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Alt 17-05-2005, 16:03   #76
621Paul
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Die Irrtümer der Börsianer
10:23 17.05.05






Eine Beobachtung hat sich bei mir derart verfestigt, dass ich heute einmal darüber schreiben muss. Es hat zwar direkt mit der Börse nichts zu tun, ist aber ein Paradebeispiel für die Fallstricke, über die die Börsianer gemeinhin so gerne stolpern.



Wenn ich Kinder irgendwo mit nur einem Elternteil sehe, dann sind es fast immer Töchter mit Vätern und Mütter mit Söhnen. Man kann daraus also folgende Gesetzmäßigkeit aufstellen, die – jedenfalls in meiner Untersuchung – empirisch eine gute Bestätigung erlangt: „Mütter haben immer Söhne – und Väter haben immer Töchter.“



Nun ist diese Gesetzmäßigkeit natürlich bereits auf den ersten Blick völliger Unsinn. Jedes Kind hat immer eine Mutter und einen Vater. Hier etwas heraus zu schneiden, ist also völlig unsinnig. Als Einzelbeobachtung ist so etwas möglich, vielleicht deswegen, weil Kinder gerne mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil bestimmte Unternehmungen machen. Doch als allgemeine (und das Gegenteil ausschließende) Aussage ist sie nicht haltbar, weil sie im Aggregat, also in der Gesamtheit, logisch völlig unmöglich ist.



Doch was man hier sehr leicht und auf den ersten Blick bereits erkennt, ist an den Börsen schwieriger. Gegenwärtig haben wir eine leichte Schwächephase an den Aktienmärkten und einen haussierenden Bondmarkt. Und da heißt es überall: Jetzt schichten die Anleger von den Aktien in die Bonds um. So etwas ist jedoch völlig unmöglich wie Söhne, die nur Mütter haben und Töchter, die nur Väter haben. Im Aggregat „passt“ es nämlich nicht.



Einzelne Söhne können durchaus auf Dauer nur mit ihren Müttern gesehen werden (und Töchter mit ihren Vätern) – die andere Seite der Medaille existiert jedoch trotzdem: Jedem Ausstieg am Aktienmarkt muss immer ein Einstieg gegenüber stehen – und jedem Einstieg in den Bondmarkt ein Ausstieg. Einzelne Anleger können also umschichten, das geht. Doch als Gesamtaussage ist so etwas unzulässig, und möglich und dumm.



Mit den besten Grüßen!



Bernd Niquet
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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Alt 22-05-2005, 09:33   #77
621Paul
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22.05.05

Er hat es tatsaechlich gemacht!

Von Dr. Bernd Niquet

Manche Dinge werden niemals Realitaet, andere hingegen pas-
sieren so schnell, dass man sich kaum versieht. Am letzten
Wochenende habe ich geschrieben, dass es doch einmal gut
waere, wenn ein prominenter Meinungsmacher unserer neuen Ka-
pital-Religionsbewegung sich oeffentlich ans Kreuz schlagen
und von dort den Menschen seine Predigt halten wuerde. Und
schon am selben Tag muss es passiert sein, denn am Wochenende
konnten wir bereits die Andacht des Chefredakteurs der "Welt
am Sonntag" druckfrisch von der Kanzel pfluecken.

Handelt es sich bei den Firmenaufkaeufen ueber die Boerse um
ein krasses Beispiel von Raubtierkapitalismus? fragt Chefre-
dakteur Christoph Keese in seinem Leitkommentar. Nein, sagt
er, "Kapitalismus ist eine grosse Demokratiebewegung, die
kleinen Anlegern Macht ueber grosse Konzerne verschafft ...
Deswegen ist der Finanzmarkt auch ein Ort der Begegnung und
oft der Solidaritaet."

Also, ich habe nun wirklich schon die irrwitzigsten Dinge in
meinem Leben gehoert. Dass der Finanzmarkt jedoch ein Ort der
Begegnung und der Solidaritaet sei, verschlaegt regelrecht
den Atem. Ich denke, wir sollten ehrlicher mit der Wirklich-
keit umgehen. Alles andere bringt nichts. Man darf die Men-
schen nicht mit romantischem Unsinn betruegen. Die Wirklich-
keit an den Finanzmaerkten ist brutal und gemein, doch es
gibt keine Alternative zu diesem System. Man kann nur versu-
chen, es korrekt zu verstehen - und in Teilbereichen zu zaeh-
men. Der Schleier der Romantik muss weg! Ein dritter Weg je-
doch wuerde zielstrebig in die Dritte Welt fuehren.

Was mich allerdings am meisten bedrueckt, ist, dass gerade
das dieses Beispiel zeigt, dass die Meinungsfuehrer ueber-
haupt nicht begriffen zu haben scheinen, was sie da predigen.
Deswegen benutze ich auch den Begriff Religion. Denn hier
wird nur nachgebetet, was andere vorgebetet haben. Verstanden
wird es anscheinend nicht. Wie hat Kant so unuebertrefflich
ueber die Religion geschrieben: Ich musste das Wissen aufhe-
ben, um fuer den Glauben Platz zu schaffen. Bei unseren Mei-
nungsfuehrern im bereich Wirtschaft passiert gegenwaertig
genau das Gleiche.

