Nach der PISA-Studie kritisiert nun auch ein UN-Bericht die große Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem - und weckt damit die Abwehrreflexe deutscher Bildungspolitiker.
UN-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz Villalobos stellt heute in Genf seinen offiziellen Bericht über das Bildungssystem in Deutschland vor. Wie vorab bekannt wurde, wendet sich Muñoz darin vor allem gegen das vielgliedrige Schulsystem in der Bundesrepublik.
Der UN-Inspektor rät dazu, die föderalismusbedingten Unterschiede abzuschaffen. Insbesondere Kinder aus sozial schwächeren Familien oder Kinder mit Migrationshintergrund würden vom bestehenden System entscheidend benachteiligt, konstatierte Muñoz.
Nach dem Berichtsentwurf bemängelt der UN-Menschenrechtsinspektor vor allem fehlende Chancengleichheit in den deutschen Schulen, die Ausgrenzung von Behinderten in Sonderschulen und eine oft unklare Schulsituation für Kinder von Flüchtlingen und Eltern mit unklarem Aufenthaltsstatus.
Bildungssystem eine Erfolgsgeschichte?
Verwiesen wird darauf, dass Deutschland sich mit mehreren internationalen Abkommen verpflichtet habe, das „Recht auf Bildung“ für alle zu garantieren. In der Stellungnahme des Bildungsexperten sind auch die Ergebnisse jüngster internationaler wie nationaler Studien über das deutsche Schulsystem eingeflossen.
Der deutsche UN-Botschafter Michael Steiner wird nach dem Muñoz-Bericht eine gemeinsame Gegenäußerung von Bundesregierung und Kultusministerkonferenz (KMK) vortragen.
Deutsche Bildungspolitiker widersprachen den Thesen des aus Costa Rica stammenden Jura-Professors, der die Bundesrepublik vor einem Jahr besucht hat, bereits im Vorfeld vehement. Vor allem Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) beharrte darauf, dass die Aufteilung in Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien in Deutschland eine Erfolgsgeschichte sei.
Der bayerische Kultusminister Siegfried Schneider (CSU) wies die Vorwürfe der Chancenungleichheit am Dienstag entschieden zurück. „Das gegliederte Schulsystem bietet sehr gute Voraussetzungen, um Kinder und Jugendliche entsprechend ihren Talenten und Interessen optimal zu fördern“, sagte Schneider.
ifo-Studie stützt UN-Kritik
Für ihn sei nicht nachvollziehbar, wie der UN-Sonderberichterstatter nach einem dreitägigen Aufenthalt in Deutschland im Februar 2006 überhaupt ein Urteil über das deutsche Bildungssystem fällen könne, kritisierte der CSU-Politiker. In Bayern habe Muñoz an einem einzigen Tag insgesamt drei Schulen besucht.
Das bayerische Schulsystem weise eine hohe Durchlässigkeit auf. Auf dem Weg über Berufsoberschule und Fachoberschule könnten leistungsfähige und -willige Haupt- und Realschüler auch bis zum Hochschulstudium gelangen. „Bildungserfolg allein mit Gymnasium und Abitur gleichzusetzen, ist mit Sicherheit der falsche Ansatz.“
Eine neue Studie des Münchner ifo-Instituts stützt aber die UN-Kritik. Sie kommt zu dem Schluss, dass ein längeres gemeinsames Lernen aller Kinder sowie die anschließende Aufteilung auf weniger Schulformen mehr Chancengleichheit schaffe.
Der ifo-Bildungsökonom Ludger Wößmann verglich dabei unter anderem Daten aus Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern mit vierjähriger Grundschule sowie aus Berlin und Brandenburg, wo die Kinder in der Regel sechs Jahre lang gemeinsam zur Grundschule gehen.
Schultypen reduzieren
Wößmann plädiert zudem dafür, in Ländern mit nur noch geringem Hauptschüleranteil durch Verringerung der Zahl der Schultypen „die Ausgrenzung leistungsschwacher Schüler zu reduzieren“.
Die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, forderte die deutschen Bildungspolitiker auf, endlich die hohe Abhängigkeit von Bildungserfolg und sozialer Herkunft zu überwinden. „Kultusminister wie Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) müssen auf rechthaberische Abwehrhaltung verzichten und endlich die Schulstrukturfrage angehen.“
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