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Alt 26-10-2008, 18:51   #149
621Paul
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Wer ist Schuld an der Krise?

von Dr. Bernd Niquet

Hat man nicht seit Ewigkeiten immer auf die Politik ge-
schimpft? Dass sie nichts zuwege bringt? In Normalzeiten ist
das sicherlich wirklich oft der Fall. Doch jetzt, in den ex-
tremen Zeiten der Finanzkrise, hat die Politik wirklich her-
vorragend reagiert. Ich bin erneut an die Zeit nach dem Mau-
erfall erinnert. Auch damals gelang es, die Herausforderung
der Geschichte in einzigartiger Weise zu bewaeltigen.

Entsetzlich finde ich nur die Medien, nicht die Politik. Die
Politik glaenzt, doch die Medien suhlen sich im Dreck. Hier
sehnt man den Tumult in der Welt stets von Neuem herbei.
Koennte man den Untergang herbeischreiben, wuerde man es so-
fort tun. Alle Schlagzeilen sind heute tendenzioes. Die Mana-
ger sind Verbrecher, die Wirtschaft wird abstuerzen und die
Aktien werden auf null sinken.

Aber wer hat nun wirklich die Krise herbei gefuehrt? Die Ban-
ken haetten in unverantwortlicher Weise Kredite vergeben an
Menschen, die eigentlich gar nicht kreditwuerdig waren, erre-
gen sich jetzt alle diejenigen, die vorher die Banken stets
fuer das Gegenteil kritisiert haben, naemlich aufgrund re-
striktiver Kreditvergabe die Wirtschaft zu behindern.

Und dann diese Risikopapiere. Da spulen sich in den Internet-
foren gruene Jungs auf, die einen intensiveren Derivatehandel
als Geschlechtsverkehr absolvieren, was die Banken hier alles
emittiert haetten. Doch waere das denn alles gegangen, wenn
die Nachfrage (gerade von ihnen selbst) nicht so immens gross
gewesen waere?

Die fuer mich umfassendste und beste Erklaerung finde ich in
dem, was ich vom Deutschen Soziologenkongress lese, der die-
ser Tage in Jena stattgefunden hat: Nicht unersaettliche
Manager waren die Hauptverantwortlichen der Krise, heisst es
da, sondern es ist eine Krise der Mittelschicht. Und das
gleich auf vielen verschiedenen Ebenen:

Die Ueberhitzung des US-Immobilienmarktes sei keinesfalls das
Resultat einer fatalen Politik des billigen Geldes oder der
angelsaechsischen Eigenheimideologie. Vielmehr haette die US-
Mittelschicht kaum anders gekonnt als sich fuer Haeuser in
guten Gegenden zu ueberschulden. Denn nur in jenen Gegenden
seien die Schulen so, dass auch die Kinder dieser Leute noch
die Chancen auf ein Leben nach Art ihrer Eltern haben. Und
weil der oeffentliche Sektor in den USA fuer die Weitergabe
des Mittelschichtstatus wenig leistet, mussten die Leute es
auf eigene Faust auf den Immobilien- und somit Kreditmaerkten
versuchen.

Und hier wird das Bindeglied zu einer weiteren Ebene deut-
lich, denn was der Staat hier nicht hergab, das mussten eben
die Finanzmaerkte hergeben. Was sie im Endeffekt jedoch eben-
so wenig getan haben.

Und bei uns ist das ja auch nicht anders. Die umlagenfinan-
zierte Rente, so hat man immer wieder gesagt, sei eine Fehl-
konzeption. Und hat ganz auf das Ansparmodell und die Kapi-
talbildung gesetzt. Hat die Menschen kalt in voellig ueber-
hoehte Renditevorstellungen entlassen. Ploetzlich sollte die
Eigenvorsorge alles sein. Jeder Eigenvorsorger war damit auf
einmal ein kleiner Koenig, der den Maerkten seine Renditevor-
stellung in der gleichen Weise vorgab, wie Josef Ackermann es
bei seinem Unternehmen tat.

Und jetzt muss der Staat sie alle wieder heraushauen. Der
ungeliebte und gehasste Staat muss es jetzt machen. Ein
Glueck, dass wir ihn haben. Und wir sollten alle gemeinsam
auf die Knie fallen und dem Himmel danken, wie gut unsere
Demokratie in Krisenzeiten funktioniert. Denn wenn die Fi-
nanzkrise etwas lehrt, dann das.


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Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.

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Das Buch zur Krise, 143 Seiten, Volk Verlag, Muenchen 2008,
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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