Ein Beispiel mag das illustrieren: "Ressourcen werden ueber
den Finanzmarkt", schreibt Keese zu den Firmenuebernahmen,
"von dort, wo sie uebrig sind, dorthin transportiert, wo man
sie braucht." Das ist natuerlich voellig irrig. Das geht
naemlich nicht. Abgesehen davon, dass Kapital-Ressourcen nir-
gendwo "uebrig" sind, bedeuten Uebernahmen der Aktienmehrheit
an Unternehmen keinesfalls einen Kapitaltransfer in das ent-
sprechende Unternehmen. Es aendert sich einfach die Eigentue-
merstruktur. Die Aktien wechseln die Besitzer. Und da wird
nichts nirgendwo hin transportiert.

Dass hier Kapitalien, die vorher nicht gebraucht werden,
ploetzlich einer produktiven Verwendung zugefuehrt werden,
ist schlichtweg falsch. Das ist ein Pfeifen im Wald, wider
das bessere Wissen oder im Einklang mit der eigenen Unwissen-
heit. Ein Wolkenkuckucksheim, um uns den Biss der Heuschrecke
als harmloses Geplaenkel vorzufuehren.

Apropos Heuschrecken: Da habe ich in der vergangenen Woche
doch tatsaechlich gefunden, dass das ein Bibelzitat ist. Ob
Herr Muentefering das wusste? Ich habe das Zitat aus dem
Theaterstueck "Top Dogs" von Urs Widmer. Dort taucht es je-
denfalls als Bibelzitat auf. Nachpruefen kann ich das nicht.
Es lautet: "Und Heuschrecken kamen auf Erden, und ihnen ward
Macht gegeben wie die Scorpione auf Erden Macht haben. Und es
ward ihnen gegeben, dass sie nicht toeteten, sondern sie
quaelten. Und die Menschen werden den Tod suchen und nicht
finden ..."


++++++

Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Alt 25-05-2005, 15:19   #78
621Paul
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25.05.05
Demokratie und Irrsinn
10:16 25.05.05



Natürlich habe ich mir nichts von der Wahl am Wochenende angeschaut – außer der ersten Umfrage um 18 Uhr. Das anschließende Ritual ist unerträglich, die Journalistenfragen genauso wie die Politikerantworten. Es gehört zu einer Demokratie dazu, aber man muss es sich nicht anschauen.



Stattdessen habe ich einen Film über einen wirklich tollen Mann gesehen, eine 3-DVD-Box über Eric Cantona, den genialen Mittelstürmer von Leeds United und Manchester United in den Neunziger Jahren.



Zur selben Zeit trat ein anderer toller Mann vor die Kameras. Es war unser Kanzler und er kündigte Neuwahlen für den Herbst an. Natürlich ist das auch ein strategischer Schachzug, aber eben nicht nur. Ich habe den allergrößten Respekt vor dieser Entscheidung. Sie zeigt Größe und Verantwortung für unsere Demokratie. Die SPD hat eine harte Sanierungspolitik begonnen, und das Volk ist nicht gewillt, diesen Weg mitzugehen. Deswegen stellt die Regierung die Vertrauensfrage. Besser geht es nicht.



Natürlich hat das alles etwas komplett Irres und Wahnsinniges an sich. Der SPD wird die Quittung präsentiert für ihren harten Sanierungskurs. Und dafür wird jetzt die Union gewählt, die eigentlich noch härter sanieren will, uneigentlich aber bisher nur Blubberblasen von sich gegeben hat. Sie wollen sanieren, dürfen das aber nicht sagen, weil sie ansonsten nicht gewählt werden würden. Wenn das kein Wahnwitz ist.



Aber die Union will natürlich lieb sanieren. „Aus Spaß sind alle bösen Tiere heute lieb“, sagt meine Tochter oft zu mir, wenn wir anfangen zu spielen. In der Politik sieht es auch nicht anders aus als in der Welt eines vierjährigen Mädchens.



Der neue Ministerpräsident von NRW möchte das Land dadurch sanieren, dass die Verwaltung durchforstet und gestrafft, in Bildung investiert wird und die Universitäten gefördert werden. Da lachen ja die Hühner. Aber das ist natürlich „liebe Sanierung“. Das tut nicht weh, ist positiv und daher wählbar. Meine Güte! Und für so einen Quatsch, der weder durchführbar ist noch etwas bringt, wird die neue Regierung gewählt. Der Wahnwitz kennt wirklich keine Grenzen.



Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, Angela. Das wird das Leidmotiv der Deutschen für die nächsten Jahre sein.



Mit den besten Grüßen!



