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Alt 23-02-2006, 20:39   #428
Starlight
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Eine neue, alte Pipeline

Was für eine Nachricht: Die drei größten Energieriesen Amerikas bauen die längste Gas-Pipeline der Welt. Über mehr als 5500 Kilometer soll sie sich durch Alaska und Kanada bis nach Chicago winden und bald 7 Prozent der US-Nachfrage decken. Den Markt lässt das kalt. Das Projekt ist zwar beschlossen, aber noch viel zu weit weg.

Immerhin: Hinter der Planung einer Pipeline steckt mehr als die Festlegung einer Wegstrecke und die Kunst der Ingenieure, das anderthalb Meter dicke Rohr gegen Wind und Wetter, gegen Tiere und tektonische Verschiebungen abzusichern. All das wäre kein Problem. Schwieriger wird es, das Land für den Pipeline-Verlauf aufzukaufen und Grundstücksbesitzer zu entschädigen. Mit dem Staat Kanada müssen die meisten Wegrechte überhaupt erst verhandelt werden, und auch die Umweltschützer dürften bald Bedenken gegen das Projekt anmelden und klagen.

Ach ja, und dann stellt sich noch die Frage nach den Kapazitäten der Stahl-Hersteller. Ob die jederzeit genügend Material für das Projekt zur Verfügung haben, ist keineswegs sicher.

Frühestens 2010 soll dann mit der neuen Pipeline Gas von der Nordküste Alaskas in die 48 kontinentalen Bundesstaaten gefördert werden. Experten allerdings halten einen Termin um 2015 für wahrscheinlicher.

Wann auch immer das 20 Milliarden Dollar teure Gemeinschaftsprojekt von ExxonMobil, BP und ConocoPhilips aber fertig sein wird, sollen 130 Millionen Kubikmeter täglich befördert werden.

„Das neue Pipeline-Projekt passt in den Trend der letzten fünfzehn Jahre“, meint der Erdgas-Analyst Robert Ineson von Cambridge Energy Research Associates. „Gas wird immer weiter im Norden gewonnen, während Öl immer tiefer aus der Erde geholt werden muss.“ Die technischen Anforderungen seien enorm, die Kosten auch. Deshalb könnte das aktuell geplante Projekt auch das letzte seiner Art sein.

Irgendwo nämlich müssen Kosten gespart werden. Und wenn das nicht beim Fördern geht, dann eben bei der Anlieferung. In Zukunft dürfte sich dabei der Vertrieb von Flüssiggas bezahlt machen, glauben Analysten. Dessen Transport wird ohnehin immer wichtiger, da die USA immer größere Anteile ihres Verbrauchs aus Übersee importiert und meist nicht auf Pipelines zurückgreifen kann.

Für Flüssiggas spricht aber auch die Flexibilität des Transports. Kanister können per Schiff näher an den Ort der Nachfrage transportiert werden – das wiederum macht die Preise dynamischer. Mit guten und mit schlechten Auswirkungen: Im Januar fielen die Gas-Importe in den USA auf ein Drittel zurück, nachdem Japan und Großbritannien höhere Preise geboten hatten.

Flexibler wird der Markt aber auch durch den Wegfall immenser Fixkosten. Förderer dürften künftig schneller gewillt sein, neue Felder zu bearbeiten, weil sie nicht mehr die selben langfristigen Risiken eingehen wie mit der Finanzierung einer Milliarden-schweren Pipeline. Letztlich könnten dadurch die Förderquoten steigen und die Marktpreise sinken.

Dann wiederum ist klar, warum der Markt auf den Neubau der Alaska-Chicago-Pipeline nicht allzu euphorisch reagiert. Das Projekt ist im Prinzip schon überholt, bevor es begonnen hat.

Markus Koch © Wall Street Correspondents IncInc.
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