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Alt 13-08-2004, 09:19   #12
Switch
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Nicht Greenspan, der Ölpreis zählt
Von Jochen Steffens
Einige Kommentare zur Fed Sitzung kann man nicht so stehen lassen. Da hört man: Die Äußerung Greenspans, mit der moderaten Zinserhöhungspolitik fortfahren zu wollen, spreche dafür, dass die Fed die Zinsen bei der nächsten Sitzung weiter erhöhen werde.

Richtig daran ist: Greenspan will an der moderaten Zinserhöhungspolitik festhalten. Richtig ist auch: Es ist durchaus möglich, dass die Fed am 21. September die Zinsen weiter anhebt. Lediglich die Verknüpfung ist falsch – völlig falsch. Das wird aber erst deutlich, wenn man den Spieß umdreht:

Was sollte Greenspan denn sonst sagen? Wir werden vor der Wahl auf eine weitere Zinserhöhung verzichten? Erst einmal, warum sollte es sich derart festlegen? Zweitens ist es nicht die Aufgabe der Fed auf eine Wahl Rücksicht zu nehmen (obwohl man weiß, dass die Fed das sehr oft gemacht hat, allerdings unabhängig davon welche Partei in den USA an der Macht war). Drittens könnten dann sogar die Demokraten auf die Idee kommen, der Fed Einflussnahme auf die Politik vorzuwerfen – zu Recht (obwohl auch die Demokraten wissen, dass die Fed grundsätzlich versucht, im Umfeld der Wahl möglichst keine Zinsschritte zu unternehmen).

Folglich konnte Greenspan nichts anderes sagen. Jeder andere Satz hätte einen "Nicht-Zinsschritt" eingepreist, damit wäre der Effekt im September bereits jetzt verbraucht. Warum sollte er seine Munition jetzt schon verschießen? Jetzt kann er noch mit der "gut laufenden Konjunktur" punkten. Im September kann er trotz dieser Aussage einen weiteren Zinsschritt auslassen. Das würde ihm kurz vor der Wahl nicht als Eingeständnis einer Konjunkturschwäche vorgeworfen werden – gleichzeitig aber die Märkte stützen.

Der zweite Punkt: Sie wissen, ich bin bearish eingestellt, was die weitere Zukunft der US-Wirtschaft anbetrifft – besonders im Jahr 2005, sofern es zuvor zu einer Wahlrallye kommt. Trotzdem heißt das nicht, dass ich alle Argumente der Bären auch akzeptiere. Und wenn die Bären nun schreiben, Alan Greenspan hätte die wirtschaftliche Situation, besonders die des Arbeitsmarktes, den Vorgaben entsprechend wesentlich zu optimistisch interpretiert, dann muss ich leider widersprechen. Wie ich gestern ausführte, es gibt noch einige Anzeichen, die belegen, dass die aktuelle Schwäche am Arbeitsmarkt durch die Zurückhaltung der Firmen zustande kommt, nicht jedoch aufgrund geringer Produktion. Greenspan führte das auf den hohen Ölpreis zurück.

Das ist aus volkswirtschaftlicher Sicht vollkommen korrekt: Wenn der Ölpreis steigt, dann steigen gleichzeitig die Energiekosten und Rohstoffkosten. Das bedeutetet die Herstellungskosten der Unternehmen werden teurer. Wenn die Preis gleichzeitig einigermaßen stabil bleiben, dann führt das direkt zu eine Verringerung der Gewinnmargen der Unternehmen.

In dieser Situation ist es für die Firmen kaum möglich mehr Arbeitnehmer einzustellen, da menschliche Arbeit mit einer der teuersten Faktoren im Herstellungsprozess ist. Das bedeutet aber, dass die wenigen Arbeiter mehr produzieren müssen. Sollte sich also der hohe Ölpreis auswirken, müsste man dies an der Arbeitsproduktivität erkennen. Und genau das war der Fall. So erklärt sich, dass die Arbeitsproduktivität in den USA im letzten Monat um erstaunliche 2,9 % angestiegen ist.

Würden also nun die Ölpreise sinken, dann würden sich bei den Firmen sofort die Gewinnmargen verbessern, das gäbe Luft, um neue Menschen einzustellen. Geschieht das, werden also die nächsten Arbeitsmarktdaten wesentlich besser ausfallen – was dann die Börse macht, können Sie sich vorstellen.

Ich kann mich also nur wiederholen und wiederholen: Das einzige, aber absolut entscheidende Kriterium für den weiteren Fortgang an den Börsen ist der Ölpreis.

Alles andere, auch die Zahlen von Cisco (dazu später) haben nur einen kurzen Einfluss auf die Börsen.

So könnte der heutige Tag sehr gut auch der Sell – off, der letzte Ausverkauf sein, denn der Ölpreis sinkt leicht.

Nun regte ein Leser an: Ob es denn nicht sein könne, dass die Öllobby in den USA vielleicht gar kein Interesse mehr an der Wiederwahl von Bush habe. Vielleicht will die Öllobby aufgrund der vielen Fehlgriffe der Bush-Regierung lieber Kelly zum Präsidenten und würde deswegen den Ölpreis hochtreiben.

Die Umwälzungen in den USA, wenn die Regierungen wechseln würde, kann man fast schon als revolutionär bezeichnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die konservative Öllobby das Risiko eingehen würde. Zudem muss man wissen, dass einige der obersten Bundesrichter in den USA kurz davor stehen, das Zeitliche zu segnen. Nun verhält es sich in den USA so, dass die Regierung, die an der Macht ist, im Falle eines Ablebens eines der Richter einen neuen Richter ernennt – natürlich aus dem eigenem politischen Lager. Die obersten Richter beeinflussen dann durch ihre Urteile in den entscheidenden gesellschaftlichen Fragen maßgeblich und auf Jahre (nämlich bis zu ihrem Lebensende) die weitere Entwicklung in den USA (teilweise nachhaltiger als die Politik). Das könnte auch besondere Brisanz in Fragen des Umweltschutzes haben, die sich direkt negativ auf die Ölindustrie auswirken könnte. Das Risiko wäre also einfach zu groß.

Also, ich gehe nach wie vor davon aus, dass die US-Ölindustrie Bush zu einer Wiederwahl verhelfen will. Wenn nicht Saudi-Arabien oder Putin dazwischen funken, dann sollte bald der Ölpreis fallen – wenn der Ölpreis nicht fällt – dann vergessen Sie die Wahlrallye!

Und zum Schluss: Wenn der Ölpreis unter 41,80 Dollar (Brent) fällt, ist ein entscheidender Aufwärtstrend gebrochen, dann sollte der Ölpreis weiter fallen, insbesondere da der Irak wieder seine kurzzeitig ausgesetzten Öllieferungen aufnimmt – aktueller Kurs: 42,39 Dollar.

Quelle: instock
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Grüsse Switch

„Es ist oft produktiver, einen Tag lang über sein Geld nachzudenken, als einen ganzen Monat für Geld zu arbeiten.“ (Heinz Brestel, dt. Finanzpublizist)
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