Bernd Niquet
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Alt 25-05-2005, 15:38   #79
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Präziser könnte man es nicht sagen, ist genau das, was ich auch denke. Ich verstehe daher auch nicht die Kritik an Schröder, der bei einem zweistufigen Parlamanet mit permanenten Landtagswahlen gar nicht besser sein kann, als die verwöhnten deutschen Wähler. Und ich verstehe das Schweigen der CxU. Vorgestern im Radio gehört: in Deutschland kommt man an die Macht nicht durch das Reformversprechen, sondern durch das Abstrafen der vorherigen Regierung. Die Leute sind einfach immer noch sehr blind, glauben an einen deutschen Sonderstatus und wollen der Realität (das Leben ist hart und wir stehen in einer stark zugenommenen Konkurrenz mit weniger verwöhnten Völkern) nicht in die Augen schauen.
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Alt 25-05-2005, 16:34   #80
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Hi Tester,
vielen Dank für Deinen Beitrag.
Ich möchte das "blind" noch verstärken, indem ich sage, die Leute sind zum größten Teil blöd.
"Nur die allerblödsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.´

Gruß
621Paul
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Geändert von 621Paul (25-05-2005 um 16:36 Uhr)
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Alt 05-06-2005, 16:48   #81
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sonntag, den 05.06.2005

Jetzt nicht die Nerven verlieren

Von Dr. Bernd Niquet

Ich glaube, die wichtigsten beiden wirtschaftlichen Probleme
der aktuellen Gegenwart sind kaum jemandem richtig bewusst.
Aus meiner Sicht sind es die Folgenden:

(1) Wir alle glauben, dass die Politik den Karren in den
Dreck gefahren hat und fuer die gegenwaertige Malaise verant-
wortlich ist, weil sie stets falsch gehandelt hat.
(2) Wir alle glauben, dass die Politik, wenn sie nur rich-
tig gehandhabt wird, die Dinge wieder deutlich zum Besseren
wandeln kann.

Ich halte beide Punkte fuer grundfalsch. Wir alle sind einer
Politikillusion aufgesessen. Wir halten die Politik schlicht-
weg fuer zu maechtig. Natuerlich kann die Politik in ihrem
ureigenen Bereich sehr viel veraendern, wie wir nicht zuletzt
an der Deutschen Einheit und am Euro sehen koennen. Doch auf
die Marktergebnisse hat die Politik nur geringen Einfluss.
Diese Marktergebnisse sind jedoch die entscheidenden Groessen
in einer Marktwirtschaft. Sie legen die Hoehe der Beschaefti-
gung fest - und sind damit die Ausloeser von Arbeitslosig-
keit.

In diesem Marktprozess kann der Staat die Rahmenbedingungen
setzen. Ich denke, die Bundesrepublik nimmt hier weltweit
eine fuehrende Rolle ein: Unsere Kapitalmaerkte sind voellig
frei. Und die Waren- und Arbeitsmaerkte sind ebenfalls - an
den historischen Standards der juengeren Vergangenheit gemes-
sen - relativ liberal. Zudem hat die Bundesregierung die
Steuern auf Kapital- und Unternehmenseinkuenfte radikal ge-
senkt. Es bleibt die Buerokratie und die ganzen Verordnungen,
die niemand mehr ueberblickt. Aber ist das in anderen Laen-
dern so viel anders?

Unsere herrschende Wirtschaftstheorie behauptet, dass die
Maerkte alles richten werden. Und wenn dem nicht so, dann
gibt es entweder ein Versagen der Maerkte oder ein Versagen
der Politik. Und auf beidem wird derzeit rumgeritten wie es
ansonsten nur die Kinder mit den Pferdefiguren auf dem Spiel-
platz tun.

Ich halte die These vom Marktversagen ebenso fuer falsch wie
die vom Politikversagen. Unsere Maerkte sind nicht strangu-
liert. Wer heute Arbeitnehmer neu einstellen will, der kann
voellig frei Zeitvertraege und befristete Vertraege ab-
schliessen, so dass er das Risiko der Dauer nicht zu tragen
hat. Es bleibt das Politikversagen. Auch das halte ich fuer
falsch, weil es sich aus einer falschen Theorie speist. Na-
tuerlich belastet heute die Staatsschuld. Doch wer das be-
klagt, beluegt sich gleichsam selbst. Denn wenn wir heute
weniger Staatsschulden haetten, dann wuerden wir sie jetzt
ausweiten. Doch gleichzeitig haetten wir die gegenwaertigen
Probleme bereits viel frueher bekommen.

Die Krux liegt ganz woanders: Die wirklichen Herrscher der
liberalisierten Welt sind nicht die nationalen Politiken,
sondern die internationalen Vermoegensmaerkte. Und hierauf
hat die Politik nur einen bedingten Einfluss. Sie kann das
Wasser in den Eimer fuellen, doch wenn die Pferde nicht sau-
fen, dann kann sie nichts weiter tun. Die Politik kann nur
die Rahmenbedingungen setzen, auf die Praeferenzen der inter-
nationalen Kapitaleigner kann sie nicht einwirken. Beschaef-
tigungswirksame Investitionen wird es hierzulande aber nur
dann geben, wenn die in Deutschland hergestellten Produkte
und Dienstleistungen hier auch abgesetzt werden koennen. Wer
jetzt also die Mehrwertsteuer anheben will, gehoert ins Toll-
haus der Oekonomie. Voellig egal, was er mit dem dadurch ein-
gespielten Betrag alles Gutes machen will.

