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Alt 19-12-2005, 20:41   #386
Starlight
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Zwei-Klassen-Weihnacht

Sechs mal werden wir noch wach… dann ist nicht nur Weihnachtstag, sondern auch die Einkaufssaison vorbei. Noch bis Samstag legen sich die amerikanischen Einzelhändler ins Zeug, um ihre Ware an den (Weihnachts-)Mann zu bringen – dann wird abgerechnet. Bis dato sieht es nicht gut aus, abgesehen von einigen unglaublichen Ausnahmen.

So ist nicht wirklich überraschend, dass die Umsätze im Luxussektor weiter klettern. Das Segment des Einzelhandels, dass sich auf die Oberschicht spezialisiert hat, muss sich wieder einmal keine Sorgen machen. Doch dass es der Branche in diesem Jahr noch besser geht als je zuvor, liegt an dicken Weihnachtsboni, die vor allem einigen New Yorker Läden unerwartete Rekordumsätze bescheren.

Vor allem an der Wall Street reiben sich Manager die Hände, nachdem sie Boni in siebenstelliger Höhe eingesackt haben. Der Weihnachtswahn geht mittlerweile so weit, dass mancher mit einem Bonus unter einer Million Dollar nicht einmal mehr zufrieden ist. Die hohen Zahlungen an der Wall Street sind der atemberaubenden Volatilität eines Jahres zu verdanken, dass doch unterm Strich flach verlief. Auch die unerwartet starke Aktivität im Bereich der Merger und Übernahmen hat die Umsätze und Gewinne so mancher Investmentbank steil ansteigen lassen.

Den dicken Bonus in der Hand gehen viele Wall Streetler auf Konsum-Tour. Paul Simon von BMW of Manhattan freut sich über erhöhte Nachfrage nach den teuersten Limousinen, und auch im Büro der Corcoran Group ist die Stimmung fantastisch. Der Immobilienmakler hat einen ganzen Stall voll Kunden, die dieser Tage nach Wohnungen für mehrere Millionen Dollar suchen – der Bonus macht’s möglich.

Recht gut läuft in diesem Jahr auch die Nachfrage nach anderen Luxusgütern wie Schmuck und hochpreisigen Elektronikartikeln. Vergleichsweise stark sind auch die beiden wichtigsten Wachstumssegmente der Saison: der Online-Handel und der Umsatz an Geschenkgutscheinen, deren Umsätze wohlgemerkt erst im nächsten Jahr verbucht werden können, sobald die Karten eingelöst sind.

Für den großen Rest der Branche indes, für die Einzelhändler von Wal-Mart bis Target, von Federated bis zu den Malls, von Kosmetik- zu Musikhändlern, läuft es schlecht. „An diesem letzten Wochenende hätte es passieren müssen“, meint der Einzelhandelsanalyst Howard Davidowitz am Montagmorgen. Immerhin: Am nächsten Wochenende ist bereits Weihnachten, die letzten Einkäufe müssten dann erledigt sein. Doch: „Nichts ist passiert“, so Davidowitz, der in den nächsten Tagen mit dramatischen Preissenkungen rechnet, die den Einzelhändlern die Umsätze retten, aber die Margen verhageln dürfen.

Überraschen tut Davidowitz das alles nicht. „Der Verbraucher ist hoch verschuldet“, begründet der Experte den Trend. Steigende Zinsen, ein schwächerer Immobilien- und Arbeitsmarkt, sinkende Einkommen, all dies seien Gründe für die vergleichsweise schwache Weihnachtssaison – und mit allen habe man rechnen können. Davidowitz weiter: „Nie zuvor haben so viele Verbraucher ihre Kredite überzogen und leiden jetzt unter Rekordzinsen.“ Das schwache Weihnachtsgeschäft sei damit auch nur der Anfang eines schwachen Jahres 2006, in denen ein völlig überforderter Verbraucher die US-Konjunktur durchaus in eine Rezession ziehen könnte.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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