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Alt 05-04-2005, 20:27   #192
Starlight
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Phil Purcells Chefsessel wackelt

Der Bulle Wall Street kämpft und tritt und schlägt um sich. Wer je bei einem Rodeo war, weiß, dass es nicht leicht ist, eine solche Bestie zu kontrollieren. Mancher Reiter wird abgeworfen, bemerkenswert ist eigentlich nur, wie lange sich mancher in Fell und Lederriemen verbeißen und seinen Fall herauszögern kann.

Philip Purcell ist dieser Tage einer der hartnäckigsten Reiter. Der CEO von Morgan Stanley sieht sich von allen Seiten Angriffen ausgesetzt, am lautesten von einer selbst ernannten „Achtergruppe“, in der sich frühere Vorstandsmitglieder und Großaktionäre vereinigt haben, die zusammen 11 Millionen Aktien und damit etwa 1 Prozent des legendären Investmenthauses kontrollieren.

Die Achtergruppe hat CEO Purcell Anfang März einen Brief geschrieben. Man sei um die Performance der Firma besorgt, heißt es darin, und flugs werden die wichtigsten Parameter abgehakt – Widerspruch scheint danach eigentlich zwecklos.

Auf Sicht der letzten fünf Jahre hinke Morgan Stanley dem S&P-Branchenindex für Investmentbanken um 40 Prozent hinterher. Über die letzten vier Jahre hat die Aktie von Morgan Stanley 27 Prozent an Wert eingebüßt, während die namhaften Kollegen Goldman Sachs, Lehman Brothers und Merrill Lynch allesamt Gewinne aufweisen können. Die Volatilität der Aktie notiert weit über dem Branchendurchschnitt.

Die „Achtergruppe“ nennt auch gleich die Gründe für das schwache Abschneiden von Morgan Stanley. Das Management sei nicht ausreichend auf Verbesserung der Margen aus, das Ertragswachstum sei vor allem im Brokergeschäft schwach und der Vorstand falsch besetzt. Letzteres ist der Punkt, der an der Wall Street hohe Wellen schlägt. Einerseits, so heißt es im Brief an CEO Purcell, sei dieser selbst fehl am Platz. Der ehemalige Chef von Dean Witter, der nach dem Merger die Führung bei Morgan Stanley übernahm, fokussiere zu sehr auf das Broker- und Kreditkartengeschäft und vernachlässige das hoch profitable Investmentbanking.

Die Folge: Die Männer der „Achtergruppe“ „verlangen einen neuen CEO“. Umso lauter seit letzter Woche, als Purcell zwei auch über Morgan Stanley hinaus anerkannte Top-Manager gehen ließ, um zwei Günstlinge zu Vizepräsidenten zu befördern, die ihm zuvor Loyalität geschworen hatten. Ein solches Vorgehen sei „eine Schande“, heißt es im Brief, allein der „sofortige Abschied“ von CEO Purcell selbst könne die aktuelle Situation noch retten und die verlorenen Manager vielleicht wieder zurückbringen.

Purcell hat sich auf die Vorwürfe der „Achtergruppe“ bislang nicht offen geäußert. Selbst auf wiederholte Bitte wichtiger Branchenmedien gewährte der umstrittene CEO kein Interview, was die weitere Berichterstattung entsprechend einseitig machte und die Situation eher eskalieren als heilen ließ.

Zum Wochenbeginn nun reagiert Purcell, und zwar mit einer eigenwilligen Entscheidung. Ohne große Vorwarnung soll sich Morgan Stanley von der Kreditkartenabteilung Discover trennen, deren Ausgliederung zwischen 9 und 11 Milliarden Dollar bringen könnte. Abgesehen davon, dass diese Reaktion auf ziemlich konkrete Vorwürfe der „Achtergruppe“ ziemlich spät kommt, ist sich die Wall Street nicht einig über den wirklichen Nutzen einer solchen Aktion. Ein Analyst bei Punk Ziegel glaubt nicht, dass die beiden Firmenteile getrennt mehr wert wären als zusammen. Auch die Credit Suisse sieht einen Verkauf von Discover nicht als Gewinn für Morgan Stanley, und die Kredit-Expeten von Moody’s setzen das Unternehmen sogleich auf die Watchlist.

Philip Purcell ist also kein Befreiungsschlag gelungen, im Gegenteil: Der umstrittene CEO ist noch ein wenig umstrittener geworden. Oder anders gesagt: Der Bulle, auf dem er reitet, ist noch ein wenig böser geworden. Vielleicht kommt ja doch bald der Rodeo-Clown angestapft und beruhigt die Bestie. Aus London kamen bereits am Montag Gerüchte an die Wall Street, nach denen der Finanzriese HSBC ein 75 Milliarden Dollar schweres Übernahmeangebot an Morgan Stanley erwäge. Von Purcell gab es darauf keine Reaktion, von der „Achtergruppe“ auch nicht.

© Wall Street Correspondents Inc.
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