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Alt 23-12-2005, 15:00   #3
simplify
letzter welterklärer
 
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Norbert Walter


Energiepolitik in den USA - modernes Antiquariat?

In vielen Bereichen sind die USA absolute Weltspitze. Auch im Ölverbrauch. Sie benötigen
fast achtmal soviel wie Deutschland, haben aber nur ein Dreifaches der
deutschen Bevölkerung. Und sie sind abhängig vom Erdöl, so abhängig wie kein anderes
Land der Welt. Deshalb richten sie ihre Energiepolitik seit Jahren strategisch
an der Erschließung neuer Märkte, beispielsweise in Westafrika oder im Nahen Osten
aus.
Prinzipiell streben die USA ähnliche energiepolitische Ziele wie die übrigen Industrieländer
an. Sicherheit und ökologische Nachhaltigkeit stehen oben auf der Agenda.
Doch Wirtschaftlichkeit steht in den USA eindeutig im Vordergrund. So werden im
Konfliktfall die Umweltinteressen hintangestellt.
Antiquierte Energiepolitik, meinen deshalb die Europäer, und wissen nicht so recht,
ob sie die Amis auslachen sollen, oder ob ihnen das Lachen dabei im Halse stecken
bleibt. Denn die Erderwärmung hat längst begonnen. Das stärkste Hurrikanjahr aller
Zeiten, 2005, hat bei den Amerikanern vor der eigenen Haustüre gekehrt. Doch das
Kyoto-Abkommen ratifizieren die USA auch weiterhin beharrlich nicht. Warum? Sie
berufen sich auf die minimale Temperatursenkung des globalen Klimas von 0,03
Grad, die die Umsetzung des Kyoto Protokolls bewirken würde und auf die boomenden
Schwellenländer, die den eigenen Energieausstoß zunächst nicht mindern müssen.
In Europa werden seit langer Zeit fleißig Gebäude isoliert, Filteranlagen in Fabriken
einbaut, Autos mit geringem Verbrauch produziert, Benzin besteuert und sogar im
privaten Bereich Energiesparlampen installiert. Die amerikanische Gesellschaft aber
ist auf billige Energie getrimmt. Für Nachhaltigkeit im Energiesektor und für deren
Förderung wird nur wenig Geld ausgegeben. Denn die Gesellschaftsphilosophie der
USA basiert darauf, dass billige Energie ein Grundrecht ist. Und so schockiert es nur
europäische Ohren, wenn Vizepräsident Cheney öffentlich äußert, dass Energiesparen
vielleicht eine persönliche Tugend sei, aber nicht die Grundlage für eine umfassende
vernünftige Energiepolitik.

Doch die Amerikaner finden dies strategisch clever: kurzfristige und teure Emissionssenkung
wird vermieden. Wunsch der Regierung ist es stattdessen durch die Entwicklung
neuer Technologien eine größere Senkung der Emissionen möglich zu machen
- und dies zu niedrigeren Preisen. Erste Schritte hierfür sind bereits getan. So
sind die USA weltweit auf Platz 2 bei der Produktion von Ethanol und auf Platz 3 bei
der Produktion von Solarzellen. Das klingt wirtschaftlich sinnvoll durchdacht, ist aber
ein Spiel mit dem Feuer. Katrina und Rita haben es den Amerikanern gezeigt: die
globale Erwärmung ist da. Sicher können wir hoffen, dass Zukunftstechnologien uns
den Weg weisen, um in ein paar Jahren richtig viel Energie zu sparen und das auf
eine effiziente Weise. Vielleicht ist es ungefährlich, jetzt viele Ressourcen zu
verbrauchen und gute Gewinne einzufahren, um später mit enormem Potential einzusparen.
Aber Sicherheit darüber gibt es nicht. Wenn man nicht weiß, wann mit
dem Sparen begonnen werden muss, möchte ich es lieber mit Dagobert Duck halten
und früh Reserven bilden. Deshalb sollte sich die amerikanische Bundesregierung
lieber die Initiativen einzelner Bundessaaten zu Herzen nehmen. Diese werden zwar
bei der europäischen Energieschimpfe auf die USA häufig ignoriert, haben aber einiges
vorzuweisen: so hat doch der am stärksten bevölkerte Bundesstaat Kalifornien
schon mit seiner als 'California Effect' bezeichneten Abgasgesetzgebung ein positives
Stück Regulierungsgeschichte geschrieben.
Europa kann sich in punkto Wirtschaftlichkeit und strategischer Ausrichtung ein Beispiel
an der Energiepolitik der USA nehmen. Doch die Amerikaner dürfen die Nachhaltigkeit
nicht weiterhin so notorisch vernachlässigen. Weder im globalen noch im
eigenen Interesse. Energie ist ein knappes Gut, ihre effizientere Nutzung ist eine Investition
in die Zukunft. Die Amerikaner denken Modernisierung wird es richten; die
internationale Ausrichtung an Nachhaltigkeit sorgt aber dort, wo sie ernst genommen
wird für eine sachgerechte Orientierung des technischen Fortschritts und damit für
einen Vorsprung nicht durch Technik, sondern durch Vorausschau.

G:\Walter\ZEITUNG\PB Newsletter\23_12_05_Energiepolitik_in_den_USA.doc
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Der ideale Bürger: händefalten, köpfchensenken und immer an Frau Merkel denken
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