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Alt 14-03-2015, 11:31   #2
Benjamin
TBB Family
 
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Es geht um das Vertrauen der Marktteilnehmer (=Vermögensbesitzer) in den langfristigen Fortbestand des Finanzsystems, so wie wir es derzeit kennen:

Die EZB als alleiniger Vertrauensbildner mit Blick auf die Vermögenbesitzenden:
Derzeit werden unglaubliche Mengen an frisch - aus dem Nichts geschöpften - Geldes in die Märkte gepumpt. Die Vermögenspreisinflation wird dadurch angeheizt - solange die Marktteilnehmer glauben, dass die Stabilität des Gesamtsystems eindeutig gesichert ist. Das Problem dabei: Diesen Glauben kann die EZB nicht beliebig "drucken", der muss durch die gesamte Umfeld-Situation immer wieder und fortlaufend aktuell erzeugt werden. Und genau da hapert es immer stärker (siehe unten), mit der Folge, dass die Wirksamkeit des geschenkten EZB-Geldes immer kleiner wird (weil die Risikoaversion immer stärker wird), bis sie schließlich irgendwann aufhört. Die weltweiten Spannungen werden immer größer, der Vadacht wird immer größer, dass es "irgendwann" krachen wird.


Überall sonst gibt es mehrheitlich Vertrauensminderer:

1) Politiker als vertrauenstechnische Wackelkandidaten:
  • Griechenland kann von den Nordländern (politisch verträglich für die derzeit dort Regierenden) kaum noch mit Milliardensummen unterstützt werden, weil sonst kleine Euro-skeptische Parteien europaweit immer stärker in den Parlamenten vertreten wären, teilweise sogar die Regierungsmehrheit bekämen. Der eigene Stuhl ist immer und ohne Ausnahme das wichtigste Entscheidungskriterium für alle Politiker mit Blick auf die regelmäßigen Wahlen.
  • Das Vertrauen in den "Europäischen Rettungsmechanismus" wird erschüttert werden, wenn Griechenland geht. Die Märkte werden auf den nächsten Kandidaten spekulieren. Jedes Land macht nun seine eigene national-spezifische Kosten-Nutzen-Kalkulation auf (return on Investment) mit Blick auf die Frage, ob es Griechenland weiterhin mit noch mehr frischem Geld beschenken soll oder nicht (Rückzahlung durch Griechenland ist extrem unwahrscheinlich, faktisch ausgeschlossen).
2) Die Bürger haben immer stärker die Nase voll:
Die Anzahl und Bedeutung von Bürgerprotesten aus der rechten u. nationalistischen Ecke nimmt zu. Immer mehr Leute nehmen nicht teil an der Vermögenspreisinflation an den Aktienmärkten; dort werden nur die Reichen immer reicher. Der ganze EU-Apparat kommuniziert nicht mit den Bürgern, er wird von diesen nicht durchschaut u. wird als völlig undemokratisch empfunden. Zu viel Macht für irgendwelche unbekannte EU-Bürokraten, zu wenig direkte Demokratie der Bürger.

3) Nebelkerzen verunsichern
Die Medien schießen sich auf Russland als Gegner ein. Das mediale Getöse lässt eine Art mentale Mobilmachung der Wahlbürger vermuten. Militärhaushalte werden auf beiden Seiten vergrößert. Es wird ein Feuerwerk an Nebelkerzen geworfen, um die mediale Aufmerksamkeit auf Konflikte zu richten, die - bei Lichte betrachtet - doch bestenfalls sekundärer Natur sind. Wir brauchen Handelsbeziehungen zu Ländern wie Ukraine; wer genau die regiert kann uns doch in erster Näherung Wurst sein. Russland hat derzeit ein BIP deutlich kleiner als das von Italien, wird aber verkauft als eine Art Kriegsbedrohung für Europa. Das ist doch lachhaft, überzeugt in keinster Weise. Nur: So etwas eignet sich hervorragend, um als Ablenkungsmaneuver einen äußeren Feind zu platzieren. Diese Nebelkerzen-Nummer untergräbt aber als Nebenwirkung das so kostbare und empfindliche Vertrauen, da die realen Auswirkungen einer "Mobilmachung" oder gar eines heißen Konfliktes letztlich unübersehbar sind; sehr viele Euros wären dadurch gebunden für völlig unproduktive Zwecke (kein €-return on investment)!

