Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 06-09-2005, 19:22   #304
Starlight
TBB Family
 
Benutzerbild von Starlight
 
Registriert seit: May 2002
Beiträge: 33.345
Katrinas langfristige Folgen

Auch eine Woche nach dem Hurrikan ist die Tragödie kaum zu fassen, die „Katrina“ über New Orleans und das Umland gebracht hat. Am Dienstagmorgen sind zwei wichtige Dämme repariert und die ersten Pumpen arbeiten, unter den Fluten rechnet man mit tausenden Toten. Auch der konjunkturelle Schaden ist schwer zu beziffern.

Für die Wall Street nämlich – das ist nicht überraschend – stehen die finanziellen Folgen von „Katrina“ im Vordergrund. Das heißt nun nicht, dass die menschlichen Schicksale an den Händlern vorbeigehen. Im Gegenteil: Auch auf dem Parkett trauert man um die Toten, und auf den zahlreichen Fernsehschirmen im Gebäude der New York Stock Exchange laufen Geschichten über Kinder auf der Suche nach ihren Eltern und Hunden, die zu Tränen rühren.

Doch letztendlich geht es an der Börse um nackte Zahlen und darum, wer zuerst einen Schaden beziffern kann. Noch gehen die Schätzungen von Konjunkturexperten und Unternehmen weit auseinander, doch liegen zumindest einige Zahlen vor – vor allem seitens der Versicherer.

So geht Lloyds of London von einem Schaden in Höhe von 40 Milliarden Dollar aus, die vor allem aus dem Öl- und Casinobereich eingefordert werden könnten. Der Rückversicherer dürfte zu den am stärksten betroffenen Unternehmen der Branche gehören, gefolgt von der Münchner Rück, Swiss Re und Berkshire Hathaway sowie dem Dow-notierten Assekuranzriesen AIG.

Die Schadensexperten bei Risk Management Solutions (RMS) dürften ihre Schätzungen nach diesen Branchendaten noch einmal erhöhen. Man war zunächst von einen Schaden zwischen 10 und 25 Milliarden Dollar für die Versicherungen ausgegangen. Dass die Rechnung jetzt teurer werden dürfte, liegt nicht zuletzt an der nicht zufriedenstellenden Reaktion der US-Behörden auf die Katastrophe. Das langsame Fortschreiten der Arbeiten in New Orleans lässt den Schaden wachsen: Je länger Häuser unter Wasser stehen, so Experten, desto wahrscheinlicher wird, dass sie nicht mehr renoviert werden können, sonden abgerissen und neu gebaut werden müssen.

Betroffen sind nach recht zuverlässigen Zählungen 150 000 Grundstücke, die zur Zeit unter Wasser stehen. Auf ihnen stehen Sachwerte von insgesamt etwa 100 Milliarden Dollar, von denen ein Großteil bereits verloren sein dürfte. Doch dürften die langfristigen Folgen der Flut nach „Katrina“ die einmaligen Kosten deutlich übersteigen und die US-Wirtschaft noch für einige Zeit unter Druck setzen.

So schätzen die Experten von RMS, dass unterbrochene Wirtschaftsaktivitäten in der Region New Orleans den Staat täglich 100 Millionen Dollar kosten dürften. Dazu kommen hohe Kosten, mit denen sich US-Verbraucher auch weit außerhalb der überfluteten Regionen konfrontiert sehen: Die hohen Energiepreise, die durch „Katrina“ endgültig in unerträgliche Sphären geschraubt wurden, machen dem Verbraucher zu schaffen. Der tankt zur Zeit so teuer wie nie zuvor in der US-Geschichte und mag an die im Winter bevorstehenden Heizkosten gar nicht denken. Auch dass sich zahlreiche Verbraucher mit langfristigen Festpreis-Verträgen gegen ansteigende Ölpreise abgesichert haben, macht die Lage nicht einfacher: Zahlreiche lokale und regionale Öl-Lieferanten könnten unter der Last der teuren Rohstoffe pleite gehen.

Das teure Benzin sorgt unterdessen dafür, dass so ziemliche alle Artikel im amerikanischen Einzelhandel teurer werden dürften. Unternehmen werden hohe Transportkosten irgendwann an die Kunden weitergeben, wenngleich sich die Branche – allen voran Wal-Mart mit einer eigenen Lkw-Flotte – noch dagegen sträuben.

Teurer werden indes auch zahlreiche Produkte, die Amerika über die Häfen in der Golfregion importiert – und die aufgrund der Hurrikan-Schäden nicht angeliefert werden können. Dazu gehören Kaffee und Kakao sowie Bananen. Zwar gibt es auch einige landwirtschaftliche Produkte, die aus ähnlichen Gründen billiger werden dürften, doch ist das kein Grund zur Freude. Getreide, Mais oder Sojabohnen nämlich können über die zerstörten Häfen nicht exportiert werden und erhöhen daher das Angebot im eigenen Land. Da sinken die Preise und verrotten Waren, während die Landwirte langfristige Folgen fürchten: So könnten Abnehmer die Krise nuzten, sich bei anderen Lieferanten umzusehen. Mais könnte künftig verstärkt aus China, Sojabohnen aus Südamerika nachgefragt werden – beides auf Kosten der USA.

Der Schaden, den „Katrina“ kurz-, mittel- und langfristig verursacht hat, ist zur Zeit wohl nicht zu beziffern. Sicher sind Experten nur in der Aussage, dass der jüngste Hurrikan der schlimmste und teuerste in der US-Geschichte ist. Sicher sind indes die Meteorologen, dass es nicht der letzte ist: Die Hurrikan-Saison ist gerade erst zur Hälfte gelaufen, weitere Unwetter kündigen sich an.

Markus Koch - © Wall Street Correspondents Inc.
Starlight ist offline   Mit Zitat antworten