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Alt 08-03-2006, 21:23   #436
Starlight
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Harry Potter und der Notenbank-Chef

Amerika wartet auf einen neuen Schmöker. Nach dem „Da Vinci Code“ und dem Riesen-Erfolg von „Harry Potter“ soll in diesem Sommer ein Reißer in die Regale kommen, den das ganze Land verschlingen wird: Alan Greenspan schreibt seine Autobiographie. Hm… ob die Pläne des Verlegers Penguin Publishers aufgehen, darf bezweifelt werden.

Bei Penguin hält man große Stücke auf den Autor Greenspan. Einen Tag nach dem 80. Geburtstag des ehemaligen Notenbank-Chefs machte man ein entsprechend großzügiges Geschenk: Man zahlt Greenspan einen Vorschuss von 8 Millionen Dollar. Das ist das zweithöchste Honorar aller Zeiten. Greenspan steht damit nur hinter Bill Clinton (12 Millionen Dollar) zurück, Papst Johannes Paul II. (7 Millionen) lässt er hinter sich.

Amerikanische Buch-Kritiker halten den Deal für gewagt. Aus gutem Grund. Keith Kelly von der New York Post hält das Buch zwar für einen sicheren Bestseller in den USA, sieht aber wenig Erfolg in internationalen Märkten. Jon Friedman, der Medien-Experte von Marketwatch geht einen Schritt weiter. Das Greenspan-Buch „wird im Regierungsviertel von Washington, D.C. einschlagen und natürlich an der Wall Street. Auch im Bankenviertel von Boston werden sich interessierte Leser finden.“

Doch wo sonst wird jemand zum Greenspan-Wälzer greifen?

Man erinnere sich doch nur an die schrecklich langen und drögen Ausführungen, die der Chairman alle paar Monate vor dem Kongress gab. In monotoner Stimme folgte ein unverständlicher Schachtelsatz dem nächsten, nicht selten fanden die übertragenden Fernsehkameras eingeschlafene Zuhörer.

Dass Greenspan in aktiven Zeiten doch so viele zuhörten, lag allein an seiner politischen Bedeutung. Schließlich war der Fed-Chef nicht zur Unterhaltung da. Vielmehr unterrichtete der Chef-Experte die übrigen Experten über die drohende Inflation, die Tendenzen an Arbeits- und Immobilienmarkt und die daraus folgende Zinspolitik. Da lohnte es sich für Investoren genau zuzuhören, auch wenn es schwer fiel.

Wenn Greenspan nun ein Buch schreibt, in dem es nicht mehr um künftige Trends geht, sondern um eine Rückschau auf sein Leben und Werk, dann kann er in belehrendem Ton nicht punkten. Er muss unterhalten. Doch zu erwarten ist ein solcher Spurwechsel nicht. Wer wie Kritiker Kelly hofft, dass Greenspan nach seiner Amtszeit unter vier US-Präsidenten schmutzige Wäsche wachen wird, dürfte wohl enttäuscht werden. Und auch mit anderen Knüllern ist kaum zu rechnen. Weder dürfte Greenspan gestehen, dass in Wahrheit seine Frau die Zinspolitik der USA ausgetüftelt hat, noch dürfte er sein weitgehend unbekanntes – und uninteressantes – Privatleben breittreten.

Experten rechnen damit, dass Penguin nicht mehr als die Hälfte des Vorschusses an Greenspan wieder reinholen dürfte. Das wäre alles andere als ein Erfolg.

Dem ehemaligen Fed-Chefs kann es egal sein. Für ihn ist der Buch-Deal ein ganz großer. Nackte Zahlen bedeuten ihm mehr als sein Wert als unterhaltsamer Autor. Zumal er sein Publikum noch immer hat: Seit Greenspan aus dem Amt geschieden ist, lässt er sich als Redner buchen, sein Honorar liegt zwischen 100 000 und 250 000 Dollar und wird von einem Publikum gezahlt, dass nicht unterhalten werden will – sondern belehrt.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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