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Alt 03-11-2004, 20:12   #68
Starlight
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Die Wall Street applaudiert Präsident Bush – Zu früh?

„I think I voted“ steht auf einem kleinen Aufkleber, den Paula Goodman nach ihrer Stimmabgabe in Cincinatti, Ohio, vorzeigt. – „Ich glaube, ich habe gewählt.“ Auch nach der offiziellen Aufgabe von John F. Kerry und nach dem Eingeständnis, dass Bush diesmal wahrscheinlich wirklich am meisten Stimmen gewonnen hat, steht Amerika vor einem Problem: Das Land ist tief gespalten, das Misstrauen ist hoch.

Die Börse macht unterdessen das Beste aus dem Wahlergebnis. Ein Blick auf die Indizes im frühen Mittwochshandel macht klar, wie die Wall Street zur Wahl steht: Bush hat gewonnen, und für die Branche ist das gut. Der Dow-Jones-Index klettert zur Mittagsstunde um satte 145 Punkte nach oben, die Nasdaq verbessert sich um 27 Zähler.

Die Wall Street hat auch allen Grund zu jubeln. Letzte Umfragen bei der Wahl haben ergeben, dass weder Terrorismus noch Irak die entscheidenden Themen waren, sondern die Konjunktur. 23 Prozent der Wähler nannten diesen Schwerpunkt, und das dürfte Bush nun definitiv überzeugen, seinen bisherigen Kurs weiterzuführen.

Das heißt: Corporate America kann sich einerseits über weitere Steuersenkungen freuen, andererseits braucht man große regulatorische Eingriffe nicht zu fürchten. Von Bushs häufig umstrittenem Protektionismus bis hin zu seiner absoluten Weigerung, Energiestandards einzuführen und den Schadstoffausstoß zu begrenzen gibt es viele Punkte, über die sich CEOs im ganzen Land freuen können.

Die Energiebranche freut sich über einen Bush-Sieg, der nicht nur Halliburton weitere lukrative Aufträge im Irak beschaffen wird. Allgemein werden die Öl-Konzerne besten Zugang zum Weißen Haus und vielleicht auch bald in die an Rohstoffen reichen Naturschutzgebiete in Alaska haben. Auch warten die Kohle-Förderer auf weitere Subventionen, während die Unternehmen im Sektor der alternativen Energien das Nachsehen haben werden.

Die Manager der Medien-Konzerne dürfen sich über eine zu erwartende weitere Deregulierung des Marktes freuen. Einzelne Konzerne können seit einigen Jahren ihren Marktanteil auf regionalen Märkten nahezu beliebig ausbauen, immer weniger Unternehmen beherrschen den Markt.

Zu den Bush-Fans gehören ferner die Aktien des Pharma-Sektors. Die Gesundheits- und Sozialpolitik des Präsidenten ist auch nach fast einjährigem Wahlkampf offensichtlich doch nicht allgemein als Milliardengeschenk an die Industrie entlarvt worde – die kann weiter die Hände aufhalten.

Das gleiche gilt für den Rüstungssektor, der sich auf anhaltend hohe Verteidigungsausgaben der Regierung einstellen darf.

Die Banken und Brokerhäuser – immerhin die wichtigsten Spieler an der Wall Street – profitieren am Mittwoch ebenfalls vom Wahlsieg des Präsidenten. Der hat über seine Steuerreform, vor allem über die Abschaffung der Doppelbesteuerung auf Dividenden, ein angenehmes Handelsumfeld geschaffen. Dass dies auf Kosten des Defizits ging, spielt für die Wall Street eine untergeordnete Rolle.

So sehr es zahlreiche Sektoren gibt, die von einem republikanischen Weißen Haus weiterhin profitieren, so ist die Freude der Wall Street doch nur auf kurze Sicht nachzuvollziehen. Vieles im Kerry-Konzept hätte für weniger Steuervorteile für die Unternehmen gesprochen, aber dafür den Mittelstand gestärkt. Auf diese Weise hätten Verbraucher stärker in den Markt gehen und Geld in die Wirtschaft pumpen können.

Mehr Geld in den Händen der reichsten Amerikaner heizt den Konsum nicht zusätzlich an. Mehr Geld in den Händen der weniger wohlhabenden Klasse hätte die allgemeine Kaufkraft gestärkt und langfristig positive Folgen für Konjunktur und Markt gehabt.

Auch ein Blick in die Geschichtsbücher sollte die Wall Street nicht zu früh feiern lassen. Unter demokratischen Präsidenten hat der Aktienmarkt um durchschnittliche elf Prozent zugelegt, unter republikanischen Präsidenten nur um sieben Prozent. Unter Bush haben die US-Börsen sogar 16 Prozent an Wert verloren, wobei die großen Stars der Neunzigerjahre zu den größten Verlierern gehörten: Telekom und Hightech haben in vier Jahren unter Bush die Hälfte ihrer Marktkapitalisierung eingebüßt, die Medien-Aktien zeigen ein Minus von 33 Prozent, Automobilhersteller einen Abschlag von 25 Prozent.

So ist die Rallye an der Wall Street vielleicht auch nicht nur als ein Feuerwerk für den alten und neuen Präsidenten zu verstehen. Vielleicht sind Anleger auch einfach nur erleichtert, dass die Wahl nicht in einem ganz so großen Chaos geendet ist wie vor vier Jahren. Doch auch darüber können Amerikaner geteilter Meinung sein: Während John F. Kerry nach seinem Telefonat mit Präsident Bush gegen 13 Uhr Ortszeit offiziell seine Niederlage erklären wird, untersuchen zahlreiche parteiische und unparteiische Gruppen, wie es zu dem bekannten Ergebnis kommen konnte – mit Klagen in Staaten wie Florida und Ohio ist durchaus noch zu rechnen.

Lars Halter - © Wall Street Correspondents Inc.




Märkte werden Aufmerksamkeit bald wieder auf amerikanische Konjunkturdaten richten


http://www.faz.net/aktuell/vereinigt...g-1195476.html
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