Ich denke, wir brauchen jetzt keinen Aktionismus. Wir muessen
uns zuerst einmal von den Illusionen verabschieden, dass die
Politik die Dinge wieder richten kann. Sie kann es nicht. Die
Probleme, die wir gegenwaertig haben, sind typische Probleme
einer reichen und gesaettigten Volkswirtschaft. Wir brauchen
keine neuen Gurus, sondern wir muessen schlichtweg lernen,
nicht die Nerven zu verlieren und Verschlechterungen der Lage
einfach durchzustehen. Wir werden reich bleiben, muessen je-
doch unsere internen Probleme anpacken. Es waere jedenfalls
unmoralisch, alleine aufgrund des Auftretens neuer Konkurren-
ten im Osten Selbstmord machen zu wollen. Es schadet mir gar
nichts, wenn mir der Kopf abfaellt, warum hat ihn Mutti nicht
festgehalten.

++++++

Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Alt 05-06-2005, 20:32   #82
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Zitat:
Original geschrieben von Bernd Niquet
Beschaeftigungswirksame Investitionen wird es hierzulande aber nur dann geben, wenn die in Deutschland hergestellten Produkte und Dienstleistungen hier auch abgesetzt werden koennen. Wer
jetzt also die Mehrwertsteuer anheben will, gehoert ins Tollhaus der Oekonomie. Voellig egal, was er mit dem dadurch eingespielten Betrag alles Gutes machen will.
Seit wann müssen die in einem Land produzierten Waren dort auch verkonsumiert werden? Erzähl das den Chinesen Bernd, die uns mit ihrem Billigmüll hier in Deutschland überschwemmen, statt diesen selber zu konsumieren!

Ich persönlich preferiere die Erhöhung der Mehrwertsteuer, weil sie die in Ostasien hergestellten Waren verteuert. Wenn man gleichzeitig von diesem Geld die deutschen Lohnnebenkosten sinken würde, dann wird das Ergebnis der chinesischen Arbeit teurer und unsere Arbeitskraft billiger. Weg von der Arbeitskraftbesteuerung und hin zur Konsumsteuer ist m.E. die richtigste Lösung für unsere Situation. Wir müssen wieder billiger werden, ohne daß unsere Gehälter stark absinken (für viele wäre dieses untragbar).
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Alt 05-06-2005, 20:49   #83
621Paul
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Hi Tester,
so ganz kann ich Dir nicht folgen.

Die Preisentwicklung wirkt sich auf
jeden Geldbeutel aus; Konsumenten
und Unternehmen unterliegen
gleichermaßen der Teuerungsrate.
Vor allem jedoch ist der Verbraucherindex
(VPI) ein Indikator für alle
private Haushalte, denn die Preisentwicklung
bestimmt letztendlich was
vom Einkommen gekauft und welchen
Anschaffungen getätigt werden
können.

Gruß
621Paul
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Alt 08-06-2005, 19:44   #84
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Montag, 06.065.05


Die Herrschaft der Betriebswirte

Die Volkswirtschaftstheorie ist ein komplexes Gebilde, das für die meisten Menschen schlichtweg zu kompliziert ist. Dass die Arbeitslosigkeit nicht auf dem Arbeitsmarkt entsteht, sondern aufgrund einer komplexen Verflechtung von Güter- und Vermögensmärkten, ist nicht nur für den durchschnittlichen Zeitungsredakteur ebenso unfassbar wie Einsteins Relativitätstheorie.


Viel einfacher ist es daher, sich einer Hilfswissenschaft zu bedienen. Ein paar locker-flockige Theoreme heraus zu rotzen – und sich wie ein König zu fühlen. Aus diesem Grunde gibt es weltweit die Herrschaft der Betriebswirte. Denn Betriebwirt kann jeder Dumme werden. Hierzu muss man nur ein paar Unternehmensweisheiten lernen, sich jedoch nicht in ein in sich geschlossenes komplexes Geflecht wie eine volkswirtschaftliche Theorie hinein arbeiten.



Die Herrschaft der Betriebswirte bedeutet dann auch, gesamtwirtschaftliche Fragestellungen einzelwirtschaftlich zu lösen. Das heißt: Die wichtigen Wechselwirkungen der einzelnen Elemente untereinander werden ausgeblendet, weil der Blick von oben auf das Ganze den Akteuren zu schwierig ist. Oder einfach nicht ins Konzept passen. Und anstelle dessen werden die Weisheiten des Hausvaters und Unternehmenslenkers auf die Gesamtwirtschaft übertragen. Im Endergebnis kommt dabei nichts anderes heraus als wenn eine Hausfrau die Mondlandung koordinieren müsste: Ein gigantischer Schiffbruch nämlich!



Ein paar der übereinstimmenden Weisheiten von Hausvätern, Politikern, Hausfrauen und Betriebswirten habe ich im Folgenden angeführt. Sie sind in Anführungszeichen gesetzt. Anschließend habe ich angedeutet, wie eine alternative Sichtweise beziehungsweise eine volkwirtschaftliche Kreislaufbetrachtung dagegen aussehen würde.



(1) „Ein Defizit des Staates hat eine negative Wirkung auf die Ökonomie.“ Das ist einerseits richtig, weil so ein großer Schuldner zusätzlich Kapital nachfragt, die anderen verdrängt und die Zinsen nach oben treibt. Gleichzeitig lassen die dadurch erhöhten Staatsausgaben aber auch die Wirtschaft wachsen. Eine Belastung späterer Generationen gibt es nicht, da sowohl die Pflicht zur Zahlung von Zins und Tilgung als auch das Recht, beide zu erhalten, weiter vererbt werden.



