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Alt 29-12-2003, 10:40   #3
Starlight
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Michael Mross: „Ich bin ausgesprochen optimistisch“
Michael Mross – Weltenbummler, Börsenguru, Buchautor und TV-Moderator – blickt gern mit gewissem Abstand auf die Dinge. Wir sprachen mit dem Berufoptimisten über die Welt der Börsen und Finanzen.

Instock:
Sie sind gerade nicht in Europa. Wo verbringt Michael Mross die trübe Jahreszeit?
Mross:
Ich halte mich gerade in Südafrika auf und erfreue mich hier des Lebens. Ich bin am Kap der guten Hoffnung, um ein bisschen Optimismus zu tanken.

Instock:
Kann man derzeit in Südafrika Optimismus tanken oder liegt es eher an der Sonne?
Mross:
Die Sonne ist gerade in der europäischen Winterzeit extrem stark. Optimismus tanken kann man, weil Südafrika in bestimmter Hinsicht ein sehr beispielhaftes Land ist - mit Vorbildfunktion für ganz Afrika.. Das Land hat unter anderen keine Staatsschulden. Hier werden Überschüsse erwirtschaftet, was man z.B. von Deutschland nicht sagen kann...

Instock:
Wie stellt sich Deutschland aus so großer Entfernung überhaupt dar?
Mross:
Ich habe das Gefühl, dass sich in Deutschland zwar etwas in Bewegung gekommen ist, aber es passiert nicht genug und viel zu langsam. Wir müssen darauf achten, dass Deutschland im Weltkonzert den Anschluss nicht verpasst. Die anderen Länder sind ja auch nicht gerade träge und viel innovativer. Das gilt vor allem für Asien, aber auch beispielsweise für Südafrika. Hier sind manche Gesetze im Hinblick auf die Deregulierung am Arbeitsmarkt sehr viel besser als in Europa.

Instock:
Mit Ihrer Markteinschätzung, der Dax wird zum Jahresende bei 4.000 Punkten stehen, gelingt Ihnen wahrscheinlich fast eine Punktlandung. War die Entwicklung in Deutschland über das Jahr gesehen so wie erwartet oder gab es Dinge, mit denen Sie nicht gerechnet haben?
Mross:
Eine Punktlandung war es ja noch nicht, noch haben wir die 4.000 nicht gesehen. Ich gehe aber durchaus davon aus, dass wir in den letzten Handelstagen dieses Jahres die 4.000 noch in Angriff nehmen. Die Situation ist ja so, dass die meisten institutionellen Investoren und die meisten Banken nicht richtig investiert sind. Die haben immer noch einen gewissen Nachholbedarf, den sie allerdings in den letzten Tagen des Jahres auch nicht unbedingt ausfüllen werden. Ich gehe davon aus, dass die nächsten Tage an der Börse ruhig verlaufen. Die Banken haben ihre Portfolios schon geschlossen. Zum 2. Januar startet dann die nächste Stufe der Rakete.

Instock:
Das klingt so, als ob Sie im Gegensatz zu vielen Marktbeobachtern für das kommende Jahr recht optimistisch sind?
Mross:
Ich bin ausgesprochen optimistisch, gerade was das erste Quartal betrifft. Ich hatte zunächst das Gefühl, dass die Aktienquote bei vielen professionellen Investoren relativ hoch gefahren wurde. Das täuschte allerdings. Im Gegenteil, man hat zum Jahresende Positionen glatt gestellt, weil man in den Büchern nicht das Risiko eingehen wollte, dass der Markt vielleicht doch noch mal fällt. Dann hätte man womöglich noch irgendwelche Verluste ausweisen müssen. Das machen übrigens viele Banken und große institutionellen Häuser. Die wollen sich zum Jahresende nicht mehr aus dem Fenster lehnen mit irgendwelchen Investitionen. Diese halten damit allerdings auch das Pulver trocken für das nächste Quartal. Das höre ich unisono von vielen Banken, dass man Gewehr bei Fuß steht, um im nächsten Jahr voll einzusteigen oder zumindest die Aktienquote zu erhöhen. Das lässt mich zu der Annahme gelangen, dass wir durchaus im ersten Quartal 2004 einen Dax-Stand in Richtung 4.400, 4.500 erwarten können.

