurückgehen. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass man die Investorengemeinde auf das Ende der Party vorbereiten will.

Frage: Vielleicht war Öl bisher zu billig, so dass der Anreiz fehlte, neue Vorkommen zu suchen oder in bestehende Anlagen zu investieren. Bis vor kurzem herrschten auf dem Markt Überkapazitäten, nicht Knappheit.

Antwort: Der Preis beeinflusst lediglich die Fördermenge, für die Entdeckung und die Erschliessung neuer Felder ist er eher unherheblich. Denn die Explorationskosten können in den meisten Ländern von den Steuern abgezogen werden, was genügend Anreiz ist, nach neuen Vorkommenzu suchen. Und vergessen Sie nicht: Ein gutes Ölfeld ist in jedem Fall extrem profitabel, die Förderkosten betragen kaum 5 Dollar pro Barrel. Wenn es also noch neue grosse Ölfelder gäbe, so wären sie längst gefunden. Praktisch alle Regionen der Welt und auch ein Grossteil der Meere sind mittlerweile auf mögliche Erdölvorkommen abgesucht worden. Natürlich gibt es immer wieder Überraschungen, und man entdeckt da und dort ein kleines Feld. Das generelle Bild jedoch ist klar: 90 Prozent der Vorkommen dürften gefunden sein.

Frage: Gilt das auch für den Mittleren Osten, wo rund zwei Drittel aller Reserven liegen sollen?

Antwort: Auch da zeigt die Geologie klar, dass die grössten Vorkommen wohl bereits entdeckt sind. Die Ölfelder in Saudiarabien und im Irak sind vorwiegend konzentrierte Gebiete mit wenigen grossen Strukturen. Was vorhanden ist, war leicht zu finden, und viel mehr wird es kaum geben. Ausserdem sind die neuen Felder kleiner als die alten, weshalb mehr Löcher gebohrt werden müssen. Es ist zwar möglich, mehr zu produzieren, aber das braucht Zeit und Geld. Selbst wenn sich Bush den ganzen Mittleren Osten unter den Nagel reisst, dauerte es Jahre, die Produktion signifikant zu steigern.

Frage: Was bedeutet das für den Ölpreis?

Antwort: Zur Zeit sind alle Schleusen offen, kurzfristig kann die Produktion kaum bedeutend erhöht werden. Gleichzeitig steigt die Nachfrage, jährlich um rund 2 Prozent. Daraus folgt: Der Preis wird klar nach oben gehen.

Frage: Bei einem höherem Erdölpreis rechnet es sich aber, auch kleinere, kostenintensivere Felder zu bewirtschaften. Und auch, das nichtkonventionelle Öl - Tiefseeöl, Teersand, Ölschiefer - wird dadurch attraktiver. Wie gross schätzen Sie dieses Potential ein?

Antwort: Auf dem Papier sind die Vorkommen gigantisch, vor allem die des Schweröls. Nur: Man muss das Zeug ausgraben, aus 75 oder 100 Metern Tiefe, was sehr kostspielig ist. Man braucht ausserdem enorme Mengen an Energie und Wasser, die nicht unbegrenzt vorhanden sind. In der Region von Alberta in Kanada, wo Schweröl gefördert wird, ist das Wasser bereits knapp geworden. Ausserdem ist die Förderung sehr langsam, man kann ein Land ja nicht über Nacht grossflächig umgraben. Mit einem Wort: Das nichtkonventionelle Öl löst das Problem nicht. Es vermag den Peak im besten Fall um ein paar Jahre hinauszuschieben.

Frage: Ihre zentrale Aussage lautet: Es kommt nicht so sehr darauf an, wann das Öl ausgeht, sondern, wann wir die Poduktionsspitze erreicht haben. Richtig?