(2) „Die Sanierung einer Volkswirtschaft hat über Kostensenkungen der Unternehmen zu geschehen.“ Kostensenkungen sind positiv für die Unternehmen. Da alle Kosten jedoch gleichzeitig Einkommen sind (volkswirtschaftliche Kreislauftheorie!) wird dadurch der Konsum geschwächt und die Gefahr einer Abwärtsspirale geschaffen.



(3) „Arbeitslosigkeit entsteht auf dem Arbeitsmarkt.“ Am Arbeitsmarkt wird Arbeit angeboten und nachgefragt. Die Nachfrage der Unternehmen richtet sich jedoch nicht ausschließlich nach dem Preis der Arbeit, sondern in entscheidendem Maße nach den Absatz- und Gewinnerwartungen der Produkte, die mit der Arbeit erzeugt werden können. Hier spielen die internationalen Vermögensmärkte ebenso eine Rolle wie die globalisierten Gütermärkte.



(4) „Investitionen können nur aus Ersparnissen entstehen.“ In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung müssen sich Ersparnisse und Investitionen stets entsprechen. Daraus kann man jedoch nicht auf die Kausalrichtung schließen. Zunächst einmal braucht man zum Investieren nicht Ersparnisse, sondern Geld. Die Investitionen führen anschließend die Ersparnisse selbst herbei, beispielsweise in Form von Kapitalaufstockungen seitens der Unternehmen.



(5) „Für neue Arbeitsplätze brauchen wir Wachstum.“ Es gibt keine Wirtschaftstheorie, die das Entstehen von neuen Arbeitsplätzen an Wachstum koppelt. Auch empirisch gibt es nur bedingt Evidenz dafür. Auf jeden Fall ist diese Gesetzmäßigkeit eher intuitiv. Es ist die rein einzelwirtschaftliche Sicht. Ein einzelnen Unternehmen wird nur dann mehr Leute einstellen, wenn es auch mehr produzieren kann. In einem Gesamtsystem ist dem aber nicht unbedingt so. In der Neoklassik beispielsweise sind Preisrigiditäten für Arbeitslosigkeit verantwortlich, nicht zu geringes Wachstum. Und im Keynesianismus eine (vermögensmarktinduzierte) Störung der Einkommensbildung –also ebenfalls keine Wachstumsschwäche.



Mit den besten Grüßen!



Bernd Niquet
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Alt 12-06-2005, 14:38   #85
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Woher kommt die Arbeitslosigkeit ?

Von Dr. Bernd Niquet

Es gibt gerade in der heutigen Zeit viele Banalitaeten. Doch
irgendwo hoert die Plattheit dann auch auf. Es ist nicht
alles so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Auch wenn
die Medien uns das immer wieder versichern. Manche Dinge sind
einfach komplizierter als der durchschnittliche Zeitungs-
redakteur sie fassen kann.

Woher kommt die Arbeitslosigkeit? Wo entscheidet sich die
Hoehe unserer Beschaeftigung? In einer Marktwirtschaft werden
alle Preise und Mengen auf Maerkten ermittelt. Der Preis fuer
Tomaten und die Menge an Tomaten, die wir essen, ergeben sich
auf dem Markt fuer Tomaten. Oder hoeher gefasst, auf dem
Gemuesemarkt, auf dem Guetermarkt. Wo bestimmen sich die
Menge und der Preis des Geldes? Genau, auf dem Geldmarkt. Und
der Aktien und Festverzinslichen? An der Boerse, also auf dem
Markt fuer Vermoegenstitel, dem Vermoegensmarkt.

Doch wo entsteht die Arbeitslosigkeit? Guido Westerwelle
sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Angela Merkel sagt, auf dem
Arbeitsmarkt. Edmund Stoiber sagt, sagt, auf dem Arbeits-
markt. Gerhard Schroeder sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Peter
Hartz sagt, auf dem Arbeitsmarkt. Die Welt schreibt: Auf dem
Arbeitsmarkt! Die FAZ schreibt: Auf dem Arbeitsmarkt! Der
Spiegel schreibt: Auf dem Arbeitsmarkt! Die Wirtschaftsweisen
sagen: Auf dem Arbeitsmarkt! Der Sachverstaendigenrat sagt:
Auf dem Arbeitsmarkt!

Also: Wer will dem etwas entgegensetzen? Und wenn die
Arbeitslosigkeit tatsaechlich auf dem Arbeitsmarkt entsteht,
dann muss sie auch dort bekaempft werden, muss man schlies-
sen. Wir muessen also nur unseren Arbeitsmarkt kraeftig libe-
ralisieren, dann werden wir bald eine bessere Beschaeftigung
haben.

