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Alt 08-03-2005, 17:59   #180
Starlight
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Selbstkritik beim Orakel von Omaha

Eine drittel Million Dollar zahlte vor einigen Monaten ein New Yorker Aktienfan, um mit dem „Orakel von Omaha“ lunchen gehen zu dürfen. Im legendären Steakhouse Smith & Wollensky’s saß er dann neben einem Mann, der sich in seinem jüngsten Rundbrief gar nicht anhört wie der „größte Investor aller Zeiten“, als den die Welt ihn bisher gefeiert hat.

Doch Warren Buffett wäre nicht Warren Buffett, wenn er nicht zunächst einmal Zahlen sprechen ließe. So habe er Anlegern seiner Investment-Holding Berkshire Hathaway im abgelaufenen Jahr eine Rendite von 10,5 Prozent beschert. Nicht schlecht, eigentlich, doch hat die Wall-Street-Legende damit zum zweiten Mal in Folge schlechter abgeschnitten als der breite Markt. Der S&P-500-Index ist im letzten Jahr um 10,9 Prozent geklettert.

Buffett kennt den Grund für seine schwache Performance: 43 Milliarden Dollar in bar seien einfach „keine glückliche Position“ im aktuellen Markt. Der 74-Jährige hat sich die Bar-Reserven indes nicht so hoch gewünscht. Von Anfang an sei das Ziel gewesen, mehrere Milliarden-Übernahmen durchzuführen, die das Wachstum der Holding noch weiter diversifiziert und gestärkt hätten. Aber: „Es hat sich nichts ergeben“, meint Buffett entschuldigend, „und zudem habe ich auch nicht viele Erfolg versprechende Aktien gesehen, in die ich hätte investieren wollen.“

Angesichts der jüngsten Kursgewinne am Markt ist das durchaus ein Punkt, den Anleger dem Börsen-Guru vorwerfen könnten. Immerhin notieren Dow und S&P 500 zurzeit auf dem höchsten Stand seit gut vier Jahren. Die großen Indizes haben die Verluste nach Rezession und 9/11 wettgemacht. Und während Anleger in aller Welt vor allem auf die 11 000 Punkte für die Blue Chips schauen, gibt es vor allem im Hightech-Bereich zahlreiche Papiere, die ein interessantes Investment gewesen wären: Google beispielsweise, oder Apple.

Doch mit solcherlei Aktien will Buffett nichts zu tun haben: Der Groß-Investor, in dessen Portfolio Finanzwerte und Coca-Cola, die Restaurantkette Dairy Queen und Aktien verschiedener Häuserbauer liegen, hält sich weiter von Hightech fern. Auf dem Höhepunkt des Hightech-Booms anno 1999 hatte ihn diese Entscheidung schon einmal in Bedrängnis gebracht, doch wendete sich das Blatt. „Erst bei Ebbe sieht man, wer nackig geschwommen ist“, feixte Buffett damals und heute, doch erwarten zahlreiche Experten, dass der Börsen-Guru diesmal wirklich in die Röhre gucken wird.

Doch hat Buffett noch andere Anlagetaktiken. Außer dem Hightech-Boom gab es im vergangenen Jahr schließlich noch weitere Trends, und so kommt ein Großteil der Gewinne für Berkshire Hathaway aus der Währungsspekulation. Von der Dollar-Politik der Regierung Bush, die er als Anleger zu nutzen weiß, will Buffett indes nichts wissen. Das hohe Defizit sei unverantwortlich, wettert er in seinem Rundbrief an die Investoren. Dass die Amerikaner zurzeit mehr ernten als säen, komme sie bald teuer zu stehen: Der Durchschnittsbürger dürfe sich darauf einstellen, künftig gute drei Prozent seines Einkommens in die Schuldentilgung des Staates zu stecken.

Bei allem Unmut über andere kommt Selbstkritik bei Buffett aber nicht zu kurz. Angesichts der Rendite der letzten zwei Jahre weiß er: „Wenn ich die Performance von Berkshire Hathaway nicht bald über die des S&P 500 bringen kann, trage ich zum Portfolio meiner Anleger nichts bei, was sie nicht selbst erreichen könnten.“

Harte Worte, doch eine Rücktritterklärung dürften Anleger daraus wohl noch nicht ableiten. Buffett ist zu lange im Geschäft, als dass er sich von zwei schwächeren Jahren – zumal in einem aufwärtsstrebenden Markt – entmutigen lassen würde.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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