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Alt 07-03-2006, 20:11   #435
Starlight
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Aus NYSE wird NYX

Die Geschichte der New York Stock Exchange begann 1792 unter einer Platane als 24 New Yorker Händler das „Buttonwood Agreement“ unterzeichneten. In den folgenden 214 Jahren war die Börse an der Wall Street ein geheimnisvoller Ort, der in dieser Woche transparenter werden soll denn je: Die Börse gibt am Mittwoch eigene Aktien aus.

Unter dem Tickerkürzel „NYX“ wird die NYSE LLC. an der Wall Street gehandelt werden. Die zunächst ausgegebenen Papiere sind dabei nichts anderes als die umbenannten Aktien von Archipelago, der bisher schon börsennotierten elektronischen Handelsplattform, mit der die NYSE im April letzten fusionierte. Sie belaufen sich auf 30 Prozent des Gesamtwertes des Unternehmens.

Die übrigen 70 Prozent der Aktien werden in den nächsten Wochen an die bisherigen Sitz-Eigner der Börse verteilt und können dann auf den Markt kommen. Wenn danach der Börsengang der NYSE abgeschlossen ist, hat die Wall Street die größte finanzielle Revolution seit dem legendären Treffen der Broker unter der Platane hinter sich: Die NYSE ist in der Zukunft angekommen.

Das war in den letzten Jahren umso notwendiger geworden, als zahlreiche Skandale das Vertrauen der Welt in die Institution an der Wall Street erschüttert hatten. Der Ärger hatte 2003 begonnen, als der damalige NYSE-Chef Dick Grasso über ein skandalöses Gehalts-Paket von 191 Millionen Dollar stolperte, für das er ausgerechnet in dieser Woche vor der Generalstaatsanwaltschaft aussagen und ab Oktober vor Gericht geradestehen muss.

In Grassos Gier hatte gegipfelt, was sich zuvor über Jahrzehnte und Jahrhunderte in Hinterzimmergeschäften angebahnt hatte. Das Ende der NYSE als elitärer Club mit höchst fragwürdigen Regeln, mit nicht öffentlichen Strukturen und Gehältern, mit schwer nachvollziehbarem Barmittel-Fluss und häufigen Klagen gegen willkürlich verhängte Ordnungsstrafen musste zu einer Zeit kommen, in der ja auch die an der Börse gehandelten Unternehmen wieder schärfer kontrolliert und zu mehr Transparenz verdonnert werden.

Mit dem IPO ist die Weiterentwicklung allerdings nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Dass die altehrwürdige NYSE mit einer elektronischen Plattform zusammengeht, lässt die weitere Richtung erkennen – der Handel auf dem traditionsreichen Parkett wird an Bedeutung verlieren. Schon seit einiger Zeit ist ein Hybrid-Modell beschlossen, dass elektronischen Handel gleichberechtigt neben das Parkett stellt.

132 Aktien sind zur Zeit mit Genehmigung durch die SEC in dem Hybrid-Versuch integriert, darunter einige Dow-Aktien wie IBM, Boeing und Walt Disney. Gehandelt werden sie von Spezialisten wie La Branche und Van der Moolen sowie Investmenthäusern wie Bank of America, die zur Zeit etwa 700 Transaktionen täglich elektronisch ausführen mit einer Durchschnittsgröße von 3700 Aktien.

Schon Mitte März soll der Hybrid-Test abgeschlossen sein, danach sollte einer Umsetzung des Modells in die alltägliche Praxis nichts mehr im Wege stehen.

Die nächste Veränderung könnte die bevorzugte Ware der NYSE betreffen: Während die Börse zur Zeit noch auf Aktien spezialisiert ist, halten Experten eine Übernahme im Optionshandel für möglich. Zwei Zahlen sprechen dafür: Das Das Handelsvolumen mit Aktien ist im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent gestiegen, das Handelsvolumen mit Optionen hingegen um 30 Prozent. Solche Wachstumsraten dürften John Thain gefallen, dem ehemaligen Goldman-Sachs-Mann, der sich seit dem Fall Dick Grassos um die Geschäfte an der NYSE kümmert.

Letzterer übrigens lobt das Werk seines Nachfolgers in höchsten Tönen. John Thain sei ein Mann mit Visionen, meinte Dick Grasso am Dienstagmorgen auf dem Weg zu seiner Vernehmung. Thain wird das kaum beeindrucken. Unter seiner Leitung fordert die NYSE einen Großteil des Grasso-Gehalts zurück, und von dieser Forderung wird man trotz allen Schulterklopfens nicht ablassen.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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