Der Oekonom John Maynard Keynes hat das bereits in den Dreis-
siger Jahren des letzten Jahrhunderts als Unsinn entlarvt.
Erstaunlich, dass niemand davon mehr Kenntnis nimmt. Nicht
nur erstaunlich ist das, sondern tragisch. Denn wer aus der
Geschichte nicht lernt, ist gezwungen, sie zu wiederholen.
Keynes ist heutzutage trivialisiert wie beinahe alles in
unserer Gesellschaft. Dabei hat Keynes schon damals klar und
deutlich gesagt: Arbeitslosigkeit entsteht NICHT auf dem
Arbeitsmarkt. Im Grunde genommen ist diese Ueberlegung recht
einfach, umso erstaunlicher, dass sie niemand begreift oder
begreifen will:

Die Unternehmen richten ihre Arbeitsnachfrage nach drei
Groessen aus - dem Reallohn, der Absatzerwartung und den
Finanzierungsbedingungen fuer Investitionen. Und von diesen
drei Groessen hat nur eine halbe etwas mit dem Arbeitsmarkt
zu tun, naemlich der Nominallohn. Der Reallohn ist bereits
ein Marktergebnis, das sich aus dem Zusammenspiel diverser
Maerkte ergibt. Es muss also nicht ein zu hoher Nominallohn
die Schuld an einer zu geringen Arbeitsnachfrage tragen. Es
kann auch ein zu niedriges Preisniveau sein. Oder zu
schlechte Absatzbedingungen und zu unguenstige Finanzierungs-
bedingungen sein.

Die relevante Frage der Gegenwart sollte daher nicht lauten,
wie man die (nominalen) Lohnkosten herunter bekommt, sondern
warum es den Unternehmen anscheinend nicht gelingt, gewinn-
traechtige Preise fuer ihre Produkte durchzusetzen und dabei
diejenigen Mengen abzusetzen, die weitere Investitionen loh-
nend machen wuerden. Dieser Kontext hat allerdings sehr viel
mit den internationalen Gueter- und Vermoegensmaerkten und
ueberhaupt nichts mit unserem heimischen Arbeitsmarkt zu tun.

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Alt 14-06-2005, 19:08   #86
621Paul
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11:24 13.06.05






Wenn du nicht das machst, was ich will, sagt die Ehefrau, dann werde ich dich verlassen. Der Mann bekniet sie. Bitte, bitte, mach das nicht. Dann tue endlich das, was ich sage, entgegnet die Frau. Der Mann tut, was die Frau sagt. Die Frau bleibt. Sie hatte niemals wirklich vor zu gehen. Sie wollte nur ihren Mann zum Wurstel machen. Sie hat es ziemlich leicht geschafft.



Ganz ähnlich läuft es derzeit in unserem Land zwischen den Unternehmen und Kapitalvertretern auf der einen und der Bevölkerung und der Politik auf der anderen Seite ab. Die Unternehmen und Kapitaleigner drohen mit dem Auswandern – und die Bevölkerung und die Politik lassen sich dadurch zum Wurstel degradieren. Das alles hat eine durchaus pubertäre Komponente, die allerdings sehr wirkungsvoll ist: Das haste nun davon wenn ich mir das Leben nehme. Warum haste dich nicht besser um mich gekümmert.



Nach den Zahlen der Deutschen Bundesbank haben deutsche Firmen keinesfalls hierzulande Stellen abgebaut und woanders wieder aufgebaut. Von den zwischen 2002 und 2004 abgebauten Stellen sind weniger als fünf Prozent ins Ausland verlagert worden. Im Ausland sind jedoch netto keine neue Stellen aufgebaut, sondern ebenso wie im Inland abgebaut werden. Es wird also überall rationalisiert; es gibt jedoch – außer in den Berichten der Medien – keinen nennenswerten Trend zu Verlagerungen von Arbeitsplätzen.



Doch was sind die nüchternen Zahlen gegen das öffentliche Gedröhne der sensationsgeilen Medien und frustrierten Ehefrauen?!



Mit den besten Grüßen!



Bernd Niquet
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Alt 16-06-2005, 22:25   #87
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Warum Märkte sozial sind
10:34 16.06.05





Die Globalisierung hat dem europäischen Sommer eine südamerikanische Spezialität gebracht. Jugendliche aus den Armeinvierteln Lissabons haben sich in großer Anzahl zusammengerottet und Badende an den portugiesischen Stränden überfallen. „Arrestao“ nennt man diese Überfalltaktik in Brasilien, bei der die am Strand Liegenden aufgescheut und zur sofortigen Flucht genötigt werden, so dass die jugendlichen Banden anschließend die zurückgelassenen Handtaschen, Geldbeutel, Handys und Schmuck wie Fische im Netz einsammeln können.



Was hat das nun bloß mit der Börse zu tun? Wer es noch nicht gemerkt hat: Die Zeitungsmeldung, die ich dazu lese, beginnt mit den Worten: „Wie die Heuschrecken ...“ Der einzige Unterschied zwischen manchen Finanzmarktspekulationen und Arrestao ist, dass Ersteres legal und Letzteres verboten ist.



Um Finanz- und Vermögensmärkte richtig verstehen zu können, muss die Markttheorie aus meiner Sicht deutlich erweitert werden. Finanzmärkte sind nicht nur ein effizientes Mittel zur Hervorbringung von Informationen und zur Allokation von Kapital, sondern auch eines zur Kanalisierung von Kriminalität und Terrorismus. Ich möchte mir lieber nicht ausmalen, wie es in der Welt aussehen würde, wenn nicht viele Menschen ihren Hass und ihre Gier an den Märkten legal ausleben könnten. In diesem Sinne sind Märkte also wirklich sozial.



Mit den besten Grüßen!



Bernd Niquet
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Alt 19-06-2005, 10:54   #88
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Wie in den Dreissiger Jahren?

