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Alt 09-02-2005, 14:23   #41
621Paul
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09.02.2005
Auf das Vermögen schauen, nicht auf die Ersparnis

Betrachtet man die öffentlich Diskussion, dann hat man manchmal den Eindruck, dass die volkswirtschaftliche Ersparnis das Wichtigste ist, was es gibt. Dass sie so etwas wie die Muttermilch jeder Volkswirtschaft ist, ohne die man weder groß noch stark werden kann. Dass also derjenige, der nicht spart, keine Muttermilch hat und folglich wirtschaftlich nicht überleben kann. Doch nichts könnte falscher sein als das.

Um etwas kaufen zu können, braucht man Geld. Geld ist eine Bestandgröße und wird gegen die Hinterlegung von Vermögen emittiert. Die wichtigste Größe jeder Volkswirtschaft ist daher der Vermögensbestand. Das ist das Resultat der so schwierigen Stock-Flow-Problematik jeder Volkswirtschaft(sanalyse): Die Stocks (Bestände) determinieren die Flows (Stromgrößen, wie Einkommen, Konsum und Ersparnis).

Das Vermögen wächst durch Bewertungsveränderungen und durch Investitionen. Um investieren zu können, braucht man Geld und keine Ersparnisse. Die Ersparnisse entstehen dabei vielmehr als Restgröße selbst, weil das Einkommen, das im Zuge des Investitionsprozesses geschaffen wird, auf Haushalts- und Unternehmensseite nicht voll verkonsumiert werden wird.

Nehmen wir an, die Unternehmen investieren 100 Einheiten neu. Dazu brauchen sie 100 Einheiten Geld, sprich 100 Einheiten Vermögen oder 100 Einheiten Kredit, was jedoch fast das Gleiche ist. Beim Kauf der Investitionsgüter steigt das BIP um 100 Einheiten – und die Ersparnis parallel ebenso, da die Investitionen ja nicht verkonsumiert werden. So weit die erste Runde. Und was anschließend passiert, hängt davon ab, was mit dem geschaffenen Einkommen geschieht. Ausnahme: Die Investitionsgüter werden im Ausland gekauft. Dann steigt das BIP nicht, dafür jedoch der Import.

Kann es nun eine negative Ersparnis geben? Und ist es eine Katastrophe, wenn die Sparquote sehr gering ist? Eine negative Ersparnis kann es nur dann geben, wenn der Kapitalstock einer Volkswirtschaft verkonsumiert wird. So etwas ist jedoch nirgendwo zu beobachten. Und niedrige Ersparnisse des privaten Sektors, denn darum geht es ja immer, um die Haushalte, sind nur dann schlecht, wenn sie mit niedrigen Investitionen einher gehen. Die Bundesrepublik Deutschland, Japan und die USA hatten im Jahr 2002 alle jeweils eine Investitionsquote von roundabout 18 % des BIP. In Deutschland steht dem etwas mehr private Ersparnis gegenüber, in den USA weniger, dafür mehr nicht entnommene Gewinne im Unternehmenssektor sowie Importgüter und in Japan weiß ich nicht.

Der Unterschied ist allenfalls graduell. Die Amis stehen natürlich etwas unsicher da mit ihren stark gestiegenen Immobilienpreisen, doch niemand sollte verkennen, wie wertvoll das US-Aktienvermögen ist. Denn auf nichts anderes kommt es an als auf den Vermögensbestand, auf den Stock – und nicht auf die Peanuts, die die Flows in jedem Jahr den Stocks hinzufügen. Und Japan ist sowieso so reich, dass sie jenseits von gut und böse liegen. Denn die Japaner besitzen alleine an Finanzvermögen umgerechnet 14.000 Mrd. US-Dollar. Die Deutschen im Vergleich dazu 3.000 Mrd. US-Dollar.

Man sollte also eher auf das Vermögen als auf die Ersparnisse schauen. Man sollte in starke Stock-Ökonomien und nicht in gutaussehende Flow-Ökonomien investieren. Denn die Flows fliegen allzu schnell davon. Bleiben tun alleine die Stocks. Sie bleiben, auch wenn vielleicht nicht bis zum jüngsten Tag. Auf jeden Fall werden sie den nächsten Sturm besser überstehen als die Flows. Japan ist das erste Beispiel, von dem wir in dieser Hinsicht lernen sollten. So eine epochale Krise fast ohne Kratzer zu überstehen, das soll ihnen erst einmal jemand aus dem Lager der privaten Spar-Hamster nachmachen.

berndniquet@t-online.de
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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