Die Börse braucht ein wenig Magie
In einem Markt, in dem eigentlich nur noch der steigende und fallende Ölpreis die Kurse beeinflusst und in dem kein Index mehr aus seiner Handelsspanne herausfindet, täte gelangweilten Beobachtern ein Schuss Abwechslung gut. Der Markt braucht Magie, ein wenig Zauber… und Hilfe naht: Nächste Woche erscheint Harry Potter.
Der Zauberlehrling ist immer gut für ein paar spannende Zahlen. Zwar wird auch Harry Potter höchstpersönlich nicht die ganze Börse verzaubern können, doch wird er zumindest neben Millionen von Lesern ebenso viele Anleger und Analysten entzücken. Denn der Knabe von der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei ist bekanntlich längst ein Wirtschaftsfaktor, eine ganze Schar von Unternehmen lebt von den Abenteuern aus der Feder von J.K. Rowling.
Da wäre zum einen Scholastic, der an der Nasdaq notierte Herausgeber der Potter-Bücher. Bei dem laufen seit Monaten nicht nur die Vorbereitungen für Druck und Marketing. Vielmehr ist man in jüngster Zeit vor allem um die Sicherheit der Bücher bei der Auslieferung bemüht. Denn keiner der mit Spannung erwarteten 670-Seiten-Schinken darf vor dem Veröffentlichungstermin am 16. Juli in die falschen Hände geraten. Und bei 10,8 Millionen Exemplaren, die in der ersten Auflage verschickt werden – das ist wieder ein Weltrekord für den Zauberlehrling! – ist das kein leichtes Unterfangen.
Am einfachsten dürfte die Sicherstellung eines geregelten Vertriebs noch beim Internet-Händler Amazon ablaufen. Der verzeichnet jetzt schon mehr als eine Million vorbestellter Exemplare, was das Buch erneut vor Erscheinungstermin auf die Nummer Eins der Amazon-Bestseller-Liste setzt. Bei Amazon lagern die bereits gelieferten Potter-Bücher in einer Lagerhalle fernab von aller anderen Ware. Nur wenige Angestellte mit Extra-Pass haben Zutritt, dabeihaben dürfen sie nichts, wenn sie die Sicherheitsposten passieren.
Schwieriger gestaltet sich die Geheimhaltung bei den Buchhändlern im ganzen Land, bei denen ebenfalls schon die ersten Boxen eingetroffen sind. Sie lagern zur Zeit in den Büros der jeweilen Laden-Manger, wo sie ebenfalls bewacht werden. Für die Unternehmen ist das ein gehöriger Aufwand – der sich aber lohnt. Immerhin: Bei Barnes & Noble, dem größten der Old-Economy-Buchläden, rechnet man damit, allein am Erscheinungstag gut 50 000 Bücher pro Stunde absetzen zu können. „Auf solche Umsätze kommen 99 Prozent der Bücher auch über mehrere Jahre nicht“, meint CEO Steve Riggio.
Wo der Umsatz – und die damit verbundenen Unternehmensgewinne – so hoch sind, nehmen es die Mitarbeiter genau mit ihren Auflagen. Bis jetzt ist noch keine Kopie von „Harry Potter and the Half-Blod Prince“ an die Öffentlichkeit gelangt. Das berichtet der Internetdienst The-Leaky-Cauldron.org, der sich spezifisch mit Sicherheitslücken im Potter-Vertrieb auseinandersetzt.
Apropos Vertrieb: Nicht nur die Buchhändler selbst freuen sich auf den neuen Band von J.K. Rowling, auch für deren Versandpartner – allen voran den US-Paketdienst UPS – bringt der Zauberlehrling Geld mit. Allein die mehr als eine Million vorbestellten Bücher sollen am Erscheinungstag abgeliefert werden, und auch Laufe der nächsten Monate dürften die Bestellungen nicht abreißen.
Entsprechend vorsichtig dürften Analysten ines sein, wenn die Speditionsfirmen demnächst wieder ihre monatlichen Liefer-Volumina ausgeben. Ein plötzlicher Anstieg muss noch nicht zwingend auf einen breiten konjunkturellen Aufwärtstrend deuten. Vielmehr gilt es allein die 600 Lastwagen herauszurechnen, die Potter palettenweise an den Großhandel geliefert haben. Und hunderte von Lieferwagen, die Buchläden im ganzen Land ansteuerten.
Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
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