4) Griechenland als erster Dominostein!
Das Verhalten der griechischen Regierung lässt vermuten, dass sie selber ein Gelingen des "Programms" der europäischen Partner faktisch ausschließt. Es fehlt überall gleichzeitig, der Rücken ist an der Wand, kein Handlungsspielraum mehr jenseits der Sichtweite von Tagen. Die Regierungsvertreter denken also an die Sicherung des eigenen Stuhls, durch entsprechende populistische Darstellungen der eigenen Person gegenüber der griechischen Wählerschaft, also wie heldenhaft sie gegen die bösen Nord-Staaten gekämpft haben. Es geht gar nicht mehr um die Rettung des Landes, es geht um Schadensbegrenzung bzw. den eigenen Wahlkampf der griechischen Politiker angesichts der bald fälligen Neuwahl nach dem Ausscheiden des Landes aus dem Euro.
Wenn Griechenland geht - was faktisch unausweichlich ist, es geht nur noch um das wann und wie - dann fragen die Märkte: Welcher Staat ist der Nächste?

Der horrende Unterschied im Falle Griechenlands (s.u.) wird eine fundamentale Neuordnung erzwingen:
  • zwischen dem, was in Griechenland real an Infrastruktur und Know-how da ist und an Wettbewerbsfähigkeit real gekonnt wird einerseits und
  • dem Preis, der derzeit dafür angesetzt wird - und der derzeit noch von den europäischen Partnern unglaublich gestützt wird.
4) Die Aktienmärkte
Sie bewegen sich in einem fortgesetzten Spannungsfeld
  • zwischen offensichtlich zunehmenden Risiken einerseits (was zur Risikovermeidung Anlass gibt wegen deflationärer Strömungen u. wegen zunehmendem Vertrauensverlust der Vermögenbesitzenden in die uneingeschränkte zukünftige Stabilität des Finanzsystems)
  • und andererseits dem EZB Versprechen, ganze Ozeane an geschenkten Geld quasi ewiglich in den Markt zu pumpen, was theoretisch zu unendlich großen Vermögenspreisen (=Kurse von Aktienindices) führen würde.

    Der Nikkei-Index kann bei unendlichem zeitliche unbegrenztem Vertrauen der Marktteilnehmer in die ewigliche Finanzsystemstabilität z. B. locker in 2-stellige Millionen-Kurswerte steigen (8-stelliger Nikkei Index! Das hat ein Analyst bereits berechnet u. veröffentlicht). Derzeit ist der Nikkei im 5-stelligen Bereich! Demnach wären wir also erst ganz am Anfang einer unerhörten Rally???

    Ich glaube nicht, weil die EZB, die Fed, BoE und die BoJ eben nicht ebenso Vertrauen drucken können, wie sie beliebig Geld drucken können. Wenn dieses quasi geschenkte Geld der Notenbanken nicht mehr angefasst wird, weil...
    • es ja nominal den Schuldenstand erhöht u.
    • das Selbstvertrauen in die eigene Rückzahlfähigkeit des jeweiligen EZB-Geldnehmers untergraben wird angesichts zunehmender Risiken u. kleiner werdende Margen,
    ...dann wird das EZB-Geld nicht mehr genommen. Im Gegenteil, die Leite werden zunehmend verkaufen, je mehr sie die Risiken als überwiegend einstufen.

Die Aktienmärkte sind selbst im historischen Vergleich unglaublich überkauft; die Analogie zur Situation im Jahre 2000 drängt sich charttechnisch auf (siehe Indikatoren im jeweiligen Monatschart).
US-amerikanische Aktienindices - in € bewertet - gehen im Mehrjahreschart zuletzt fast senkrecht nach oben - so etwas endet immer mit einem scharfen Peak - und danach steil abwärts.