Antwort: Exakt. Wir erreichen nun die Halbzeit des Ölzeitalters. In der ersten Hälfte war Öl im Überfluss vorhanden und billig. Nun wird es knapp. Die globale Produktion wird jährlich um rund 2,5 Prozent zurückgehen, und die Preise werden in den Himmel klettern. Der Ölpeak ist der grösste Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit. Die Ökonomen sagen immer: Die Steinzeit endete nicht, weil es keine Steine mehr gab, sondern weil ein natürlicher Fortschritt stattfand zu Bronze, Eisen und so weiter. Es gab noch massenhaft Steine, aber man fand Besseres. Diesmal aber gehen uns die Steine aus und es ist nichts Besseres in Sicht. Wir sind eine Treppe hochgestiegen, jetzt stehen wir zuoberst, nun geht es wieder runter - nicht weil wir das wollen, sondern weil uns die Natur dazu zwingt.

Frage: Das tönt sehr pessimistisch.

Antwort: Ich bin kein Pessimist, ich bin Realist. Wenn Sie mir bessere Zahlen präsentieren, ändern wir den Plan. Auch meine Zahlen sind nur eine Annäherung, sie mögen sogar falsch sein, doch sie sind nach dem heutigen Stand des Wissens plausibel und lassen keinen anderen Schluss zu. Wir stehen kurz vor dem Wendepunkt. Und wenn ich mich in der heutigen Welt umschaue, muss ich sagen: Es ist auch eine grosse Chance. Wir werden wieder mehr Zeit für uns haben, ein ruhigeres Leben führen, so wie die Menschen hier in Ballydehob. Mehr Einfachheit, mehr Natürlichkeit - philosophisch - spirituell kann man es als eine durchaus positive Entwicklung sehen.

Frage: Das lässt sich locker sagen, denn wir haben im Öl gebadet. Aber erklären Sie das mal einem Chinesen, der jetzt endlich auch Auto fahren will.

Antwort: Sorry für den Chinesen, aber der kommt zu spät. Das klingt brutal, für die Menschheit als Ganzes könnte der Ölpeak jedoch die Rettung sein.

Frage: Die Menschen haben sich an billiges Benzin gewöhnt...

Antwort: ... aber wenn man ihnen erklärt, warum das nicht mehr so sein kann, werden sie es mit der Zeit begreifen. Es sind nicht die Firmen, nicht die Regierungen, nicht die Araber, die den Ölpreis in die Höhe treiben - es ist die Natur. Bei einem Erdbeben macht man auch niemanden dafür verantwortlich.

Frage: Was halten Sie von den Alternativen zu Öl?

Antwort: Das Nächstliegende wäre die Atomenergie, aber sie ist unbeliebt wegen der nuklaeren Abfälle und der Sicherheit. Das Thema ist hochpolitisch und emotional. Daneben gibt es Windkraft, Solarenergie, Gezeitenkraftwerke, Biomasse - alles wunderbar, aber nicht mehr CHEAP AND EASY wie das Öl. Das wird teuer! So oder so müsste die erste Reaktion sein, sofort mit der Energieverschwendung aufzuhören. Der Westen ist extrem verschwenderisch, wir konsumieren das Öl besinnungslos. Wir müssen also die Verschwendung stoppen und Alternativen suchen. Ich habe heute Morgen eine Dusche mit dem Sonnenschein von gestern genommen - es geht auch anders.

Frage: Was treibt Sie eigentlich an? Sie sind 73, und an der aussichtslosen Lage, wie Sie sie beschwören, können Sie ohnehin nichts ändern.

Antwort: Ich verbrachte mein Leben damit, nach diesem Stoff zu suchen, und durch meine Arbeit wurde mir die globale Situation nach und nach bewusst. Als ich noch für die Ölfirmen arbeitete, verstand ich das nicht so gut wie heute. Nach der Pensionierung lebte ich in Frankreich, renovierte in Ruhe mein Haus und schrieb den einen oder anderen Aufsatz zum Thema. Dann wurde ich für Referate angefragt, schrieb weitere Aufsätze, beteiligte mich an den Studien - so kam das ins Rollen. Seit etwa einem Jahr ist das Interesse am Thema nachgerade explodiert, da kann ich mich jetzt nicht einfach zurückziehen.

Frage: Sie gelten als der Urheber des Remimi-Protokolls, das einen sorgsameren Umgang mit der Ressource Erdöl fordert.

