Wie sehr taugt Österreich als Vorbild für die deutsche Reformdebatte?
Seit Jahresbeginn quält deutsche Medien immer wieder die gleiche Frage: Was machen die Österreicher besser in der Wirtschaft als wir?
Nun ist es der Hamburger "stern", der fragt: "Ist Österreich besser als Deutschland?"
Mit starkem Wirtschaftswachstum, moderater Arbeitslosenquote und geringer Neuverschuldung habe Österreich das geschafft, wovon Deutschland träume, heißt es im "stern".
Ökonomisch hätten die Österreicher die Deutschen längst überflügelt, Reformen habe man konsequent umgesetzt, auch wenn man lange darüber diskutiert habe.
Zentrales Ereignis im österreichischen Reformwillen ist für den "stern" die Umgestaltung des Arbeitsmarktes.
"Hier hat die Wiener Regierung die hohen Abfindungen bei Kündigungen aufgehoben und zugleich das Arbeitsamt zu einer Serviceagentur umstrukturiert, ohne - wie in Deutschland - den Arbeitslosen das Geld zu kürzen", befindet der "stern".
Was man freilich in Hamburg ignoriert: Der österreichische Arbeitsmarkt ist schon seit langem "liberaler" als der deutsche, nur hat es lange Zeit niemand gemerkt.
Deutschland musste erst den Mix aus Wiedervereinigungskosten und Globalisierungseffekten spüren, um spät, aber doch zu merken, dass einst belächelte Nachbarn in vielen Bereichen flexibler sind als das einstige Wirtschaftswunderland.
Einen rigiden Flächentarifvertrag wie in Deutschland, der oft mehr Einstellungshindernis als Jobgarantie ist, gibt es in Österreich eben nicht.
Mittlerweile gilt wohl das Motto verkehrte Welt: Hat man in Österreich früher immer über die hohe Mehrwertsteuer gejammert und neidisch nach Deutschland geblickt, so wissen Wirtschaftsexperten in Deutschland mittlerweile: 20 statt 16 Prozent Mehrwertsteuer sind kein Problem, wenn man dafür bei der direkten Besteuerung den Faktor Arbeit billiger macht.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) kommt im "stern" auch zu Wort. Dass es Österreich heute "bittschön so fantastisch" gehe, liege an "drei wirklich magischen Momenten": der Öffnung zu Osteuropa, dem EU-Beitritt Österreichs und der "von mir geführten Regierung". In Deutschland sieht Schüssel viel zu viel Pessimismus.
Der Punkt freilich ist: So wirklich vergleichen lässt sich die Lage in Deutschland und Österreich nicht. Denn abgesehen davon, dass die deutsche Wiedervereinigung nach wie vor ökonomisch nicht zu bewältigen ist, sind viele Strukturen in Deutschland gänzlich anders. Etwa im Bereich Sozialversicherung.
Dass es in Deutschland bei der Krankenversicherung keine Pflichtversicherung, sondern eine Versicherungspflicht gibt, manche privat, manche öffentlich versichert sind, erweist sich ökonomisch im Augenblick etwa als Problem. Hier streiten die großen Volksparteien über neue Modelle, die ganz unterschiedliche Folgen (und damit Kosten) hätten.
Und da ist noch ein Faktor, der Deutschland hemmt, den aber ausgerechnet in Österreich manche lange Zeit unglaublich nachahmenswert fanden: der Föderalismus.
Dass sich Deutschland mit Reformen so schwer tut, liegt auch an der Vielgleisigkeit eines Systems, das sich Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht selbst ausgesucht hatte.
Der von den Siegermächten auferlegte Föderalismus sollte einen deutschen Zentralstaat, der Europa erneut in Angst und Schrecken versetzt, verhindern.
Nach der Bundestagswahl im Herbst wird Deutschland, direkt oder indirekt, eine Art "große Koalition" brauchen, um die lange fällige Föderalismusreform auf den Weg zu bringen. Sowohl Union als auch SPD werden dabei so manch ideologischen Zopf abschneiden müssen, um zu einer Lösung zu kommen.
Es bleibt eine verkehrte Welt. Deutschland, das einst in vielen Bereichen als Vorbild galt, sucht mittlerweile bei den Österreichern nach Modellen für eine Reformzukunft. Dabei gilt aber ein altes Motto: Nicht alles, was hinkt, ist schon ein Vergleich. Für viele deutsche Probleme wird Österreich nur bedingt als Modell taugen.
Gerald Heidegger, ORF.at
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