Nur wann?

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Zwei Illustrationen zur "Marktbewertung" bzw. "Vermögenspreisinflation": Was ist real da - und wie wird es in Dollar bzw. Euro nominal bewertet?

A) Die Entwicklung der Geldmenge M2 (rot) und des Outputs der Industrieproduktion (blau) in den USA
vom 19. September 2011, zitiert aus http://www.querschuesse.de/geldpolitik/:
Die Entwicklung der Geldmenge M2 (rot) und des Outputs der Industrieproduktion (blau) in den USA seit Januar 1990 im Chart (1990=100). Sehr schön ist erkennbar, wie sich die Entwicklung von M2 von der Realwirtschaft, anhand des Output der Industrie, seit Anfang 2000 abkoppelt. Während der Output der Industrieproduktion seit 1990 bis August 2011 um +51,4% anstieg, explodierte M2 von durchschnittlich 3,2274 Billionen Dollar im Jahr 1990 um +195,8% auf 9,5449 Billionen Dollar.

Zitiert aus der o.g. Quelle:

B) The Ratio of Total Market Cap to US GDP (TMC/GDP):
Although GNP is different from GDP (gross domestic product; in Deutschland "Bruttoinlandsprodukt BIP"), the two numbers have always been within 1% of each other. For the purpose of calculation, GDP is used here.
Quelle: http://www.gurufocus.com/stock-market-valuations.php
Einschub: GDP = in etwa BIP, Over the long run, stock market valuation reverts to its mean. A higher current valuation certainly correlates with lower long-term returns in the future. On the other hand, a lower current valuation level correlates with a higher long-term return. The total market valuation is measured by the ratio of total market cap (TMC) to GNP -- the equation representing Warren Buffett's "best single measure". This ratio since 1970 is shown in the second chart to the right. Gurufocus.com calculates and updates this ratio daily. As of 03/13/2015, this ratio is 122.9%.

We can see that, during the past four decades, the TMC/GNP ratio has varied within a very wide range. The lowest point was about 35% in the previous deep recession of 1982, while the highest point was 148% during the tech bubble in 2000. The market went from extremely undervalued in 1982 to extremely overvalued in 2000.

Based on these historical valuations, we have divided market valuation into five zones:
Ratio = Total Market Cap / GDP Valuation
Ratio < 50% Significantly Undervalued
50% < Ratio < 75% Modestly Undervalued
75% < Ratio < 90% Fair Valued
90% < Ratio < 115% Modestly Overvalued
Ratio > 115% Significantly Overvalued

Where are we today (03/13/2015)?
Ratio = 122.9%, Significantly Overvalued
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Im angehängten Chart (zitiert ebenfalls aus http://www.gurufocus.com/stock-market-valuations.php) sieht man sehr schön, dass der Peak im Jahre 2000 nicht überwunden wurde!

Wann genau diese Sache kippt hängt weniger von den Zentralbanken ab. Deren Position ist klar u. berechenbar. Es hängt dominierend davon ab, in welchem Ausmaß die Vermögenden und die Wahlbürger das Vertrauen in den langfristigen Fortbestand des Finanzsystems und der damit verbundenen politisch-gesellschaftlichen Ordnung aufbringen. Dieses System ist aber derartig komplex, dass die Maßnahmen zur Aaufrechterhaltung dieses Systems die Leistungsfähigkeit desselben "irgendwann" übersteigen. Das ist bei wachsenden komplexen Systemen in einer begrenzten Welt naturgesetzlich immer so (Begründung siehe https://www.ftor.de/tbb/showthread.ph...hlight=Tainter )

Dieses Vertrauen sinkt bereits graduell ab; es wird gesichert an einem Zeitpunkt umschlagen in Mißtrauen. Dann erfolgt eine schnelle Reaktion - in diesem Falle wohl ein Crash.

Nur wann?
(43 Aufrufe 14.03.15, 15 Uhr)

Geändert von Benjamin (10-01-2017 um 10:53 Uhr)
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