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Alt 27-10-2005, 20:56   #2
simplify
letzter welterklärer
 
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Energiepreis - Menetekel an der Wand?

Jetzt haben wir es amtlich. Die Verteuerung von Öl und insbesondere Benzin treibt
die Inflation. Im September und Oktober hat die Inflationsrate die Marke von
2 Prozent in Deutschland klar überschritten. Dies ist nicht das Ende der
Fahnenstange: Denn nur bei Benzin und Heizöl gibt es zeitnahe Anpassungen an die
Preisbewegungen an den Rohölmärkten. Bei Gas und Strom ist diese Preiserhöhung
zeitverzögert. Damit blüht uns auch noch ins Jahr 2006 hinein eine Belastung
unserer Budgets. Und die Hurrikansaison ist noch nicht vorbei. Auch gibt es
plausible Berichte, dass die Haushalte wegen der im ganzen Sommer hohen Preise
recht wenig Heizöl gekauft haben. Dies könnte sich nun rächen und einen
eigenständigen Preisschub beim Heizöl auslösen.
Wie dürfte es mit den Energiepreisen weitergehen und welche wirtschaftlichen
Folgen sind zu erwarten? Da die Effekte vermutlich gravierend sind, was werden die
wirtschaftspolitischen Instanzen hier und andernorts tun?
Anders als bei der Ölpreisexplosion in den 70er Jahren erwartet man diesmal keine
Rezession. Meist wird die Erwartung weniger dramatischer Folgen darauf
zurückgeführt, dass der Ölpreisansteig diesmal nicht Folge einer
Angebotsverknappung ist, sondern praktisch allein als Konsequenz einer sehr
starken, nachhaltigen Expansion der Energienachfrage. Trotz mehrjähriger
Verteuerung von Öl, 2005 besonders massiv mit über 20 $ je Fass, laufen die
Motoren der Weltwirtschaft auf praktisch unverändert hoher Tourenzahl. Auch
Schwellenländer in Lateinamerika und Mittel- und Osteuropa blieben in einem
robusten Aufwärtstrend. Selbst Japan gelang der Ausbruch aus der Stagnation.
Zugegeben, Europa krebst und dies obwohl die Exporte nach wie vor die Wirtschaft
solide stützen. Aber nunmehr beginnen die Effekte zu „beißen“. Wenn Amerikaner für
die Gallone Benzin 3 Dollar zahlen müssen, bricht für viele die Welt der Sport-Utility-
Vehicles zusammen. Und die Air-Condition im Sommer und die Heizung im Winter
bei schlecht schließenden Fenstern wird zum Dollargrab. In vielen Schwellen- und
Entwicklungsländern können die Regierungen die Subventionen für Energie nicht
mehr fortsetzen; denn die Haushaltslöcher, die diese Preissubventionen rissen, sind
gigantisch und nicht durchhaltbar. Wir alle haben die auf die Preisanpassung
folgenden Demonstrationen etwa in Indonesien wahrgenommen. Also jetzt rezessive
Folgen der Ölpreissteigerung?
Zuerst einmal, was sich in den letzten beiden Jahren bei den Energiepreisen ereignet
hat, entspricht der Wirkung nach einer 3%igen Mehrwertsteuererhöhung bei den
Ölverbrauchsländern. Das ist kein Pappenstiel. Und es ist offenkundig besonders
schmerzhaft für die, deren Wachstumsdynamik nicht wie in den USA, Indien und
China groß ist, sondern wie bei uns in Europa und Deutschland nicht vorhanden ist.
Hier geht die Belastung entsprechend direkt auf die Knochen. Aber bevor spiralartige
Prozesse nach unten als Folge dieser Ereignisse als unvermeidbar angesehen
werden: Es gibt Gegenkräfte: Erstens, da seit einiger Zeit geglaubt wird, dass
Energie nicht bald wieder billig sein wird, kommt es bei Öl und Gas, aber auch Kohle,
Kernenergie, Biomasse, Wind- und Solarenergie zu kräftigen Anstiegen der
Investitionen. Dies stärkt die Ausweitung des Energieangebots. Zweitens, die
nachhaltig erhöhten Preise sorgen für Energieersparnis. Energiesparende Autos
gewinnen Marktanteile und generell wird mit natürlichen Ressourcen besser
gehaushaltet. Die Nachfrage sinkt. Drittens gewinnen die deutschen Anbieter
zusätzlichen Absatz in Ländern, die Energie exportieren. Dies gilt für Norwegen,
Russland, aber auch für den Nahen Osten und einige Länder Afrikas. Nicht
unbedeutend ist zudem, dass deutsche Unternehmen oftmals Güter exportieren und
für den heimischen Markt liefern, die besonders energiesparend sind
(Wäschetrockner, Heizkessel) und Produkte für die Gewinnung regenerativer
Energie herstellen. Aus dieser Kombination von Faktoren resultiert zwar nicht, dass
Deutschland von hohen Ölpreisen profitiert. Aber der Energiepreisanstieg ist
gesamtwirtschaftlich für Deutschland bei weitem nicht so nachteilig wie eine isolierte
Betrachtungsweise der erhöhten Ölrechnung vermuten lässt.
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