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Alt 27-02-2006, 20:46   #429
Starlight
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Die Maus und der Apfel

Disney-Aktionäre kommen sich seit einigen Monaten vor wie im Märchen. Die Aktie des Hollywoodkonzerns wandelt sich langsam vom Frosch zur Prinzessin. Spekulationen über eine mögliche Übernahme durch Apple heizen den Kurs nun erneut an, denn die Idee ist gar nicht so weit hergeholt.

Zwar ist ein Deal zwischen dem legendären Hollywood-Studio und dem iPod-Riesen zum Wochenbeginn nicht mehr als die Spekulation eines Börsenmagazins. Doch unwahrscheinlich wäre er nicht. Vor allem nicht, weil Disney-CEO Bob Iger den Konzern mit Weitblick umbaut und revolutioniert, seit er vor einem halben Jahr im Chefsessel Platz genommen hat.

Das war höchste Zeit: Unter Michael Eisner hatte Walt Disney zuletzt kaum noch Erfolge vorzuweisen, und der Aktienkurs reflektierte das. Bob Iger hat indes früh erkannt, dass einem Konzern, der seit langer Zeit festsitzt, nur große Einschnitte helfen. Entsprechend schritt der Neue mutig und in Siebenmeilenstiefeln zur Tat:

Schon Igers erster Coup zeigte in die richtige Richtung: Nachdem sich Disney unter Michael Eisner jahrelang mit dem Trickfilmspezialisten Pixar gestritten hatte, glättete er die Wogen und leitete eine Übernahme des Unternehmens ein, dass Disney in den letzten Jahren mit „Toy Story“ und „Finding Nemo“ die größten Erfolge beschert hatte.

Doch bindet Iger durch die Pixar-Übernahme nicht nur eines der heißesten Unternehmen der Filmbranche an sich, sondern eben auch dessen CEO und größten Anteilseigner – Steve Jobs. Der ist künftig mit einem Anteil von 7 Prozent größter Einzelaktionär im Maus-Konzern, und sein Wort hat Gewicht. Sollte Jobs eine Übernahme Disneys durch sein anderes Unternehmen – eben Apple – wollen, was angesichts der günstigen Bewertung gar nicht so unwahrscheinlich ist, dürften nicht viele widersprechen.

Denn dass ein Mann wie Jobs Disney modernisieren und für eine Zukunft in Hightech rüsten könnte, bezweifelt zwischen Wall Street und Hollywood keiner. Vor allem nicht in der Disney-Zentrale, jedenfalls nicht mehr. Zunächst, wohlgemerkt, hatten viele die Nase gerümpft, als Disneys Fernseh-Tochter ABC TV-Content wie „Desperate Housewives“ über Apple für den iPod freigab. Doch seither hat man 2 Millionen bezahlte Downloads verbucht und sieht einer Zukunft außerhalb des klassischen Fernsehprogramms ins Auge.

Das zeigte sich zuletzt erst vor zwei Wochen, als der Konzern gemeinsam mit Intel und Cisco einen neuen Service auf den Markt brachte: MovieBeam. Die Decoder-Box ist, regelmäßig aktualisiert, mit hundert Spielfilmen gefüllt und soll Kinohits künftig am Erscheinungstag der DVD direkt in die Wohnzimmer bringen. Den Verbraucher kostet das nicht mehr als bisher die Leihgebühr in der Videothek, die Margen für Disney steigen aber von etwa 90 Cent auf 2,80 Dollar pro Film.

Zwar ärgern sich die DVD-Vertriebspartner, darunter Blockbuster oder der Einzelhandelsriese Wal-Mart, doch davon lässt sich Bob Iger nicht einschüchtern. „Wir müssen neue Wege gehen, um unseren Content an den Kunden zu bringen“, statuierte er jüngst bei einem Analystentreffen. „Traditionelle Vertriebswege dürfen dabei kein Hindernis sein.“

Das sind große und mutige Worte, doch nichts anderes kann dem Konzern aus einer etwas verlorenen Marktsituation helfen. Anders als die größten Konkurrenten Time Warner und News Corp. hatte Disney bisher nämlich keinen firmeneigenen Zugang zum Kunden. Hingegen konnten Time Warner über seine eigene Kabeltochter bis ins Wohnzimmer vordringen und der Fox-Konzern über den Satelliten-Ableger DirecTV. Mit MovieBeam spielt Disney nun auch wieder mit, ein paar vergrätzte Einzelhändler sind da durchaus in Kauf zu nehmen.

Ob MovieBeam oder Direktvertrieb im Internet, niemand kann daran zweifeln, dass Steve Jobs mit seiner Expertise in Content (Pixar) und Hightech (Apple) für Disney neue Wachstumsmöglichkeiten ergründen und aufbauen kann. Disney-CEO Bob Iger hingegen scheint der Mann zu sein, unter dem selbst Quantensprünge wie ein Verkauf des Konzerns möglich wären.

Steve Jobs unterdessen hat sein Interesse an Disney noch nicht bekannt gegeben. Aber wer hätte nicht gerne sein eigenes „Magic Kingdom“?

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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