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Alt 07-12-2004, 21:21   #96
Starlight
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Der Schrecken der Wall Street will nach Albany

Was sind die fünf schlimmsten Worte an der Wall Street? – „Elliot Spitzer auf Leitung eins.“ Dieser recht aktuelle Wall-Street-Witz lässt längst nur noch ein paar wenige Komiker schmunzeln, denn bei den meisten Brokern, Händlern, Analysten, Konzernlenkern und Börsenchefs weckst der Name Spitzer schlimme Erinnerungen.

Da mag es mancher gerne hören, dass Spitzer nun langsam mit Wall Street abgeschlossen zu haben scheint. Am Dienstagmorgen hat der New Yorker Generalstaatsanwalt offiziell gemacht, was viele längst erwartet hatten: Spitzer wird 2006 als Gouverneur für den Bundesstaats New York kandidieren. Der resolute Demokrat will den seit zwölf Jahren amtierenden Republikaner George E. Pataki aus der Amtsvilla in der Hauptstadt Albany vertreiben.

Seine Chancen dafür stehen gut. Das zeigt einerseits die Geschichte, denn vor nicht allzu langer Zeit schaffte schon einmal ein Generalstaatsanwalt den Sprung aus seinem nicht allzu illustren Job auf die ganz große Bühne: Rudy Giuliani, der seinerzeit ebenfalls an der Wall Street aufgeräumt und Investmentbanker verfolgt hatte, wurde alsbald Bürgermeister von New York City. Und er kehrte mit weiter mit eisernem Besen: Binnen weniger Monate waren die gefürchteten „Scheibenwischer“-Bettler von New Yorks Straßen verschwunden, während seiner achtjährigen Amtszeit sank die Verbrachensrate drastisch und New York wandelte sich zu einer der sichersten Städte Amerikas.

Während Giuliani nun – seit den Terror-Attackeb des 11. September ein Volksheld für ganz Amerika – seine Lehre in die Welt trägt und höhere Ämter bis hin zum Präsidenten nach George W. Bush anstrebt, tritt nun Spitzer in dessen Fußstapfen.

Und bisher hat er alles richtig gemacht. Spitzer ist es gelungen, ein weitgehend unbekanntes und vor allem bisher eher verbraucherorientiertes Amt auszuweiten und Unrecht allerorten prominent zu bekämpfen. Spätestens seit Spitzers erstem Schlag gegen betrügerische Analysten, deren Interessenskonflikte mit dem angeschlossenen Investmentbanking Anleger Millionen kosteten, gerieten Pressekonferenzen in der Generalstaatsanwaltschaft zu den heißesten Events für New Yorker Journalisten.

Denen wurde einiges geboten: Spitzer legte sich nach den Analysten mit Fond-Managern an, die er zu Schadenersatzzahlungen von mehr als 800 Millionen Dollar verdonnerte. Er nahm sich die Versicherungen vor, die hinter dem Rücken der Kunden ihr profitables Spielchen betrieben. Und er legte sich mit der größten Reizfigur im Finanzdistrikt an: Von dem ehemaligen NYSE-Chef Dick Grasso verlangt Spitzer bis heute, dass er den größten Teil seiner Millionen-Abfindung zurückzahlt.

Da die meisten von Spitzers Angeklagten ihr Geld auf Kosten des kleinen Mannes machten, haftete Elliott Spitzer schon bald der Ruf eines edlen Ritters an. Und das ist die beste Basis, auf der er nun seinen Wahlkampf um das höchste Amt im Staate New York aufbauen kann.

Wie lange der aufstrebende Jurist in Albany bleiben will, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, dass sich Spitzer mit der Pataki-Nachfolge ein Amt ausgesucht hat, das wiederum historisch als gutes Sprungbrett gilt: Die Erfahrung zeigt, dass Präsidentschaftskandidaten überwiegend aus den Reihen der Gouverneure gewählt werden. Die aktuelle Wahl war nur ein weiteres Kapitel in einer langen Serie von Niederlagen für Senatoren (Kerry), die im direkten Rennen gegen einen ehemaligen Landes-Chef (Bush) den kürzeren zogen.

Lars Halter - © Wall Street Correspondents Inc.
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