Von Dr. Bernd Niquet

Natuerlich ist heute sehr vieles voellig anders als zur Zeit
der grossen Weltwirtschaftskrise in den Dreissiger Jahren des
letzten Jahrhunderts. Und trotzdem sind einige Paralleli-
taeten erschreckend. Ich sehe ich der Hauptsache Folgendes.

(1) Damals wie heute hatten wir eine riesige Boersenhausse
mit grotesker Ueberspekulation und anschliessendem heftigen
Zusammenbruch.

(2) Im Anschluss daran erlebten wir damals wie heute den Ein-
tritt in ein deflationaeres Szenario - und dies beide Male in
Verbindung mit einer extremen Fehlhaltung der Politik, zumin-
dest hierzulande. In den Jahren nach 1929/1930 zeigte sich
die Geldpolitik weltweit viel zu restriktiv. Einerseits
konnte man aus den Fesseln des Goldstandards nicht heraus,
andererseits wollte man auch gar nicht anders handeln. Der
Schrecken hiess damals wie heute "Inflation", weswegen die
einsetzende deflationaere Tendenz sogar freudig begruesst
wurde.

Niemand konnte sich jedoch tatsaechlich eine Deflations-
spirale vorstellen. Damals wie heute. Und was die Geldpolitik
in den Dreissiger Jahren verbockt hat, das verbockt heute die
Fiskalpolitik. Wir versuchen, in der Krise das Budget zu kon-
solidieren, reagieren auf sinkende Preise und Nachfrageaus-
fall nicht mit einem Gegensteuern, sondern mit Kostensenkun-
gen, die ihrerseits zu erneuten Preissenkungen und Nachfrage-
rueckgaengen fuehren und weiter fuehren werden.

(3) Als Reaktion darauf "fransen" die Raender unseres politi-
schen Spektrums immer weiter aus. Damals wie heute. Man
braucht kein Prophet zu sein, um prognostizieren zu koennen,
dass die Union, die derzeit versucht, es allen recht zu
machen, mindestens genauso so schwer scheitern wird wie die
SPD. Derzeit formiert sich gerade eine neue Linke in der
Folge des Schiffbruchs der SPD. Was wird jedoch 2009 (oder
frueher) passieren, wenn die Union gescheitert ist?

Die grossen Volksparteien waren stark im Aufschwung, weil sie
die Faehigkeit gezeigt haben, die Interessen zu buendeln,
jeden mitzunehmen, jedem etwas zu geben. In der Rueckwaerts-
bewegung wird aus der damaligen Staerke nun jedoch eine
Schwaeche. Denn die Volksparteien schaffen es nicht, das
Fuellhorn zu schliessen und die Perspektive auf das wirklich
Notwendige zu verengen. Alles, was weh tut, fuehrt zur sofor-
tigen Abwahl und staerkt die grossen Illusionisten auf der
linken wie rechten Seite.

(4) Es gibt jedoch einen einzigen Garanten fuer die Stabili-
taet unser gegenwaertigen Welt - und das sind die von so vie-
len verhassten und kritisierten Vereinigten Staaten von Ame-
rika. Die lockere Geldpolitik und das Leistungsbilanzdefizit
der USA halten die halbe Welt wirtschaftlich ueber Wasser.
Sie sind die Muttermilch, von der wir alle leben. Das ist der
grosse Unterschied zu den Dreissiger Jahren des letzen Jahr-
hunderts. Heute gibt es einen "Big Spender" und "Lender of
last resort". Damals gab es das nicht, deswegen sind damals
die Lichter ausgegangen. Heute gibt es das, deswegen sieht es
heute vergleichsweise gut aus.

Die grosse Frage ist daher, wie lange das so weitergeht.
Meine Tochter hat vier Jahre gebraucht, um von der Milch-
flasche wegzukommen. In Europa schreiben wir heute bereits
das Jahr fuenf nach dem Crash. Bis heute ist alles gut gegan-
gen. Bei einem so extremen Verhalten und einer so einseitigen
Ernaehrung werden die Risiken jedoch jeden Tag groesser.

++++++

Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
__________________
Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
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Alt 26-06-2005, 08:34   #89
621Paul
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Sonntag, den 26.06.2005

Asymmetrische Regelungen

Von Dr. Bernd Niquet

Natuerlich ist es voellig uebertrieben und viel zu einfach,
wenn jetzt von allen Seiten auf die Hedge-Fonds eingepruegelt
wird. Doch die Hedge-Fonds stehen fuer eine ganz spezifische
Geisteshaltung und fuer sehr extremes Verhalten, so dass sie
sich durchaus als Vehikel fuer eine generelle Kritik eignen.

Betrachtet man unsere Volkswirtschaften sowie das internatio-
nale Finanzsystem, dann kann man eine eigenartige Regelstruk-
tur feststellen. Die Regeln und Regulierungen sind extrem
asymmetrisch verteilt - und dazu noch voellig umgedreht zu
einem eigentlich wuenschenswerten System.

Machen wir einmal den Vergleich mit einem Kindergarten, dann
sieht man es am besten. Und so weit hergeholt ist das ja gar
nicht. Hier existieren feste Regeln, was die Kinder duerfen
und was nicht. Diese Regeln sind starr - und sie befinden
sich auf der obersten Ebene. Es geht dabei um ganz elementare
Dinge, um das Verhaeltnis zu den Erziehern und um Meta-Regeln
fuer das Verhalten der Kinder untereinander. Was die Kinder
dann jedoch im Kleinen machen, das ist voellig frei. Hier
mischt sich normalerweise niemand mehr ein.

