Enron: Zwei Sünder und zwei Richter
Auch in den bibelfesten Landstrichen Amerikas tun einige hoch angesehene Bürger regelmäßig und hauptberuflich, was ihnen laut dem Buch der Bücher eigentlich nicht zusteht: Sie richten andere. Doch gibt es Ausnahmen. Mit dem Tod eines Angeklagten sei ein anderer zuständig, heißt es aus Texas, und so wurde den frühere Enron-Chef Ken Lay drei Monate nach seinem Ableben freigesprochen.
Die Richter, ebenso wie Prozessbeobachter und vor allem ehemalige Enron-Mitarbeiter und andere Opfer des Milliardenbetrugs, der vor etwa fünf Jahren den siebtgrößten Konzern der USA in den Ruin trieb, dürften von der Schuld des Ken Lay durchaus noch überzeugt sein. Allzu deutlich war die Beweislage in dem langwierigen Prozess, der vor einem halben Jahr mit Schuldsprüchen gegen Lay selbst und dessen Nachfolger Jeffrey Skilling endete.
Allein, mit dem Tod eines Angeklagten sei das Verfahren fallen zu lassen, hat nun ein Bundesrichter in der Enron-Stadt Houston entschieden. Juristisch gesehen ist das recht unumstritten, denn dem Angeklagten hätten ja auch nach dem Schuldspruch Rechtsmittel zugestanden. Die könne er nicht mehr nutzen, insofern sei eine Verurteilung nicht verfassungsgemäß.
Ken Lay hilft das alles wenig, aber immerhin seiner Familie. Die könnte nun nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als 45 Millionen Dollar behalten, die Lay unterschlagen haben soll. Ganz sicher ist das zwar noch nicht, denn mit dem todesbedingten Freispruch im strafrechtlichen Verfahren endet nicht das Recht der Enron-Opfer, das Lay´sche Vermögen über Zivilklagen einzuklagen. Das dürfte aber schwer sein ohne einen grundsätzlichen Schuldspruch, außerdem müssen sich die Opfer gegen einen Mitstreiter behaupten: Uncle Sam, denn auch der kann seine eigenen Ansprüche nun nur noch zivilrechtlich geltend machen.
Während Ken Lay sich nun vor einem höheren Richter verantworten muss, wird sein Nachfolger Jeffrey Skilling in der nächsten Woche noch einmal bei Richter Sim Lake vorsprechen – die Urteilsverkündung steht an. Vorab sieht es nicht gut aus für den letzten CEO des einstigen Energieriesen. Rechtsexperten rechnen allgemein damit, dass Skilling für 25 bis 30 Jahre hinter Gitter muss, dazu kämen hohe Geldstrafen.
„Der Richter wird keine Gnade kennen“, meint Jacob Zamansky von der auf Wirtschaftsrecht spezialisierten New Yorker Kanzlei Zamansky & Associates. Skilling habe während der Prozesses mit harten Bandagen gekämpft, immer wieder seine Unschuld beteuert und pocht auch heute noch darauf, nur nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben und eigentlich selbst Opfer des Konzerns geworden zu sein.
Skillings Anwälte haben erst in den letzten Tagen Einspruch gegen jedes Urteil angekündigt und wollen in Berufung gehen. Aussichtsreich ist das nicht. Denn während die Argumentation „nach bestem Wissen und Gewissen“ im amerikanischen Recht sehr wohl verankert ist, berufen sich normalerweise nur Angestellte auf den Passus. Zuletzt übrigens vier Mitarbeiter von Morgan Stanley, die am Untergang von Enron beteiligt waren. Sie hätten nur Anweisungen befolgt und keine Schuld am Bilanzschwindel, war die Argumentation, der ein Gericht schließlich stattgab. Skilling indes hat keine Anweisungen befolgt. Er war Chef des Unternehmens und damit der, der Anweisungen erteilt hat.
Wie dem auch sei: Jeff Skilling wird mit großer Wahrscheinlichkeit in der nächsten Woche eine hohe Strafe verkündet bekommen, dann aber auf 5 Millionen Dollar Kaution nach Hause gehen. Ein Bundesgericht wird dann über seine Berufung befinden, bevor noch innerhalb weniger Monate die Rechtsmittel erschöpft sein werden. Prozessbeobachter Zamansky kümmert das nicht: „Ob Skilling die Strafe jetzt oder in drei Monaten angeht, ändert nichts daran, dass er quasi lebenslänglich sitzen wird“, meint er über den 52-Jährigen.
© Wall Street Correspondents Inc.
|