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Alt 22-03-2006, 20:07   #445
Starlight
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Wohin mit Uncle Sam´s Scheck?

Schock für die Konsumbranche: Einer der lukrativsten Anlässe könnte in diesem Jahr ausfallen. Den Herstellern von Fernsehern, Computerspielen und Fahrrädern drohen Millionen zu entgehen, der Tourismusbranche auch. Zwar hat die US-Regierung nicht etwa Ostern abgesagt, doch dürften viele Amerikaner ihre traditionell im April fällige Steuerrückerstattung nicht so sorglos verpulvern wie in der Vergangenheit.

Das Konsumland USA ist hoch verschuldet, das ist bekannt, und die Sparrate von John und Jane Doe ist so niedrig wie nie zuvor. Viel zu lange haben die Amerikaner auf Pump gelebt und sich auch in finanziell angespannten Zeiten alle Wünsche per Kreditkarte erfüllt. Eine Trendwende könnte jetzt einsetzen, wie eine Umfrage des US-Einzelhandelsverbandes NRF zeigt.

Danach dürfte mit 47 Prozent fast die Hälfte der Amerikaner ihre im April fällige Steuerrückzahlung dazu nutzen, bestehende Schulden abzuzahlen. Weitere 35 Prozent der Amerikaner wollen ihren Scheck direkt aufs Sparkonto bringen. Unterm Strich plant jeder Vierte, dass die einmal im Jahr fällige Zahlung bei alltäglichen Ausgaben helfen wird, die vor allem aufgrund hoher Energie- und Lebensmittelkosten für viele deutlich gestiegen sind.

Nur noch 10 Prozent der Verbraucher hingegen wollen sich von ihrer Steuer-Rückzahlung etwas Außergewöhnliches gönnen – einen neuen Plasma-Fernseher, einen Computer oder eine Urlaubsreise.

Das ist neu. In der Vergangenheit hat die Mehrheit der Amerikaner den Scheck von Uncle Sam direkt in den Einzelhandel getragen und damit manchem Elektronik-Geschäft oder dem Reisebüro um die Ecke einen starken Start ins zweite Quartal ermöglicht.

Es geht schließlich um gewaltige Summen: Der durchschnittliche Scheck, den die US-Regierung in diesem Jahr als Steuer-Rückzahlung ausstellen wird, beläuft sich auf 2423 Dollar. Zumindest einen Teil davon würde sich Corporate America gerne sichern. Einzelhändler dürften in den nächsten Tagen mit ersten Sonderaktionen starten, glaubt NRF-Präsidentin Tracy Mullin und beruft sich auf Erfahrungen der letzten Jahre, in denen mancher Einzelhändler abenteuerliche Lock-Angebote entwickelt hatte. Das geht so weit, dass Kunden bei Wal-Mart direkt mit ihrem Steuer-Scheck zahlen können.

Angesichts der Schuldenlast, die auf dem durchschnittlichen Amerikaner drückt, raten Experten in diesem Jahr aber besonders laut, dass unerwartetes Einkommen – keiner verlässt sich wirklich auf die Rückzahlung, zumal deren Höhe je nach Steuerklasse und Abschreibungen stark schwankt – nicht unbedingt verschleudert werden sollte. Wer teuer verzinste Kredite abzahlt, täte sich den größten Gefallen, meint der Branchenverband der Vermögensberater. Auch eine außerordentliche Ratenzahlung am Haus oder die Einlage in den Sparstrumpf machten sich bezahlt.

Interessant dürfte es werden, wenn im Mai eine neue Umfrage vorliegt, aus der sich schließen ließe, wie die Amerikaner den Scheck von Uncle Sam wirklich eingesetzt haben. Denn dass eine Mehrheit dem Konsum heute abschwört heißt noch lange nicht, dass jeder angesichts scharfer Sonderangebote bei Autos und Fernsehern widerstehen kann.



Keine Angst vor der Vogelgrippe

Angst ist ein nicht zu unterschätzender Faktor an der Börse. Wer Aktien kauft, also in die Zukunft investiert, reagiert hin und wieder nervös, wenn auch nur die leiseste Gefahr droht – für ein Unternehmen, die Konjunktur oder das ganze Land. Umso erstaunlicher, dass sich eine der aktuell größten Gefahren nicht auf die Wall Street auswirkt: Die Vogelgrippe belastet Aktien so gut wie gar nicht.

Das ist umso erstaunlicher als Experten mittlerweile klar ist, dass die Vogelgrippe Amerika genauso erreichen wird wie sie Europa erreicht hat. Erst zu Beginn dieser Woche warnte das amerikanische Gesundheitsministerium, das Virus sei in den nächsten sechs Monaten zu erwarten. Die Auswirkungen sind bisher nicht abzuschätzen – Wissenschaftler halten Einzelfälle ebenso für möglich wie eine Epidemie.

Letzteres wäre eine Katastrophe für das ganze Land. Nach Berechnungen von Experten könnte eine Epidemie hunderttausende Menschenleben kosten und das Bruttoinlandsprodukt dramatisch senken. Schlimmste Szenarien sehen das Land in eine Rezession rutschen, wenn eine weite Ausbreitung der Vogelgrippe Unternehmen lahm legt.

Allzu wahrscheinlich ist dieser schlimmste vorstellbare Fall nicht, kein seriöser Analyst würde die Vogelgrippe zur Zeit in irgendwelche konjunkturellen Prognosen einrechnen. Doch manche Unternehmen können sich mit Sicherheit auf Probleme gefasst machen, allen voran die Hühner-Industrie.

Was auf die Züchter zukommen dürfte, zeigt ein Blick auf die Statistiken aus bereits von der Vogelgrippe betroffenen Ländern. Der Verzehr von Hühnerfleisch ist in Italien um 70 Prozent eingebrochen, seit dort der erste infizierte Schwan gefunden wurde. In Frankreich hat man Umsatzeinbrüche von 30 Prozent gemessen, in Indien von 40 Prozent.

Entsprechend besorgt sollten Anleger der amerikanischen Hühnchen-Konzerne reagieren: Tyson Foods, Pilgrim's Pride und Gold Kist verarbeiten zusammen 13 Millionen Tonnen Hühnerfleisch. Doch während die Aktien in den letzten Monaten alles andere als stark gelaufen sind, scheint das Risiko dramatisch einbrechender Umsätze und Gewinne doch nirgends eingepreist zu sein.

Noch weniger ist das bei den beiden größten Kunden der Züchter der Fall. Die Fastfood-Aktien laufen wie geschmiert: McDonald´s hat in den letzten zwölf Monaten um 60 Prozent zugelegt, Wendy´s um 10 Prozent. Die beiden Ketten verkaufen etwa 45 Prozent des Fleisches, das die drei großen Hersteller auf den Markt bringen.

Anleger lässt das, wie gesagt, kalt – die meisten Experten auch. Angesichts der hohen Kurse liegt für den Börsen-Experten Mark Hulbert die Empfehlung nahe, die Aktien zu shorten. In 190 großen Börsenbriefen, die Hulbert verfolgt, ist davon aber nirgends die Rede, lediglich in einem einzigen Brief steht Wendy´s auf der Liste empfehlenswerter Leerverkäufe.

Die Sorglosigkeit der Analysten spiegelt die der Konsumenten wider: Erst vor kurzem befasste sich eine Umfrage damit, was den Amerikanern schlaflose Nächte bereite. Die Vogelgrippe landete fast unbeachtet auf Rang neun und damit noch hinter relativ harmlosen Gefahren wie Übergewicht.

Markus Koch © Wall Street Correspondents Inc.
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