In unserem Wirtschafts- und Finanzsystem hingegen ist es ge-
nau umgekehrt. Hier wird der einzelne Buerger und das ein-
zelne Unternehmen regelrecht zugeschuettet mit Regeln, die es
zu befolgen gibt. Doch ganz oben, also auf der Meta-Ebene,
auf der Ebene, in der es um das Ganze geht, gibt es hingegen
ueberhaupt keine Regeln. Selbst Alan Greenspan hat das vor
kurzem angesprochen. Die Risiken, die hier eingegangen wer-
den, sind zu gross. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Und
es werden Herdentriebe in Gang gesetzt, die mit den wirt-
schaftlichen Gegebenheiten selbst nichts mehr zu tun haben.

Die normale Aufgabe der Maerkte ist es, Informationen bereit-
zustellen ueber die Gegenwart und die Zukunft, die wir ohne
diese Maerkte niemals haben koennten. Daher brauchen wir die
Maerkte, denn sie liefern die Signale, mit denen Marktwirt-
schaften gesteuert werden. Funktionieren kann dies jedoch
nur, wenn einzelne Marktteilnehmer oder auch Gruppen von
Marktteilnehmern keinen signifikanten Einfluss auf die Preis-
bildung haben. Wenn also jeder "Preisnehmer" ist, der die
Preise akzeptiert - und danach sein Angebot und seine Nach-
frage mengenmaessig ausrichtet.

Tritt jedoch andauernd ein Herdenverhalten auf, indem grosse
Interessengruppen immer noch mehr kleine Spieler anlocken, um
durch das Starten eines Trends Geld zu verdienen, dann ver-
liert das System seine Steuerungsfunktion. Und es kann rich-
tig bedrohlich werden fuer das Gesamtsystem, wenn einer oder
mehrere Reiter auf einem derartigen Trend einmal in Not gera-
ten. Doch es ist alles erlaubt hier, alles was gefaellt.

Wir haben es daher mit einer voellig "schiefen" Regelungslage
zu tun. Wenn ich mich selbstaendig machen und einen Arbeit-
nehmer einstellen moechte, dann muss ich bis zur Frage, wie
viele Rollen ein Buerostuhl haben muss, Tausende von Regelun-
gen beachten. Da das kaum jemand kann und will, gibt es immer
weniger neue Selbstaendige. Moechte ich hingegen den Oelpreis
in die Hoehe treiben, den Euro in den Keller schicken, ein
Unternehmen abstrafen oder eine Zentralbankpolitik konter-
karieren, dann habe ich jede Freiheit der Welt dazu.

Doch so kann unsere Welt auf Dauer nicht funktionieren. Wir
muessen gleichzeitig den einen Regelungswust abbauen und da-
fuer in anderen Bereichen anfangen, Grenzen zu setzen. Das
muss man bei den Kindern auch. Ansonsten tanzen sie einem auf
der Nase herum.

++++++

Bernd Niquet ist Boersenkolumnist und Buchautor.
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Wenn viele Anleger dasselbe glauben, dann muss dies noch lange nicht bedeuten, dass es stimmt oder wahrscheinlich ist. Das Gegenteil ist oft der Fall.
621Paul ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29-06-2005, 11:10   #90
OMI
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Hausse verpasst?
09:41 29.06.05



Es ist immer interessant, zu sehen, wie tendenziös die Berichterstattung über die Märkte ist – ganz nach Gusto. Denn hier greift die Pointe noch gründlicher um sich als an den Märkten selbst. Die neueste Story ist: Die Privatanleger haben die Hausse an den Aktienmärkten verschlafen.

Dazu lese ich folgenden Text, dessen Quelle ich nicht kenne und die auch nicht wichtig ist: "Privatanleger, sagt Franz-Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut in Frankfurt, hätten die Hausse total verschlafen. Nach Angaben des Bundesverbands Investment und Asset Management (BVI) in Frankfurt hätten Privatanleger in den ersten fünf Monaten des Jahres netto 3,6 Milliarden Euro aus Aktienfonds abgezogen. Im Gegenzug hätten sie unterm Strich 15,2 Milliarden in Rentenfonds investierten - mehr als jemals zuvor.“

Nun gut, irgendjemand muss die Hausse immer verschlafen. Wenn nicht die einen, dann die anderen. Alle können die Hausse niemals mitmachen. Doch kann man die obigen Zahlen tatsächlich als Zeichen eines Versagens interpretieren? Die Kleinanleger haben Aktien verkauft – und eine mittelmäßige Hausse verpasst. Dafür haben Sie überproportional Renten gekauft – und dadurch die größte Hausse der Geschichte am Bondmarkt sehr effizient gespielt.

Viel cleverer kann man es nicht machen. Doch so langsam sollte man beginnen, die Positionen deutlich zu reduzieren. Bald müssen alle Bonds in den Händen der Bagholder sein.

Mit den besten Grüßen!
Bernd Niquet
__________________
Schöne Grüße
OMI
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