Antwort: Natürlich überlege ich mir auch, was denn zu tun wäre. Letzten Sommer lud mich Michail Gorbatschew zur Konferenz <<The Economics of the Noble Path>> nach Remini ein. Sie fand im Grand Hotel statt, in jenem aus dem Fellini-Film, und ein bisschen wie in einem Fellini war es dort auch: bewaffnete Sicherheitsleute vor jedem Schlafzimmer, Helikopter rund um die Uhr. Es hatte viele Philosophen und französische Intellektuelle mit Bérets, aus dem Amazonas kam einer mit Federn am Kopf, nur Gorbatschew selber tauchte dann nicht auf. Ich nannte meinen Vortrag <<Das Rimini-Protokoll>>, um ihm ein einprägsameres Etikett und dem Anlass etwas Lokalkolorit zu geben. Die italienischen Medien liebten das: Protocollo de Remini! Ursprünglich war das mehr ein Gag, doch schon bald wurden meine Forderungen aufgenommen, Politiker sprangen auf den Zug auf und begannen, vom Remini-Protokoll zu sprechen. Mittlerweile habe ich es übrigens umbenannt, es heisst jetzt <<Das Uppsala-Protokoll>>.

Frage: Was ist die wichtigste Forderung dieses Manifests?

Antwort: Im Kern geht es darum, dass erdölimportierende Staaten ihre Einfuhren in dem Maas kürzen, wie die Ölreserven zurückgehen, also jährlich um rund 2,5 Prozent. Das bedeutet, dass man die Verschwendung stoppt, den öffentlichen Verkehr ausbaut, die Häuser besser isoliert. Das wäre kein Riesending - statt 100 Autos würden nur noch 97 herumfahren -, der Effekt jedoch wäre gewaltig: Ein Bewusstseinswandel käme in Gang. Nachfrage und Angebot bliebe einigermassen im Gleichgewicht, der Ölpreis verharrte auf einem Niveau, das es auch armen Ländern ermöglichte, weiterhin ihren Energiebedarf einigermassen zu decken.

Frage: Aber doch nicht, wenn die Schweiz oder Irland den Konsum um 2,5 Prozent drosseln. Da müssten schon auch die USA mitmachen, der mit Abstand grösste Verbraucher von Erdöl in der Welt.

Antwort: Nicht unbedingt. Während das Kyoto-Protokoll auf die USA und Russland angewiesen ist, weil sie die grössten Umweltverschmutzer sind, ist es hier anders: Beginnt die Schweiz heute von sich aus zu sparen, schafft sie sich einen enormen Vorteil für die Zeit in zehn Jahren. Das Land wäre auf die neuen Gegebenheiten vorbereitet, der Verzicht auf das Öl wäre kein Schock, sondern ein allmählicher Prozess. Die USA hingegen würden brutal über die Klippe fallen. Es müssen also nicht alle mitmachen, aber logischerweise schon ein paar, damit es eine gewisse Bedeutung erlangt.

Frage: Nach einer Lösung des Problems tönt das nicht gerade.

Antwort: Die vergangenen 150 Jahre lebten die Menschen im Bewusstsein, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt: Die Technologie wird´s schon richten. Aber diesmal gibt es leider keine Lösung.

Frage: Das hören wir nicht gern.

Antwort: Dann sagen Sie mir, was die Lösung ist! Nein, es gibt keine. Das Remini-Protokoll kommt einer Lösung, die ich mir ausdenken kann, allenfalls am nächsten.

Frage: Sie haben gut reden, Sie werden nicht mehr betroffen sein. Aber Ihre Enkelkinder...

Antwort: ... es ist traurig, ich weiss. Kürzlich war ein 16-Jähriger bei uns zu Besuch, er musste sich all die Diskussionen um das Ende des Ölzeitalters anhören. Als er sich von uns verabschiedete, sagte er: Ich habe mich noch nie so mies gefühlt wie heute bei euch! Was soll denn aus uns werden?

Frage: Da hatte er nicht unrecht, oder? Wir haben die Party gefeiert, und die Jungen müssen nun aufräumen.

Antwort: So ist es. Sie werden es uns nicht danken.
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Der ideale Bürger: händefalten, köpfchensenken und immer an Frau Merkel denken
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