Instock:
Werden wir dieses Niveau auf Jahressicht halten können?
Mross:
Langfristige Prognosen sind immer schwierig. Wir wissen, dass wir es mit einer ganzen Reihe von Unwägbarkeiten zu tun haben. Die Angst vor terroristischen Anschlägen ist nach wie vor sehr groß. Allerdings glaube ich, dass die Akteure an den Aktienmärkten durchaus immun sind gegen schreckliche Anschläge, die da befürchtet werden. Mit ein bisschen Optimismus kann man ja auch sagen, dass wir so etwas wie den 11. September oder das, was vor wenigen Wochen in der Türkei geschah, nicht mehr sehen werden. Ausschließen kann man es allerdings auch nicht. Ich halte die Rückwirkungen auf die Märkte für eher begrenzt, es sei denn, es passiert wirklich etwas ganz Schreckliches. Man muss aber nicht immer von den schlimmsten Dingen ausgehen. Man sollte ruhig der pessimistischen Grundstimmung in Sachen Terror und Politik etwas Optimismus entgegensetzen. Ein weiterer Punkt ist die Infektionskrankheit SARS. Sollte sich eine zweite SARS-Welle ergeben, dann könnte ich mir vorstellen, dass die Aktien-Rallye nicht so ungebremst nach oben geht. Dann müssen wir mit großen Rückschlägen rechnen, denn Infektionskrankheiten sind ein unkalkulierbares Risiko. Ich persönlich halte eine mögliche neue SARS-Epidemie für wenig eindämmbar und kalkulierbar.

Instock:
Die Richtung geben noch immer die USA vor. Dort befindet man sich schon im Vorwahlkampf. In wieweit wird das den Markt beeinflussen?
Mross:
Der Dollar wird sich weiter abschwächen. Meine persönliche Prognose ist, dass der US-Dollar bis Ende Januar auf 1,30 zum Euro fällt. Das ist für die amerikanischen Börsen eher positiv. Abwertungsbörsen sind immer Börsen, die steigen. Insofern können wir von Amerika nichts Negatives erwarten. Zumindest was die Weiterentwicklung des Dow Jones und der Nasdaq angeht. Auf der anderen Seite muss ich auch sagen, und da stimme ich mit vielen Experten überein, dass die Börsen in den USA ein sehr hohes Bewertungsniveau erreicht haben. Egal aus welcher Perspektive man es nun betrachtet. Aber auch hier gilt, dass wir viele Pessimisten am Markt haben und letzten Endes ist die Höhe eines Börsenbarometers abhängig von Angebot und Nachfrage. Wenn wir eine hohe Short-Quote haben, wenn viele Leute Leerverkäufe machen oder viele Leute an der Rallye einfach nicht partizipiert haben, dann ist auch hier noch Luft nach oben. Hier könnte sogar das Unvorstellbare eintreten, dass wir im nächsten Jahr einen neuen historischen Rekord beim Dow Jones sehen.

Instock:
Das Wirtschaftswachstum der vergangenen Monate in den USA ist vorrangig den enormen Rüstungsausgaben geschuldet. Haben wir da eine Blase, die zu platzen droht?
Mross:
Was die Konjunkturdaten in den USA angeht, so bin ich eher skeptisch und zurückhaltend. Ich halte das statistische Datenmaterial, das wir aus Amerika bekommen, zwar nicht für gefälscht, aber doch für statistisch extrem verzerrt. In mancherlei Hinsicht gibt es einen sogenannten hedonistischen Ansatz, die Dingealso „geschönt“ zu sehen. Da werden Dinge als Wachstum eingerechnet, die in Europa niemals in die Statistik einfließen würden. Wir hatten ja gerade auf Quartalsebene das größte Wirtschaftswachstum seit 19 Jahren. Da kann ich nur ungläubig lächeln. So super sieht es in den USA auch nicht aus. Was man aber bei den USA sagen muss, sie haben nach wie vor das größte Anpassungspotential.
Die Wirtschaft hat die größte Fähigkeit, mit Krisen und Problemen fertig zu werden. In konjunkturellen Krisenzeiten besitzen die USA die viel größere Fähigkeit, sich wieder wieder emporzuarbeiten, als beispielsweise Japan oder Europa. Noch schlimmer steht es dabei um Deutschland, wo wir an unseren strukturellen Problemen mehr oder weniger zu ersticken drohen. Das kleine Steuerreförmchen im nächsten Jahr ist weniger als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Instock:
In den USA hat man 2003 das Platzen der Immobilenblase befürchtet. Ist der große Knall nur verschoben?
Mross:
Ja. Die Natur jeder Blase ist, dass sie irgendwann platzt. Das haben wir an den Aktienmärkten gesehen und das wird auch an den Immobilienmärkten passieren. Die Frage ist nur wann. Ich sehe im Moment keinen Hinweis, dass wir ein Platzen der Immobilienblase kurz- oder mittelfristig befürchten müssen. In Amerika gibt es starke Kräfte in der Notenbank aber auch in der Politik, die gerade wollen, dass sich die Leute reich fühlen. Es ist gewollt, dass die Immobilienbesitzer Wertsteigerungen empfinden, damit die Konjunktur läuft. Fazit: Alan Greenspan wird die Zinsen weiter unten lassen, denn nur ein Ansteigen der Zinsen wird zum Platzen der Immobilienblase führen. Allerdings geht das auch nicht unendlich so weiter. Von daher droht ganz hinten am Horizont eine gewisse Gefahr.

Instock:
Wird die EZB in absehbarer Zeit an der Zinsschraube drehen?
Mross:
Die EZB wird nicht an der Zinsschraube drehen, zumindest nicht nach oben. Wir haben sogar die Möglichkeit, dass die Zinsen weiter sinken. Mit dieser Ansicht stehe ich wahrscheinlich allein auf weiter Flur, aber ich fühle mich sehr wohl mit dieser Position. Ich postuliere eine Zinssenkung der EZB im nächsten Jahr. Ich gehe aber davon aus, dass 99 Prozent der Experten genau das Gegenteil meinen. Die Terminmärkte signalisieren sogar zwei bis drei Zinssteigerungen im kommenden Jahr von bis zu 75 Basispunkten. Dazu kann ich nur sagen, alles Quatsch. Die Konjunktur in Europa, besonders in Deutschland, läuft nicht auf Hochtouren. Sie läuft sehr, sehr langsam. Wir werden keine Preissteigerungsraten haben, die die EZB dazu veranlassen könnten, an der Zinsschraube zu drehen. Wir werden durch den weiter fallenden Dollar – hier sehe ich zur Mitte des Jahres ein Verhältnis von 1,50 Euro zum Dollar – einen enormen Preisdruck bekommen. Das heißt, alle Importpreise werden nach untern gehen. Die Energiepreise werden entsprechend fallen, so dass wir durchaus zumindest gleichbleibende Zinsen im Euroraum erwarten können. Mit ein bisschen Zuversicht sogar eine Zinssenkung. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass im Moment ein Franzose das Ruder in der EZB in der Hand hält. Der Franzose neigt, wie wir aus der Geschichte wissen, eher dazu, die Zinsen zu senken, als sie zu erhöhen.

Instock:
Alle Welt spricht davon, dass es in Japan aufwärts geht. Sehen Sie das ähnlich?
Mross:
Japan war gerade in diesem Jahr (2003) bei vielen institutionellen Investoren sehr bevorzugt, was den Aktienmarkt angeht. Ich stehe Japan eher neutral gegenüber. Ich werde Japan im März erneut bereisen, um das Land wieder persönlich in Augenschein zu nehmen. Die Probleme dort sind denen in Deutschland ähnlich. Wir haben sehr starke strukturelle Problem in Japan. Insbesondere alte Traditionen, die sich bis in den letzten Winkel der Wirtschaft durchgesetzt haben und immer noch überall vorhanden sind, verhindern, dass wir dort schnelle Reformen bekommen. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass Japan sehr stark unter China leidet. All das, wofür Japan in den achtziger Jahren stand – billige Kassettenrekorder, Fernseher oder Computer – ist abgewandert in den chinesischen Raum. Wenn man sehen will, welche Region hier das Sagen hat, muss man nach Schanghai fahren und sich die Stadt ansehen. Man sieht schon an der Skyline, wo es aufwärts geht. Ich denke, wir brauchen in Japan viel, viel mehr Zeit, damit sich das Land wieder erholen kann.

Instock:
Sie halten sich häufiger in Afrika auf. Wann wird der Kontinent in der Weltwirtschaft überhaupt wieder eine Rolle spielen?
Mross:
Die einzelnen afrikanischen Staaten tun sich sehr, sehr schwer. Das liegt zum Teil an der Mentalität der einzelnen Menschen hier. Die gehen zum Teil ganz anders an das Leben heran. Vetternwirtschaft, Tyrannei und Korruption prägen die Politik. Einziger Lichtblick auf dem schwarzen Kontinent ist Südafrika. Doch schon in der Nachbarschaft, z.B. in Zimbabwe, stürzt ein amoklaufender Diktator das Volk in Hunger und Elend. Ich gehe davon aus, dass Afrika auch in den nächsten Jahren noch mehr oder weniger große Schwierigkeiten haben wird. Wir haben in Afrika noch zusätzlich eine extreme Bedrohung durch HIV. Es gibt Länder, in denen 50 Prozent der Bevölkerung HIV-infiziert sind, wie zum Beispiel im Kongo. Woanders sieht es auch nicht viel besser aus. In Südafrika sind etwa 25 – 30 Prozent der männlichen Bevölkerung HIV-infiziert, bzw. AIDS-krank. Das führt vor allem in den ärmeren Gegenden hier um Kapstadt – in den Townships – zu verheerenden Situationen. Die südafrikanische Armee ist ebenso von der Auszehrung bedroht wie große Teile der arbeitenden Bevölkerung, was hierzulande schon zu ernsten Problemen in der Produktion führt. Ein Ende des Dramas ist nicht in Sicht. Es gibt überhaupt kein Bewusstsein dafür, was HIV und Aids bedeutet. Es gibt auch kaum Vorsorge, um diese Krankheit zu verhindern. Das sind uralte Strukturen und Traditionen, die hier nachwirken. Beispielsweise gehen die meisten Menschen davon aus, dass HIV eine Strafe Gottes ist und dass irgendwelche Vorfahren eine böse Tat begangen haben, und sie jetzt dafür büßen müssen. Man tut sich insgesamt sehr schwer damit, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Das wird aus meiner Sicht Afrika in den nächsten Jahren noch kräftig erschüttern und die Bevölkerung erheblich dezimieren.

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